Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Viertes Kapitel.

Germains Freilassung

Ohne Germains Verwunderung zu beachten, fuhr Schuri fort: »Wie gesagt also, als ich weg von Herrn Rudolf war, kam ich mir vor wie ein Wesen ohne Leib und ohne Seele; und je weiter ich mich von ihm entfernte, desto öfter sagte ich mir: der Herr Rudolf führt ein seltsames Leben und befaßt sich mit so schlechten Subjekten, daß er seine Haut wohl zwanzigmal am Tage zu Markte trägt. Da könnt ich doch wohl seinen Hund abgeben, denn scharfe Zähne hätte ich doch . . . und da, tausend Donner! verging mir der Mut, als ich auf ein Schiff gehen und zwischen ihn und mich das Meer bringen sollte! Seinem Agenten in Marseille hatte er geschrieben, er solle mir einen tüchtigen Batzen Geld geben. Aber ich habs nicht genommen, sondern hab dem Herrn bloß gesagt, er solle mir soviel geben, damit ich zu Fuß wieder nach Paris zurück könnte, soweit weg von meinem gütigen Herrn hielte ich es nicht aus! . . . Und so bin ich denn wieder hergewandert; als ich aber wieder hier war, wurde es mir angst, denn was sollte ich Herrn Rudolf sagen? Wie sollte ich es rechtfertigen, daß ich wider seinen Willen gehandelt hätte? Na, dachte ich, fressen kann er mich schließlich auch nicht! Ich ging also zu seinem Freunde, dem Herrn Murph, gefaßt auf eine tüchtige Strafpredigt, aber damit wars nichts, der Herr empfing mich, als sei ich erst tags vorher bei ihm gewesen, und führte mich gleich zu ihm! Tausend Donner, als ich dem Manne gegenüber stand, der eine so tüchtige Faust und ein so edles Herz hat, der grimmig ist wie ein Leu und weich wie ein Kind, der ein Prinz ist und doch eine Bluse angehabt hat wie ich – und der mir – ich danke meinem Herrgott noch heute dafür – den Schädel verprügelt hat, daß ich tagelang nicht aus den Augen sehen konnte – sehen Sie, Herr Germain, da war ich wie umgewandelt und weinte wie ein Kind! ›Verzeihen Sie es mir, Herr Rudolf,‹ sagte ich, ›aber ich habs nicht aushalten können!‹ – Und er sagte drauf: ›Du bist gerade zur rechten Zeit gekommen, mir einen Dienst zu erweisen . . . drum heiße ich dich aufrichtig willkommen – ein ehrlicher Mensch, an dem ich innigen Anteil nehme, ist zu Unrecht des Diebstahls angeklagt und sitzt in La Force . . . er heißt Germain und ist schüchtern; ich fürchte, die bösen Menschen, mit denen er jetzt zusammen sein muß, möchten ihm ein Leid antun, . . . du weißt ja, wie es im Gefängnisse zugeht. . . . Vielleicht könntest du dich überzeugen, ob du dort alte Kameraden fändest, und sie durch Geld und gute Worte bestimmen, dem armen jungen Menschen im Falle der Not beizustehen?‹«

»Jetzt fängts mir klar zu werden an,« erwiderte Germain, »wie alles zusammenhängt – um mich zu schützen, und um Ihrem Herrn Rudolf – wie Sie ihn nennen – einen Gefallen zu erweisen, haben Sie wieder gestohlen? Bloß um wieder hierher den Weg zu finden? O, darüber werde ich mir nun zeitlebens Vorwürfe machen! Und wie – wie soll ich Ihnen soviel Aufopferung danken?« – »Mir haben Sie nichts zu danken,« erwiderte Schuri, »Wohl aber Herrn Rudolf!« – »Und wie erkläre ich mir den Anteil, den er an mir nimmt?« fragte Germain. – »Das wird er Ihnen selbst sagen, sofern er es nicht vorzieht, darüber gar kein Wort zu verlieren, denn zumeist begnügt er sich damit, Gutes zu tun, ohne mit Dank zu rechnen.« – »Er weiß, daß Sie hier sind?« fragte Germain. – »Tausend Donner, nein!« rief Schuri, »denn meinen Sie etwa, er hätte es mir erlaubt, solche Possen zu treiben und einen Einbruch bei mir selber zu fingieren? Hab ich mich doch verkleidet in der Rue du Temple eingemietet und dann mich selbst bestohlen, – wie ich das angestellt habe, kann Sie weiter nicht interessieren, bloß deshalb sage ich es, weil mit dem Einbruch niemand geschädigt worden ist als ich höchstens selbst, denn alles was ich gestohlen, hatte ich ja tags vorher erst gekauft und in die leer gemietete Wohnung schaffen lassen. Wenn ich nun den Beweis dafür erbringe, daß ich mich selbst bestohlen habe, was kann man mir dann von Gerichts wegen anhaben? Man kann mich höchstens mit ein paar Tagen bestrafen wegen groben Unfugs – das ist alles, und das nehme ich gern in Kauf, nachdem ich gesehen habe, daß ich gerade noch zurecht kam, Herrn Rudolf den Dienst zu erweisen, auf den er rechnete – Sie nämlich vor Unglück zu bewahren!«

Der Fron trat wieder herein . . . »Germain, schnell zum Direktor! Er will Sie auf der Stelle sprechen. Und Ihr, Schuri, geht wieder in die Löwengrube. Ihr sollt dort an Skeletts Stelle die Aufsicht führen. Das Zeug dazu habt Ihr! Mit einem Manne wie Euch werden die Sträflinge nicht Luderei treiben.« – »Nun, jetzt weigern Sie mir einen Händedruck doch nicht mehr?« fragte Germain. – »Nein, Herr! Gewiß nicht!« antwortete Schuri; »aber da fällt mir ein, Sie könnten doch wohl niederschreiben, was ich Ihnen gesagt habe, und Herrn Rudolf über den Fall berichten? Dann erfährt er doch, wie es zusammenhängt, und braucht sich über mich keinerlei Gedanken zu machen!«

Germain versprach es ihm und ging ins Direktorialzimmer. Zu seiner nicht geringen Verwunderung fand er dort Lachtäubchen, seine Braut, deren Augen in Tränen schwammen, aber es waren Tränen, durch die sich ein heiteres Lächeln stahl . . . Auf ihrem Gesicht lag es wie ein Schimmer von Verklärung . . . »Ich habe Ihnen eine frohe Nachricht mitzuteilen,« redete der Zuchthausdirektor Germain an . . . »es liegt der Gerichtsbeschluß vor, Sie außer Verfolgung zu sehen. Mithin liegt mir weiter nichts mehr ob, als Sie sofort wieder in Freiheit zu setzen.«

Lachtaube wollte etwas sagen, konnte es aber nicht. Ihr war das Herz zu voll von Freude. Sie konnte bloß nicken, daß es sich so verhalte, wie der Gefängnisdirektor sagte, und überglücklich die Hände falten.


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