Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Siebentes Kapitel.

Eine möblierte Mietswohnung.

In der Mitte der Passage Brasserie – eines dunklen, wenig begangenen Weges, der von der Rue Saint-Honoré bis zum Saint-Guillaume-Hofe führte – wohin kaum ein Sonnenstrahl fiel – stand ein kleines Haus, worin möblierte Stuben zu vermieten waren, wie ein ärmlich ausgestattetes Plakat mitteilte. In dem finstern Hausflur führte eine Tür zu einem ebenfalls finstern Raume, worin sich gemeinhin der Hausverwalter aufzuhalten pflegte: Micou mit Namen, seines Zeichens Altwarenhändler, der aber auch Hehlergeschäfte trieb und mit Vorliebe Metall, Eisen, Blei, Zinn und Kupfer einhandelte. Er stand – und das wird dem Leser für seine sittliche Bewertung genügen – mit Martials seit langen Jahren im Verkehr. Micou war ein dicker Mann im Alter von annähernd fünfzig Jahren, mit einem gemeinen, aber pfiffigen Gesicht, in welchem sich eine mit Finnen und Blüten reichbesetzte Nase zwischen von Schnaps und Wein geröteten Backen breit machte. Auf dem Kopfe hatte er eine Otterfell-Mütze; seinen Oberleib deckte ein alter grüner Carrick.

In dem Raume des Erdgeschosses, worin er hauste, war kaum ein Fleck zum Gehen frei; an den Wänden hingen allerhand Ketten, und auf dem Estrich lag allerhand Eisen- und anderes Gerät herum . . . Es wurde dreimal an die Tür geklopft. Micou spitzte die Ohren. Es war das Zeichen, daß ein vertrauter Gast Einlaß begehrte . . . Auf sein Herein erschien Niklas, der Sohn der Witwe Martial, auf der Schwelle, dessen Gesicht noch finsterer als gewöhnlich aussah und eine unheimliche Blässe zeigte . . .

»Na, da kommst du doch,« sagte Micou in freundlicher Weise zu ihm. »Was hat dich wieder mal hergeführt?« – »Geschäfte, Vater Micou, Geschäfte!« – »Bringst du Rost oder Bläres?« – »Bläres, Micou, vier stattliche Stücke! Mein Hund hats kaum ziehen können.« – »Na, so brings herein! Wir wollens wiegen.« – »Micou, Ihr müßt mir dabei helfen, denn mein Arm ist lädiert.« Und die Erinnerung an den mit dem Bruder geführten Kampf verzerrte ihm das Gesicht zu Haß und wilder Freude, als wenn er endlich seine Rachlust gestillt hätte.

Zweimal mußten sie gehen, um den Karren zu leeren, vor den ein kräftiger Hund gespannt war . . .

»Wie gehts und stehts daheim, Niklas?« fragte der Hehler, das Kupfer abwiegend; »Mutter und Schwester wohlauf?« – »Ja, Micou.« – »Und die Kleinen auch?« – »Ja, Micou.« – »Der Martial macht noch immer Späne?« – »Kanns nicht sagen, Micou,« antwortete Niklas, »hab ihn ein paar Tage lang nicht gesehen. Vielleicht ist er auf Wilddieberei ausgewesen und verunglückt; vielleicht hat er auch im Boote Pech gehabt?« – »Oho!« rief Micou, »und dir lockts keine Träne in die Augen? Freilich, hast ja den Bruder nie leiden mögen! – Doch nun zum Geschäft! Wie schwer wiegen die Kupferzaine?« – »Hast doch ein gutes Augenmaß, Micou! Zusammen sinds 150 Bläres.« – »Und was willst du dafür?« – »Dreißig Franks.« – »Bist nicht gescheit, Niklas. Kein Mensch zahlt mir für ein Pfund Bläres mehr als 20 Sous.« – »Micou, nur nicht gar zu viel schinden! Ich will Ware dagegen nehmen; dann verlange ich aber, was ich sagte, auf Heller und Pfennig.« – »Was brauchst du? Ketten oder Klammern?« – »Eisenblech, 3-4 Stücke, um Fensterläden zu beschlagen.« – »Das kannst du haben.« – »Dann brauche ich drei Eisenstangen von zwei Zoll Stärke und etwa 3–4 Fuß Länge, mit zwei Scharnieren und einer Klinke, um eine Klappe von zwei Fuß im Quadrat bequem schließen und öffnen zu können.« –

»Also eine Falltür willst du konstruieren?« – »Nicht doch, bloß eine Klappe . . .« – »Und wozu willst du solches Ding haben?« – »Was scherts dich? Such mir alles zusammen! Ich wills mit heimnehmen, wenn ich ein paar Wege besorgt habe.« – »Hast wohl noch mehr unterzubringen? Was ist denn das für ein Ballen, den du noch auf deinem Karren hast?« – »Was scherts dich?« fragte Niklas wieder grob; »für dich paßt's nicht, was noch draußen liegt. Laß mich mit dem Eisen aber nicht warten, Micou! Ich muß zu Mittag wieder auf der Insel sein. Bei dir gehts doch auch gut?« – »Hm, man kann nicht klagen. Ein paar Einmieter, die sich vor der Polizei nicht ganz geheuer fühlen, finden sich ja immer bei mir ein. Vor ein paar Tagen hat mir ein Vetter ein paar Weiber hergeschickt, aus denen ich nicht gescheit werde. Mutter und Tochter, sehr ärmlich gekleidet, hatten ihr ganzes Hab und Gut im Schnupftuche bei sich, von Ausweispapieren keine Spur! Wollten erst bloß vierzehn Tage bleiben, rühren sich aber nicht, seit sie einmal da sind; wären sie nicht gar so blaß und mager, könnte man sie schön nennen, besonders die Tochter – die ist doch höchstens 14–15 Jahre alt und weiß wie ein Kaninchen, mit großen schwarzen Augen . . .«

»Wohnt denn Robin, der dicke Lahme, noch bei dir?« – »Ja, neben der Mutter und der Tochter. Er vertut das Geld, das er aus dem Gefängnisse mitgebracht hat, und wird wohl bald damit fertig sein. Ich vermute, daß er etwas im Sinne führt. Rotarms Junge, der lahme, holte neulich abends Barbillon ab, und mir war es, als ob er sich besonders mit meinen Mietsleuten befaßte . . . Wenn er ihnen nur nichts anhaben will! Sobald sein Mietsvertrag abgelaufen ist, muß er weg, keine Minute länger dulde ich ihn im Hause, sondern sage ihm, seine Stube sei an den Mann der Frau von Ildefonse weitervermietet; so heißt die Dame, die bei mir wohnt und von ihrem Gelde lebt.« – »Von ihrem Gelde?« – »Nun, das will ich meinen! Vorn heraus bewohnt sie drei Zimmer und ein Kabinett, alles neu möbliert, zahlt 80 Franks monatlich pränumerando und bekommt einmal monatlich Besuch von ihrem Onkel, der immer vom Lande hereinkommt, wenigstens heißt es so, wenn es vielleicht auch nicht zutrifft.« – »Ja ja, das kennt man schon . . . Der Onkel wird wohl das Geld hergeben, von dem sie lebt.« – »Still! Da kommt ihre Wartefrau.« –

Eine schon bejahrte Frau, die eine Schürze von zweifelhaft heller Farbe vorgebunden hatte, trat über die Schwelle . . . »Was wünschen Sie denn, Frau Charles?« – »Ist Ihr Neffe da, Herr Micou? Herr Badinot läßt bitten, gleich den Brief zur Post zu tragen. Es sei sehr dringlich.« – »In einer Viertelstunde soll der Junge unterwegs sein.«

Die Frau ging wieder . . . »So? Das ist die Wartefrau eines Abmieters von Ihnen, Vater Micou?« – »Nicht doch, die Wartefrau der Dame, die von ihrem Gelde lebt, der Frau von Ildefonse . . . Herr Badinot ist eben der Onkel. Er ist gestern vom Lande hereingekommen . . .« und den Brief betrachtend, sagte er weiter: »Da sieh! Der Mann hat die feinsten Konnexionen, auf dem Briefe steht: An Herrn Vicomte von Saint-Remy, Rue de Chaillot. Höchst eilig. Eigenhändig.« Hat man Damen im Hause, die von ihrem Gelde leben, und deren Oheime mit Vicomtes Beziehungen haben, braucht mans mit den Ausweispapieren nicht so genau zu nehmen.« – »Das ist meine Meinung auch . . . Aber ich will doch lieber meinen Hund draußen anbinden und selbst forttragen, was ich noch auf dem Karren habe. Wie gesagt, haltet mir bereit, was ich bestellt habe, auch mein Geld. Ich will mich nachher gar nicht lange aufhalten.«

Niklas ging. Der Hehler steckte die Kupferzaine hinter einen Schrank und suchte dann zusammen, was Niklas bei ihm bestellt hatte, wurde aber hierin durch den Eintritt einer neuen Person gestört . . . Es war ein Mann mit pfiffigem, durch einen dichten grauen Bart umrahmten Gesicht, der etwa fünfzig Jahre alt sein mochte und eine goldne Brille auf der Nase trug. Er war ziemlich vornehm gekleidet. Unter den schwarzen Samtaufschlägen seines braunen Paletots guckten strohgelbe Handschuhe hervor, und seine Stiefel waren sauber gewichst . . .

Es war kein anderer als der ebengenannte Badinot, der Onkel der Frau von Ildefonse, auf deren Eigenschaft als Mieterin seines Hauses sich Vater Micou soviel zu gute tat. Badinot war Advokat gewesen, aus der Korporation aber ausgestoßen worden und lebte jetzt als Industrieritter und Agent in allerhand zweifelhaften Geschäften, war bekannt geworden mit dem Baron von Graun und hatte ihm wiederholt mit Ausweisen über Personen gedient, die für ihn Interesse hatten . . . »Frau Charles hat Ihnen eben einen Brief gebracht, der gleich besorgt werden sollte,« sagte er zu Micou, »geben Sie mir, bitte, den Brief wieder. Ich habe mich anders besonnen und will selbst zum Vicomte von Saint-Remy, an den der Brief adressiert ist, gehen.« – »Bitte, hier ist der Brief,« versetzte Micou, »sonst hat Herr Badinot nichts zu befehlen?« – »Nein,« antwortete dieser, und sein Gesicht zeigte eine stolze Gönnermiene, »aber Vorwürfe habe ich Ihnen zu machen.« – »Weshalb, mein Herr?« – »Ich dächte, Frau von Ildefonse wäre eine Dame, die sehr hohen Zins bezahlt. Sie ist in der Hoffnung hierher gezogen, in Ruhe zu wohnen, wie auf dem Lande, ohne durch Wagengeräusch undsoweiter behelligt zu werden, und doch ist's hier im Hause recht unruhig . . . So ist meine Nichte gestern einem dicken Menschen auf der Treppe begegnet, der im vierten Stock wohnen soll, und der sternhagelbetrunken die Treppe hinauf humpelte . . . er soll obendrein lahm sein – und soll geschrien haben wie ein Wilder, so daß meine Nichte fast in Krämpfe gefallen ist.« – »O, Herr Badinot, ich warte ja bloß auf einen Anlaß, der mir Grund gibt, den lahmen Wicht vor die Tür zu setzen,« erklärte Micou; »hoffentlich hat Madame nicht noch andere Ursache zu Beschwerde? Neben dem schlimmen Patron wohnt noch ein Briefträger, der aber mit seiner Frau und Tochter so ruhig sich verhält, daß man den ganzen Tag kaum ein Wort hört.« – »Meine Nichte beklagt sich über niemand im Hause als über den lahmen Menschen. Er lastet wie ein Alp auf diesem Hause und wird, wie ich Ihnen wohl sagen darf, noch alle anständigen Einmieter aus dem Hause verjagen.«

Mit diesen Worten entfernte sich Badinot . . . Daß die Dame mit der schönen Tochter, die so einsam lebten, die beiden Opfer der Ferrandschen Habsucht waren, werde ich dem freundlichen Leser nicht erst zu sagen brauchen.


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