Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Viertes Kapitel.

Ein Hinterhalt.

»Still, Mann,« sagte die Eule zu Bakel, als sie den geistlichen Herrn mit Marien durch den Hohlweg gehen sah, »Schickschen und Schwarzer sind eben vorbei. Nach der Beschreibung, die uns der Lahme von ihr gegeben, muß sie es sein. Ist sie auf dem Rückwege bis hierher gekommen, müssen wir über sie herfallen und sie nach dem Wagen schleppen.« – »Und wenn sie schreit?« – sagte Bakel, »du sagst doch, die Häuser seien ganz in der Nähe . . . da wird man das Geschrei doch im Dorfe hören! Nein, laß ihr doch den Lahmen entgegengehen und ihr sagen, seine alte Mutter sei im Hohlwege gestürzt und sie solle ihr zu Hilfe kommen. Ist sie in der Mitte des Hohlwegs, dann fallen wir über sie her. Du packst sie mit der einen Hand an der Gurgel, mit der andern hältst du sie fest. Dann packen wir sie in meinen Mantel und schleppen sie bis zum Wagen. Dann im Trabe nach der Ebene von Saint-Denis, wo der lange Mann in Trauerkleidern auf uns warten will.«

»Abgemacht, Mann,« erwiderte, lustig lachend, die Eule, »du bist doch immer der klügste! Ja, das nenne ich doch noch einen Mann!« Und zu dem Lahmen sich wendend, fragte sie: »He, Strick, du möchtest wohl gern wissen, wovon wir reden? Na, wenn du hübsch artig bist, dann wollen wir dich schon unser Rotwelsch noch lehren. Alt genug bist du ja nun dazu.« – »Ach ja, lassen Sie es mich lernen, gute Frau,« sagte der Junge, »lieber bleibe ich ja bei Ihnen als bei dem alten Scharlatan, dem ich immer Gewürze stoßen oder das Pferd putzen muß. Wüßte ich nur, wo er sein Rattengift für Menschen versteckt, dann täte ich ihm gern was in die Suppe, um von ihm loszukommen.«

»Oho, woher weißt du denn,« fragte die Eule, »daß dein Herr Rattengift für Menschen hat?« – »Er hat's selber mal gesagt, als ich im schwarzen Kabinett mich versteckt hatte, wo er seine Flaschen und Apparate aufstellt, und wo er in den kleinen Töpfen und Flaschen kocht. Zu einem Herrn sagte er's, dem er ein Pulver in einem rosa Papiere gab: wer davon dreimal was bekäme, der müßte unter die Erde, ohne daß jemand wüßte, wie und warum, und ohne daß eine Spur davon übrig bliebe.« – »Und wer war der Herr?« fragte Bakel. – »Ein schöner junger Herr, mit schwarzem Schnurrbart und einem richtigen Mädchengesicht. Er ist nachher noch einmal gekommen und da hat mich der Bradamanti ihm nachgeschickt, weil er wissen wollte, wo er wohnt. Auf diese Weise habe ich den Namen des Herrn erfahren. Er wohnt in der Rue de Chaillot Nr. 11 und heißt Saint-Remy.«

»Ei, du bist ja ein Bengel zum Anbeißen,« rief die Eule, dem kleinen Lahmen einen Kuß gebend, »über deine Pfiffigkeit geht so bald nichts, wie es scheint.« – »Ja,« sagte der Schulmeister, »du sollst mich armen Blinden führen und den Leuten sagen, du seiest mein Sohn. So schleichen wir uns in die Häuser, und, potz alle Teufel! wenn uns die Eule getreu bleibt, dann werden wir manchen guten Fang machen. Diesem Teufel von Rudolf, der mir die Augen ausstechen ließ, will ich schon zeigen, daß ich noch nicht am Ende meiner Taten angelangt bin. Die Neigung zum Schlimmen hat er mir nicht aus dem Herzen reißen können. Ich werde hinfort der Kopf von uns sein, während du das Auge bist, Junge, und die Eule die Hand. He, du bist doch mit dabei?« –

»Ja, ich gehöre dir an für Strick und Galgen, Mörderchen!« sagte die Eule, »bin ich doch gleich, als ich aus dem Stockhause kam und im Weißen Kaninchen hörte, wo du stecktest, zu dir aufs Dorf hinausgerannt und habe den Leuten dort gesagt, daß ich deine Frau sei.« –

Diese Worte weckten im Herzen Bakels eine schlimme Erinnerung; er änderte auf einmal den Ton und die Sprache und rief mit zorniger Stimme: »Ja, so mitten allein unter rechtschaffenen Menschen wurde es mir langweilig. Da kam ich auf den Einfall, es wieder mit dir zu versuchen; aber bekommen ists mir schändlich; denn schon am andern Tage war mir mein Geld aus dem Gürtel gestohlen. Kein anderer kanns mir gemaust haben als du! Warum schlage ich dich nicht auf der Stelle nieder, sobald du mir mal nahe kommst? Aber – der Teufel soll mich holen! Ich bin nun ganz in deine Hände gegeben, seit ich das Augenlicht verloren habe.« – Und doch machte er einen Schritt in der Richtung, wo er die Eule vermutete. Ihr zum Schutze hob der lahme Junge einen Stein auf und zielte damit nach Bakel, den er damit an der Stirn verwundete. Wild wie ein verwundeter Stier, richtete Bakel sich in die Höhe, machte ein paar Schritte, strauchelte jedoch bald . . . »Brich den Hals, Luder!« keifte die Eule und lachte, denn trotz der blutigen Bande, die sie an diesen Unhold fesselten, war es ihr doch lieb, ihn unschädlich gemacht zu sehen, so daß er von seiner Riesenkraft, auf die er sich einst soviel zu gute getan, keinen Nutzen mehr hatte. Der lahme Junge blies in ihr Horn. Als Bakel zum zweiten Male stolperte, rief er: »Aber, Alterchen, mach doch die Augen auf! Oder hast du dir deine Brille nicht recht geputzt?«

Der Hüne sah sich außerstande, den Jungen zu fassen. Wütend stampfte er auf den Boden, legte die geballten Fäuste über die Augen und brüllte wie ein Tiger, dem sein Bändiger einen Maulkorb angelegt hat . . .

»Warum redest du solchen Unsinn von deinem Gelde?« fragte die Eule hämisch; »weshalb soll ich es dir mausen? Ich dächte, für mich wäre es bequemer, du trügest es für mich?« – »Außer dir ist niemand in meiner Kammer gewesen,« versetzte der Räuber, »wen soll ich außer dir im Verdacht haben? Nachts bist du drin gewesen und hast mir mein Geld gemaust,« wiederholte er. – »Aber rede doch keinen Unsinn!« sagte sie, »wäre ich denn jetzt noch bei dir, wenn ich dein Geld hätte? Sei doch nicht so dumm! Hätte ich es, dann wäre ich wenigstens so lange von dir weggelaufen, bis es zu Ende war. Dann aber hättest du mich gewiß wiedergesehen, denn seitdem du keine Pupillen mehr hast, Mörderchen, gefällst du mir noch einmal so gut. Also sei artig und beiß dir die Zähne nicht aus Wut entzwei!«

»Du hast recht,« stöhnte der Blinde; »es ist mein Fatum! Es war nicht recht von mir, dich solches Diebstahls zu beschuldigen, auch nicht, den Lahmen schlagen zu wollen. Seid mir beide nicht böse deshalb,« bettelte er. – Der Lahme aber sagte lachend: »Wenn wir dir nicht böse sein sollen, Alterchen, dann mußt du uns kniefällig um Verzeihung bitten.« – »Nein! Hat der Strick gute Einfälle!« rief die Eule lachend; »ei! es muß doch ein famoser Anblick sein, dich mal auf den Knien zu sehen, Mörderchen! Also kniee nieder, wie wenn du deiner Eule eine Liebeserklärung machen wolltest. Geschwind, geschwind! Oder wir laufen weg von dir, und in einer halben Stunde ists Nacht – was willst du dann allein anfangen? Also geschwind, geschwind!«

»Was tuts ihm, ob es Tag ist oder Nacht?« sagte der Lahme; »seine Fenster sind doch immer vernagelt!«

Der Räuber aber ließ sich auf die Knie fallen und bettelte, hin und her rutschend, beide um Verzeihung und fragte dann: »So! Nun habe ich euch nach Wunsch getan. Seid ihrs zufrieden? Aber nun werdet ihr mich doch nicht im Stiche lassen?« – »Aber warum sollten wir es, wenn du artig bist, Mörderchen?« antwortete die Eule: »nein, nein! Sei ohne Furcht. Ehe ich dich im Stiche lasse, will ich lieber mein Leben lassen. Ich hab immer einen Mann gern bei mir gehabt. Wozu seid ihr Männer denn auf der Welt, als um uns her zu sein? Und wärs auch bloß, um an ihm seine Wut auslassen zu können! Vor dem hübschen Balge, das mir der Teufel wieder in die Hände spielen möchte – denn ich habe noch immer meine Idee, ihr mit Scheidewasser die Fratze zu ruinieren – habe ich einen Jungen gehabt, ders aber nicht bei mir aushalten konnte und bald das Zeitliche segnete. Dafür habe ich sechs Jahre brummen müssen. Nachher habe ich Vögel gequält, und nicht wenige lebendig gerupft; aber das ist mir bald langweilig geworden, denn keiner hats lange ausgehalten. Als ich aber aus dem Stockhause kam, fiel mir die Schalldirne in die Hände, und der hab ich das bißchen Leben verteufelt sauer gemacht; aber sie riß mir aus. Dann hab ichs mit einer Hündin probiert, aber das Biest biß mich einmal, daß ich acht Tage lang die Hand nicht brauchen konnte. Zur Strafe habe ich ihm eine Vorder- und eine Hinterpfote abgeschnitten und mich dann an dem Anblicke gegeckt, wenn er zu laufen probierte. Aber er ist auch bald krepiert. Na, und nun bist du an der Reihe, Mörderchen; jetzt sollst du mein Sündenbock sein für alles, was ich noch gegen Welt und Kreaturen auf dem Kerbholze habe. Du bist ein starker Kerl, und dich zu quälen bis aufs Blut, muß ein ganz anderes Vergnügen sein, als einen Vogel zu rupfen, ein Kind zu schinden oder einem Hunde die Pfoten abzuschneiden . . . Verstehst du, Mörderchen? Na, komm, wir wollen mal anfangen!«

Und sie griff nach einem Stricke und warf ihn ihm über die Schultern. Dann zog sie an und schrie: »Hü, hü! Lauf, Gaul! Kusch dich, Hund! Beiß, Luder, beiß! Aber schneide doch kein so grimmiges Gesicht, Mörderchen! Wenns dir nicht paßt, Mörderchen, dann sags! Tu dir keinen Zwang an, sondern sags frisch von der Leber weg! Lauf, wohin dirs paßt, und laß uns im Stich! Die Welt steht dir ja offen . . . nicht wahr, lahmer Strick? Hab ich recht oder nicht?«

»Freilich kann er laufen, wohin es ihm beliebt. Immer der Nase nach, Alter! Nur immer hübsch der Nase nach!« rief der Junge und wollte sich ausschütten vor Lachen. Jäh aber brach er ab, denn es hallten Schritte im Hohlwege wider. Kurz nachher kam eine rüstige Bäuerin, einen Korb auf dem Kopf tragend, mit einem großen Hunde neben sich, durch den Hohlweg, um dann auf dem Pfade weiter zu gehen, den vor ihr der Geistliche mit dem Mädchen gegangen war.


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