Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Mutter und Sohn.

Dem Leser ist der Mann nicht mehr fremd, der jetzt auf die Bühne unserer Handlung tritt, hat er ihn doch schon aus einigen Worten der Wölfin zu der Schalldirne oder Marienblümchen kennen gelernt! Der Liebste des unter dem Namen Wölfin in der Verbrecherwelt von Alt-Paris bekannten Frauenzimmers sah seinen Geschwistern Franz und Amandine ähnlich, war von Mittelgröße, stark und breitschulterig. Sein männliches Gesicht gewann durch den dichten, starken Bart, die breite, vorspringende Nase, die runden Backen und die blauen, kecken Augen. Er trug einen alten steifen Hut, trotz der starken Kälte nur eine verschlissene blaue Bluse über der Jacke und Beinkleider von grobem, ebenfalls schon stark abgeschabtem Manchestersamt. In der Hand hielt er einen derben Knotenstock. In seiner Begleitung befand sich ein kräftiger, rotgefleckter krummbeiniger Hund, der sich vor die Tür kauerte und mißtrauisch schnoperte . . .

»Wo sind die Geschwister?« war Martials erste Frage, als er sich an den Tisch setzte. – »Wo sollen sie sein?« fragte tückisch die Schwester, und die Mutter sagte grob: »Im Bett liegen sie.« – »Haben sie auch gegessen?« fragte Martial wieder. – »Was scherts dich?« fragte Niklas grob; »wir konnten sie zu dem, was wir zu reden hatten, nicht gebrauchen und haben sie deshalb hinaufgeschickt. Ist's dir nicht recht, dann geh doch hinauf zu ihnen!«

Martial heftete einen verwunderten Blick auf den Bruder, zuckte die Achseln, schnitt ein Stück Brot ab, nahm sich ein Stück Fleisch dazu und goß sich ein Glas voll Wein. Da befahl die Mutter der Schwester, den Wein wegzutragen. Martial wehrte ihr mit den Worten, er sei noch nicht fertig mit Trinken. – »Schlimm genug,« sagte die Mutter, »ich habe aber keinen Wein mehr für dich übrig.« – »Das ist was anderes,« sagte drauf Martial und goß sich sein Glas voll Wasser, trank es auf einen Zug aus und sagte: »Schmeckt auch, besonders wenn es so frisch vom Brunnen ist.«

Seine Kaltblütigkeit reizte Niklas, der durch den vielen Weingenuß in heftiger Erregung war, aber vor einem Zanke noch zurückschreckte, weil er seines Bruders Leibeskraft sattsam kannte. Plötzlich aber kam ihm ein Einfall, und er rief: »Recht so, Martial, daß du nachgibst, daran solltest du dich überhaupt gewöhnen, denn bilde dir nicht etwa ein, daß wir deiner Liebsten mehr vorsetzen werden als dir, wenn du dirs mal einfallen lassen solltest, sie mit herzubringen.« – »Aber Maulschellen könnte sie von mir kriegen, wenn sie sich mal hier sehen ließe,« rief grimmig die Schwester. –

Diese kränkenden Reden über seine Liebste brachten Martial aus seiner Ruhe; er war dem Mädchen von ganzem Herzen zugetan, und jedes schlimme Wort über sie brachte ihn außer sich. Auch jetzt schoß ihm das Blut ins Gesicht, die Adern an der Stirn spannten sich wie Stricke, aber noch immer behielt er soviel Herrschaft über sich, daß er mit nur leicht vom Zorn getrübter Stimme zu Niklas sagen konnte: »Du, nimm dich in acht! Kein böses Wort über mein Mädel, sonst hast du es mit mir zu tun!« – »Und wenn ich über sie rede?« fragte die Schwester hämisch. – »Dann werde ich dir erst in aller Güte raten, den Mund zu halten, und wenn das nicht hilft . . .« – »Still!« rief die Mutter, »was du der Schwester sagen willst, wirst du der Mutter wohl nicht zu sagen wagen, wenn sie über die – Dirne sich aussprechen will?«

»Du?« fragte Martial – »du auch?« Und als die Mutter nickte, sprang er auf und rief: »Nein, an dir werde ich mich nicht vergreifen, statt deiner aber an meinem Bruder, dem Niklas!« – Der aber sprang wie rasend auf und schwang sein langes Messer . . . »Was redest du?« schrie er, »mich prügeln wolltest du? Sprichst du im Ernste?«

»Niklas,« rief die Mutter, »das Messer weg! Hörst du?« Und mit schnellem Griffe hatte sie sein Faustgelenk gepackt. Die Schwester aber rief: »Laß ihn doch!« und griff nach einem Beile. Mit hocherhobenem Messer stürzte sich Niklas auf den Bruder, der, ein gewandter Stockschläger, schnell den Oberkörper zurückbog, den Stock hob und dem Bruder einen so wuchtigen Hieb auf den rechten Vorderarm gab, daß dieser vor Schmerz aufschrie und das Messer fallen ließ. Im andern Augenblick hatte ihn Martial am Kragen gepackt und bis zur Tür gestoßen, die zu dem kleinen Keller hinunter führte. Mit der einen Hand riß er die Tür auf, mit der andern stieß er den Bruder in das schwarze Loch hinein, der wie ein Klotz betäubt dort niederschlug.

Nun kehrte Martial in die Stube zurück, packte die Schwester an der Schulter und sperrte sie, allem Geschrei und Toben zum Trotz, in dem niedrigen Saale der Schenkstube ein, hatte es aber nicht verhindern können, daß sie ihn mit einem Beilhiebe an der Schulter verwundete . . . »Nun, Mutter,« sagte er kalt, »haben wir es bloß noch beide miteinander zu tun.« – »Ja,« versetzte das Weib, »bloß noch wir beide miteinander!« und ihr kaltes, bleiches Gesicht überzog sich mit jäher Zornesröte, ihre fast erloschenen Augen fingen zu funkeln an in wildem Hasse . . . »ich habe schon lange hierauf gewartet, und endlich sollst du hören, wie es mir ums Herz ist.« – »Das sollst du auch von mir, Mutter!« – »An diese Nacht sollst du denken, und wenn du hundert Jahre alt würdest . . .« – »Recht so, Mutter! Du hast die Hand nicht gehoben, als du sahest, daß Bruder und Schwester mich ermorden wollten . . . nun sage wenigstens, was habt ihr alle wider mich?« – »Du bist seit Vaters Tode eine erbärmliche Memme!« rief die Mutter: »du faulenzest und lebst auf meine Kosten.« – »Kannst du das sagen, Mutter?« erwiderte Martial finster, »gebe ich dir nicht, was mir der Fischfang bringt? Gebe ich dir nicht alles Geld, das ich sonst verdiene? Wenn es auch nicht gerade viel ist, so ist's doch ausreichend, denn was koste ich dir denn? Ich wollte Schlosser werden, um mehr zu verdienen: wer sich aber von Jugend an im Walde und auf dem Flusse herumgetrieben hat, taugt nicht für die Arbeit in Wohnräumen. Solche Menschen sind eben verdorben für Lebenszeit . . . Und ich bin auch im Walde und auf dem Flusse immer am liebsten allein gewesen, denn ich habs nicht gern, wenn ich viel gefragt werde, am wenigsten will ich gefragt sein nach dem Vater, denn läßt sich etwa abstreiten oder verheimlichen, daß er sein Leben auf dem Schafott verblutet hat? Und fragt mich jemand nach dem Bruder, kann ich dann in Abrede stellen, daß er auf Lebenszeit zu den Galeeren verurteilt worden, kann ich abstreiten, daß die Schwester schon wegen Diebstahls bestraft worden ist?«

»Na, und wenn dich jemand nach deiner Mutter fragt, was sagst du dann?« – »Die Mutter, sage ich, ist über all dem gestorben,« antwortete Martial finster. – »Recht so,« versetzte die Frau, »ich nenne dich auch zu niemand meinen Sohn, denn du zeigst dich eben nicht als Martial, dessen Bruder im Bagno sitzt und dessen Vater unter dem Henkerbeile verblutet ist. Auch du solltest Beil und Bagno trotzen und ein Ende suchen wie Vater und Bruder, solltest ein Leben führen wie Mutter und Schwester!«

Martial überrieselte es kalt, trotzdem er solche Worte schon oft aus dem Munde der Mutter gehört hatte, die jetzt mit wachsendem Ingrimm fortfuhr: »Du bist aber ebenso dumm wie feige. Willst ein ehrlicher Mensch sein? Du als der Sohn eines Mörders? als der Bruder eines Galeerensträflings? Statt dich gleich uns an der menschlichen Gesellschaft zu rächen, drohst du uns bloß Verderben, und deshalb wirst du hinfort unser Haus meiden, wirst nie wieder deinen Fuß hierher setzen!«

Martial blickte die Mutter verblüfft an. Eine Weile verging, ohne daß von einem der beiden ein Wort fiel. Dann versetzte er: »Nun, Ihr habt heute den Zank mit mir vom Zaune gebrochen . . .« – »Gewiß,« antwortete die Mutter, »um dir zu zeigen, was dich erwartet, wenn du wider unsern Willen hier verweilen solltest. Die Hölle hättest du hier – verstehst du? Tag für Tag soll es zugehen wie heute, und nicht allein werden wir hinfort hier abends sein, sondern werden gute Freunde zu uns laden, die uns Hilfe und Beistand wider dich leisten werden – keine acht Tage sollst du es bei uns aushalten!« – »Und doch sage ich dir, Mutter, daß ich nicht von hier gehen werde! Erst werde ich Mittel und Wege suchen, meine beiden Geschwister anderswohin zu bringen. Wären sie nicht auf der Welt, dann stünden die Dinge anders. Dann wendete ich euch auf der Stelle den Rücken. Aber gewissenlos und feige wäre es, sie in euren Händen zu lassen! Also bis ich meine beiden Geschwister versorgt weiß, bleibe ich hier und lasse mich nicht davon abbringen.«

»So? Also trotzen willst du uns?« rief die Mutter. »Nun, ich habe dir gesagt, an diese Nacht sollst du denken, solange du lebst, und wenn du das hundertste Jahr erreichtest . . . Also höre mich! Du hast doch nicht vergessen, was in der letzten Weihnachtsnacht hier vorgefallen ist? Daß Rotarm einen gutgekleideten Herrn mit hierher brachte, der alle Ursache hatte, sich eine Zeitlang versteckt zu halten?« – »Ja. Ich ging schlafen und ließ euch allein mit ihm. Nachts kam er her, und am andern Tage hat ihn Niklas nach Saint-Ouen geführt.« – »Du bist im Irrtum, Martial, denn der Mann hatte viel Geld bei sich und hat hier sein Leben gelassen, ist hier ausgeraubt worden und liegt drüben im Holzstalle verscharrt.« – »Das ist nicht wahr,« schrie Martial, außerstande, an dieses neue Verbrechen der Seinigen zu glauben, »du willst mich nur in Schrecken jagen, Mutter!« – »Nun, dann frage doch deinen Bruder Franz, an dem du mit so großer Liebe hängst. Er mag dir sagen, was er heut morgen im Stalle gesehen hat.« – »Franz? Und was hat er gesehen?« – »Ein Bein von einer Leiche . . . Aus der Erde soll es hervorgucken. Nimm doch die Laterne und überzeug dich davon!« – »Mutter, Mutter.« rief Martial, »das glaube ich nicht!« und er schlug beide Hände vor sein totenbleiches Gesicht. – »Na, dann geh doch hinüber und sieh nach!« erwiderte die Mutter mit höhnischem Gelächter.

Martial war wie vom Blitze getroffen. Zweifel an der Wahrheit der von der Mutter gesprochenen Worte konnte er kaum noch haben, und mit Schrecken gedachte er der Möglichkeit, daß ihn sein Zusammenleben mit den Verbrechern in den Verdacht der Teilnahme bringen, ja daß ihn Mutter und Bruder und Schwester als ihren Mitschuldigen vor Gericht angeben könnten!

Wieder entstand eine lange Pause. Endlich blickte Martial auf und antwortete entschlossen: »Nun, wenn die Dinge sich so verhalten, so werde ich wohl nach wie vor hier bleiben, bloß nicht bei euch in eurem Hause, denn mein Bruder würde mir nach dem Leben stellen, und die Schwester nicht minder. Da ich aber kein Geld habe und mir also bei fremden Leuten eine Wohnung nicht mieten kann, werde ich mich in dem Schuppen auf der Insel einquartieren. Er hat eine feste Tür, und ich werde sie noch sichern. Dort verbarrikadiert, mit Flinte, Stock und Hund, fürchte ich Tod und Teufel nicht. Morgen früh nehme ich meine jungen Geschwister mit hinüber, tagsüber mögen sie bei mir im Boote bleiben, oder wo ich mich sonst aufhalte, und Abends nächtigen sie bei mir in der Hütte. Was wir zur Leibesnahrung und Notdurft brauchen, bringt uns der Fischfang, und mit der Zeit werde ich schon ein besseres Unterkommen für sie finden.«

»So? Und du bildest dir ein, wir würden das zugeben?« fragte die Mutter mit höhnischem Lachen. – »Mutter, macht was ihr wollt, von der Insel gehe ich auf keinen Fall, und von den jüngeren Geschwistern lasse ich auf keinen Fall. Nun wißt ihr meinen Bescheid! Treibt mich von der Insel weg, wenn Ihr es könnt . . . probiert es! Gutwillig gehe ich nicht.« Mit diesen Worten stand er auf, steckte sich Licht an, machte die Küchentür auf und pfiff seinem Hunde, der freudig winselnd zu ihm herangekrochen kam und ihm in das obere Gestock der Hütte nachschlich. Martial ging ohne Argwohn hinauf, in der Meinung, Niklas werde bis zum Morgen in den Keller eingesperrt bleiben. Als er aus der Kammer, in der die beiden Kinder hausten, einen Lichtstreif sah, trat er hinein. Beide kamen ihm entgegengeeilt, und er küßte sie beide . . .

»Nun, schlaft ihr noch nicht?« fragte er. – »Nein, Bruder Martial, wir haben auf dich gewartet,« sagte Amandine, und Franz setzte hinzu: »Wir hörten unten auch laut sprechen, und hatten Bange, daß ihr euch zusammen zanken möchtet.« – »Nun, ihr habt auch nicht unrecht gehabt,« erwiderte Martial: »es hat Zwist gesetzt zwischen mir und dem Niklas. Sagt mal: wäre es euch recht, wenn ihr mit mir weg von hier ginget?« – »Ach ja, Bruder,« riefen beide wie aus einem Munde, »ach ja!« – »Nun, so richtet euch drauf ein, daß wir in ein paar Tagen den Fuß von der Insel setzen werden.« – »Ach, wäre das ein Glück!« rief Amandine, freudig in die Hände klatschend. – »Und wohin wollen wir gehen?« fragte Franz. – »Du wirst's schon sehen,« versetzte Martial, »ich werde dich bei einem Tischler oder Schlosser in die Lehre bringen. Du bist stark und gewandt, und wenn du fleißig bist, so kannst du schon in einem Jahre dir dein Taschengeld verdienen. Und für Amandine wird sich auch eine Gelegenheit finden, wo sie etwas lernen kann.« – »Ach ja, Bruder,« rief das Mädchen, »das möchte ich! das möchte ich für mein Leben gern! Ach! Wie gern werde ich mit dir und Franz den Fuß von hier setzen!« – »Aber, Kind, was hast du denn um den Kopf gewunden?« fragte er die kleine Schwester. – »Ein Tuch, das mir Niklas geschenkt hat.« – »Mir hat er auch eins geschenkt,« setzte Franz hinzu. – »Und woher wird er sie haben?« fragte Martial; »meint ihr, er habe sie gekauft?« – »Er hat sie aus der Kiste genommen,« sagte Amandine, »die er heut abend mit dem Boote hergebracht hat.« – »Und die er gestohlen hat! Nicht wahr?« sagte Martial. – »Kann wohl sein, Bruder,« antworteten Franz und Amandine wie aus einem Munde. – »Gebt mir die Tücher her,« sagte Martial; »morgen früh soll Niklas sie wiederhaben; ihr hättet sie überhaupt nicht von ihm nehmen dürfen! Wer von einem Diebe gestohlenes Gut nimmt, ist ebenso strafbar wie der Dieb selbst.«

Martial ging, die Kinder blieben allein und unterhielten sich noch eine Weile über den Verlust der Tücher, die ihnen beiden über die Maßen gefallen hatten und die sie beide recht gern behalten hätten . . . Da hörten sie, daß draußen der Schlüssel in der Tür herumgedreht wurde . . . »Schwester,« rief Franz, »wir werden eingesperrt . . . warum denn?« – »Ach, Bruder, vielleicht will man uns was zu leide tun?« – »Höre nur, Schwester,« sagte Franz, »klingts nicht, als wenn man mit Hämmern gegen Martials Tür schlüge? Höre doch nur! Das klingt ja gerade als würde etwas festgenagelt . . . Und Martials Hund winselt kläglich!« – »Franz, Franz, ich ängstige mich,« schrie Amandine, »was hat man wider unsern guten Martial vor? Sein Hund winselt ja schrecklich!« –

Franz schlich zur Tür hin. Es war aber schon still draußen geworden. Weder er, noch die Schwester getrauten sich, zu atmen; aber sie lauschten und lauschten, bis sie auf einmal sich bei Namen rufen hörten . . . »Martial ruft uns!« flüsterte Amandine, »Gott! Was gibt es nur? – Die Küchentür ist aufgemacht worden, ich habs ganz deutlich gehört.« – »Höre nur, Schwesterchen, der Hund heult schon wieder.« – »Ach Gott! Daß wir nicht aus der Kammer heraus können! Wir können dem armen Bruder gar nicht helfen.« – »Könnte ich hinaus,« rief Franz, »dann versuchte ich mein Aeußerstes, dem Bruder zu helfen, und wenn man mich gleich in Stücke hiebe!« – »Ach, der arme Martial weiß gewiß nicht, daß man uns eingesperrt hat, und wird nun denken, wir wollen ihm nicht zu Hilfe kommen! Rufe ihm doch zu, daß man uns eingesperrt hat, Franz!«

Eben schickte sich Franz an, diesem Rate seiner kleinen Schwester zu folgen, als von außen gegen das Ladenfenster ein heftiger Schlag geführt wurde . . . »Sie wollen zu uns herein, Franz,« rief Amandine und kroch in den äußersten Winkel der Kammer, »sie wollen sicher auch uns umbringen!« – Franz teilte zwar die Furcht seiner Schwester, blieb aber auf dem Flecke stehen, wo er stand, ohne ein Glied zu rühren. Trotz der kräftigen Schläge gab der Laden nicht nach, und jetzt herrschte in dem Hause die tiefste Stille. Martial rief nicht mehr. Franz aber, von unwiderstehlicher Neugierde getrieben, versuchte das Fenster ein wenig aufzumachen, um zwischen den Ritzen der Jalousien hindurch zu lugen . . .

»Sieh dich vor, Franz,« warnte ihn Amandine, die sich, als sie das Fenster knarren hörte, noch tiefer in ihren Winkel verkroch . . . »Sprich! Siehst du was?« – »Laternenschein,« versetzte Franz, »Kürbis steht auf der Leiter . . . Sie ruft jemand zu, der unter ihr steht, er möge festhalten.« – »Sicher wollen sie zu Martial durchs Fenster steigen!« – »Kann sein.« – »Sieh doch zu, ob du durch die Jalousie etwas wahrnehmen kannst?« – »Nein, die Mutter könnte es merken. Aber die Leiter ist jetzt an Martials Fenster gelehnt, das kann ich sehen, und nicht Kürbis steigt hinauf, sondern Niklas, mit einem Beile in der Hand . . .«

Da hörten die Kinder die kreischende Stimme der Mutter . . . »Was? Ihr Satansbrut seid noch nicht zu Bett? Laßts euch nicht einfallen, zu spionieren?« – Die armen Kinder hatten vergessen, ihr Licht auszublasen, und die schlimme Frau hatte, als sie nach der Küche ging, den Lichtschein bemerkt . . . »Wartet, ich will euch Maul und Augen stopfen! Ihr sollt mich kennen lernen!« Und rasend vor Wut stürmte, die Frau aus der Küche und die Treppe hinauf zu der Kammer, in welcher die Kinder hausten . . .

Solches trug sich auf der Seine-Insel, die den Süßwasserpiraten zum Schlupfwinkel diente, zu, am Abend vor dem Tage, an welchem die Seraphim die Schalldirne zu Martials bringen sollte . . .


 << zurück weiter >>