Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Fünftes Kapitel.

Was Herr und Frau Pipelet zu erzählen hatten.

Herr und Frau Pipelet kamen wirklich recht vergnügt an: Alfred, wie immer mit dem Hute auf dem Kopfe, der nur selten den Weg hinunter fand, im stattlichen tannengrünen Fracke, der in jedem Frühling einen ganz besonderen Glanz anzunehmen schien; mit dem schmucken weißen Halstuche mit den sauber gestickten weißen Enden, und dem Vatermörder von mächtiger Größe darüber, der seine Backen halb bedeckte; mit der hellgelben braungestreiften Schoßweste endlich, die im Verein mit den leider ein bißchen knappen und kurzen schwarzen Pantalons, den blendend weißen Strümpfen und den sonntäglich gewichsten Schuhen ihm ein beinahe geckenhaftes Aussehen verliehen.

Frau Anastasia Pipelet prangte in einem Kleide aus amarantfarbenem Merino, von dem ein tiefblauer Schal grell abstach. Sie prahlte nicht minder mit ihrer frisch aufgestutzten Perücke und mit dem Häubchen, daß sie wie eine kleine Tasche am Arme trug und dessen grüne Bänder mit den großen gleichfarbigen Schleifen sie fürsorglich zusammengesteckt hatte.

Das in der Regel so ernste, so nachdenkliche und letzterzeit häufig so niedergeschlagene Gesicht ihres Alfred flammte heute tatsächlich vor Freude, und sobald er Luisens und Lachtäubchens von weitem ansichtig wurde, kam er auf sie zugesprungen und sprach leise die Worte: »Endlich befreit! Endlich los und ledig!« – »Ach, lieber, Herr Pipelet,« sagte Frau Germain, »wie fidel Sie heute aussehen! Was ist Ihnen denn so Glückliches passiert?«

»Ich sage es Ihnen doch, liebes Fräulein oder vielmehr gnädige Frau! Ich bin ihn endlich los! Weg ist er, sollte, konnte, wollte ich sagen, denn es ist mit Ihnen justament wie mit Anastasia, wie es justament auch mit Ihrem Manne ebenso ist wie mit mir!«

»Sehr freundlich, lieber Herr Pipelet, daß Sie mir das sagen,« antwortete Frau Germain, »aber ich weiß noch immer nicht, von wem Sie reden . . . Also sagen Sie mir doch, bitte, erst einmal: Wer ist fort?«

»Cabrion ist fort!« rief Pipelet und holte mit unsäglicher Freude tief Atem, wie wenn ihm eine ungeheure Last abgenommen worden wäre . . . »Cabrion verläßt Frankreich auf Nimmerwiedersehen . . . für alle Ewigkeit . . . kurz und gut, Cabrion ist – fort!«

»Was Sie sagen!« rief Frau Germain, und Frau Anastasia zuckte spöttisch die Achseln. – »O, spiele meinetwegen Fußball mit deinen Schultern,« eiferte Pipelet, »und Sie, mein Fräulein, oder vielmehr gnädige Frau, Sie haben gar keine Ursache, die ungläubige Thomassin zu spielen, denn ich habe ihn gestern mit meinen leibhaftigen Augen leibhaftig in den Straßburger Eilpostwagen einsteigen sehen, mitsamt seinen Effekten.«

»Was schwatzt Ihnen mein Alter da vor?« rief Anastasia, der es zu bunt wurde, was der Reden alles aus ihres Mannes Munde fielen . . . »ich wette, er schwatzt noch eine ganze Stunde von seinem Cabrion! Hat er doch auch schon auf dem Herwege in einem fort nur von diesem »lieben« Menschen geschwatzt! Wenn er sich nur ein klein wenig ruhig verhalten wollte, statt in einem fort zu zappeln und zu schwadronieren.«

»Aber, mein liebes Weib! Wie soll ich mich nicht zappelig verhalten? Gehöre ich doch der lieben Erde erst wieder an, seit ich den Cabrion von meinen Schößen geschüttelt habe! Ist's mir doch immer, als hätte ich Flügel, und als schwebte ich hoch oben im Aether! – Juchhe! der Cabrion ist fort, und wiederkehren wird er kaum! wiederkehren wird er nimmer!«

»Gott sei Dank, daß der Böse fort ist.« – »Rede nichts Böses von einem Abwesenden, Anastasia; mich macht Glück nachsichtig.« – »Und wie erfuhren Sie, daß er nach Deutschland reist?« fragte Lachtaube. – »Durch einen Freund meines besten Mieters. – Bei diesem prächtigen Manne fällt mir etwas ein; wissen Sie schon, daß Alfred durch die Empfehlung des Herrn Rudolf zum Verwalter bei dem Leihhause und bei der Armenbank ernannt worden ist, die in unserm Hause durch eine fromme Seele gegründet worden, deren Adlatus doch sicher Herr Rudolf war?« – »Das trifft sich ja herrlich!« fiel Lachtaube ein; »und mein Mann ist Direktor eben dieser Bank geworden, ebenfalls durch Vermittelung des Herrn Rudolf,« – »Sehen Sie!« rief Madame Pipelet vergnügt; »desto besser! Alte, bekannte Gesichter sehe ich immer lieber um mich als neue. Um aber auf Cabrion zurückzukommen, denken Sie sich, ein großer, alter Herr mit Glatze, der uns die Wahl Alfreds für den neuen Posten anzeigte, hat sich bei uns erkundigt, ob nicht ein gewisser Cabrion, ein äußerst talentvoller Maler, bei uns gewohnt hätte. Wie mein Alter den Namen Cabrion hört, will er schier aus der Haut oder gleich in seine Stiefel fahren – glücklicherweise setzte der große, dicke Herr mit der Glatze hinzu: ›Der junge Herr wird nach Deutschland reisen; ein sehr reicher Mann nimmt ihn mit dorthin, um von ihm Arbeiten ausführen zu lassen, die ihn jahrelang beschäftigen werden; vielleicht bleibt er sogar ganz dort.‹ Darauf nannte der Herr noch Tag und Stunde, wann Cabrion abreisen werde.«

»Und mir war das unerwartete Glück beschieden, im Postmeldebureau zu lesen: ›Herr Cabrion, Maler, fährt nach Straßburg und ins Ausland.‹ Die Abreise war auf heute früh festgesetzt, und ich war mit meiner Gattin im Packhof.« – »Ja, wir haben den Bösewicht in das Abteil neben dem Dienstcoupé steigen sehen.« – »Und gerade als die Pferde anzogen, sah mich Cabrion und erkannte mich. Er bog sich heraus und rief mir zu: »Ich verlasse dich auf Nimmerwiedersehen! Dein auf ewig« – Glücklicherweise erstickte das Posthorn die letzten Worte wie das unanständige Du, das ich verachte. Gott sei Lob und Dank! Wir sind ihn los!«

»Und für immer, glauben Sie mir, Herr Pipelet!« sagte Lachtaube, sich nur mit Mühe des Lachens enthaltend. »Aber was Sie nicht wissen und was Sie wundern wird, Herr Rudolf war –«

»Herr Rudolf war . . .?«

»O, Herr Rudolf war ein maskierter Fürst . . . Herr Rudolf war eine königliche Hoheit!« – »Ach, das sind ja Narrenspossen!« sagte Frau Anastasia. – »Und ich schwöre es – bei – meinem Manne!« rief Frau Germain, alias Lachtaube, mit der feierlichsten Miene, die sie schneiden konnte.

»Mein allerbester Mieter, seit ich ein Haus verwalte, Königliche Hoheit?« rief Anastasia, vor Staunen die Hände über ihrem kahlem Kopfe zusammenschlagend. »Ach, gehen Sie! Das kann doch nicht sein! Wie hätte ich ihm dann nur zumuten können, auf unsre vier Wände acht zu geben! O, dann muß ich ihn ja um Verzeihung bitten, demütig um Verzeihung bitten!« – Und bei diesen Worten löste sie die Bänder von den Schleifen oder – was dasselbe besagt – die Schleifen aus den Bändern ihrer Haube, und faltete die Haube auseinander, um sie auf ihre Perücke zu setzen, denn sie schien zu meinen, daß es sich mit der einem Fürsten schuldigen Ehrfurcht nicht vertrage, unbedeckten Hauptes zu stehen . . . Nach einer der Form nach entgegengesetzten, der Sache nach aber völlig gleichen Weise, Höflichkeit vor gekrönten Häuptern zu zeigen, nahm Alfred hingegen den Hut ab, machte einen tiefen Kratzfuß und rief: »Ein Fürst in unseren vier Wänden, eine Königliche Hoheit in unsern vier Wänden! Das geht doch über den Hemdkragen! Und dabei ist's ihm sogar mal passiert, mich im Bette zu erwischen!«

In diesem Augenblicke drehte Frau Georges sich um und sagte zu ihrem Sohne und ihrer Schwiegertochter:

»Kinder, da kommt der Herr Doktor!«



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