Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Zweites Kapitel.

Was Lachtaube Luisen zu erzählen hatte

»Ach, wie mich das freut, liebe Luise, wieder einmal mit Ihnen zusammen zu sein!« sagte Lachtaube; »als wir von Bouqueval her an dem Hause vorbeikamen, wo Sie wohnen, wollte ich schon hinaufgehen und nach Ihnen fragen, aber mein lieber Germain litt es nicht, weil es zu hoch sei. Deshalb habe ich unten im Fiaker gewartet. Da wir nun aber vorausfuhren, – ich weiß nicht, weshalb es von meinem Manne so bestimmt wurde, – habe ich Sie erst wieder hier gesehen.«

»O, mein liebes, liebes Lachtäubchen,« antwortete Luise, »ich denke immer noch daran, in welch herzlicher Weise Sie mir in Saint-Lazare Trost zusprachen. Sie haben wirklich ein zu edles Gemüt!«

»Vor allem andern, meine liebe Freundin,« antwortete Lachtaube lustig, in der Absicht, weiteren Dankesworten die Möglichkeit abzuschneiden, »bin ich jetzt kein Fräulein Lachtaube mehr, sondern die Frau Germain! Verstehen Sie? In aller Form Rechtens verehelicht seit nun beinahe vierzehn vollen Tagen! Ich weiß ja nicht, ob Ihnen das bisher böhmische Dörfer gewesen, aber – Sie müssen mir schon erlauben, streng auf den Titel zu halten, der mir zufolge dieser bürgerlichen und kirchlichen Zeremonie zusteht.«

»O, gewiß habe ich gewußt, daß sie Herrn Germains Frau geworden sind,« antwortete Luise, »aber daß ich Ihnen für das mir erwiesene Gute als der lieben, trauten Lachtaube danke, das dürfen Sie mir wirklich nicht übelnehmen!«

»Nun, meinetwegen,« sagte mit schelmischem Lachen die junge Frau, wieder in der Absicht, die Gedanken ihrer Freundin auf ein anderes Gebiet zu lenken, »daß wir aber uns so schnell nur haben verheiraten können, weil Herr Rudolf das Füllhorn seiner Güte über uns ausgeschüttet hat, das wissen Sie doch vielleicht noch nicht? O, denken Sie nur, nicht bloß eine sichere Lebensstellung hat er meinem Manne verschafft, sondern mir eine wunderschöne Ausstattung gekauft, eine Ausstattung, deren sich keine Patriziertochter zu schämen brauchte, und außerdem mir sogar noch 40 000 Franks Heiratsgut gestiftet! O, der liebe, liebe Herr Rudolf ist uns allen wirklich und wahrhaftig ein gütiger Engel gewesen!«

»Ach, wir segnen Herrn Rudolf jeden Tag. – Als ich Saint-Lazare verließ, sagte mir der Advokat, der mich in seinem Auftrage aufsuchte, um mir Mut einzusprechen und mich mit Rat und Tat zu unterstützen, Herr Ferrand« – die Unglückliche konnte den Namen nicht ohne Zittern und Beben aussprechen – »sei durch Herrn Rudolf veranlaßt worden, mir und meinem Vater eine Rente auszusetzen als Sühne für die Schlechtigkeiten, die er an meinem armen Vater und mir verübt hat. Mein Vater ist leider noch immer hier, aber es geht, Gott sei Dank, täglich besser mit ihm.«

»Er wird heute mit Ihnen nach Paris zurückkehren, wenn die Hoffnung des würdigen Herrn Herbin – des Abteilungsarztes, auf den wir hier warten, in Erfüllung geht.« – »Gebe es Gott!«

»Gott wird es wohl machen, Freundin! – Ihr Vater ist ja so gut und so rechtschaffen! Ich bin überzeugt, daß er mit uns nach Hause fahren darf. Der Arzt ist der Meinung, daß die unerwartete Anwesenheit der Personen, welche Ihr Vater vor seiner Krankheit täglich sah, seine Heilung vollenden werde.«

»Ich wage nicht, es zu glauben, mein liebes Fräulein.« – »Frau – wenn ich bitten darf, Luise – Frau Germain. Um aber wieder auf meine Rede zurückzukommen, Sie wissen wohl nicht, wer Herr Rudolf ist?«

»Er ist die Vorsehung der Unglücklichen.«

»In erster Linie ja, aber dann? – Das wissen Sie nicht! Nun, ich will es Ihnen sagen.«

Lachtaube wendete sich darauf an ihren Mann, der mit seiner Mutter ein paar Schritte vor ihr herging und mit der Frau des Steinschneiders sprach: »Gehe nicht so schnell, lieber Mann, unsere Mutter wird ja müde und dann – habe ich dich auch lieber in der Nähe –« Germain drehte sich um, ging etwas langsamer und lächelte seiner jungen Frau zu. »Wie allerliebst mein Germain ist! Nicht wahr, Luise? – Er hat etwas Nobles an sich – und eine so schöne Taille als meine anderen Nachbarn, Giraudeau, der Reiseonkel und Cabrion! Ach, über Cabrion fällt mir ein, wo steckt denn Herr Pipelet mit seiner Frau? Der Arzt sagte doch, sie kämen auch, weil Ihr Vater sehr oft von ihnen gesprochen hätte?«

»Sie werden kommen. Als ich von Hause wegging, waren sie schon fort –«

»So werden sie sich gewiß einfinden; Pipelet ist ja pünktlich wie eine Uhr. – Aber um auf meine Heirat und Herrn Rudolf zurückzukommen. Denken Sie sich, Luise, daß er meinem Germain durch mich den Freilassungsbefehl zustellen ließ . . . O, Sie können sich unsre Freude gar nicht ausmalen, als wir das verwünschte Gefängnis hinter uns hatten. In meinem Stübchen angelangt, machte ich uns ein Mittagbrot zurecht – o, Germain hat gar tüchtig dabei zugreifen müssen – aber der größte Feinschmecker hätte sich die Finger danach geleckt, das dürfen Sie mir glauben: Koteletten gabs und Schoten und Mohrrüben dazu, und hinterher einen Reisauflauf mit Himbeersauce, und dann feinen Roquefort als Nachtisch – ich sage Ihnen, es wäre gar kein Wein dazu nötig gewesen, aber Germain ließ es sich nicht nehmen, eine feine Pulle Rotspohn dazu vom nächsten Weinhändler zu holen! Aber wie es dann ans Essen gehen sollte, ja prosit Mahlzeit! Da schnürte uns beiden die Freude die Kehle zu, daß wir kaum einen Bissen herunterbringen konnten. Wenigstens hats eine ganze Weile gedauert, bis uns Zunge und Gaumen parieren wollten. Als wir mit vieler Mühe fertig geworden waren, ging mein Germain fort mit dem heiligen Versprechen, am andern Tage in aller Frühe wieder bei mir zu sein. Ich war schon vor fünf Uhr am Gange und bei meiner Arbeit, denn ich hatte doch ganze zwei Tage versäumt. Da pochte es auf einmal. Ich gucke auf die Uhr. Es ist gerade acht. Ich renne zur Tür, in der Meinung, Germain sei es. Und wer steht da? Herr Rudolf! Natürlich dankte ich ihm aus meines Herzens tiefstem Grunde unverzüglich für alles Gute und Liebe, was er meinem Germain angetan, aber er ließ mich nicht lange schwatzen, sondern sagte: »Meine herzliebe Nachbarin, Germain wird sicher bald da sein, und sobald er Ihnen den ersten Kuß gestohlen, geben Sie ihm hier den Brief. Dann setzen Sie sich beide in einen Fiaker und fahren nach Bouqueval hinaus. Es ist ein kleines Dorf an der Straße nach Ecouen, zwischen Ecouen und Saint-Denis. Fragen Sie in Bouqueval nach der Frau Georges. Es kann Ihnen jedes Kind im Dorfe sagen, wo sie wohnt. Und nun wünsche ich Ihnen eine recht vergnügte Fahrt und in Bouqueval die froheste Zeit!«


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