Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Siebentes Kapitel.

Ein sündiger Abschied.

Drei von den vier Männern hielten kleine Päckchen in der Hand, die aus einer dünnen, aber sehr festen Schnur gedreht waren. Der größte von ihnen, der vierte, der tiefschwarz gekleidet war und einen runden Hut sowie ein weißes Halstuch trug, übergab dem Gerichtsschreiber ein Schriftstück: – die Quittung über zwei ihm überantwortete Personen weiblichen Geschlechts. Es war der Henker, und sobald er die Personen übernommen hatte, gehörten sie ihm an, hatte er allein für sie die Verantwortung und Bürgschaft . . .

Auf die Verzweiflung des Mädchens war stumpfe Ruhe gefolgt. Sie konnte kein Glied bewegen. Zwei Knechte des Nachrichters mußten sie auf ihr Bett setzen und dort halten. Ihr Mund war vom Krampfe, der ihre Kinnbacken befallen hatte, fest aufeinander gepreßt, das Kinn ruhte auf der Brust, und hätten die beiden Knechte nicht ihren Körper gehalten, so wäre er wie eine tote Masse niedergeschlagen . . .

Martial umarmte das unglückliche Mädchen zum letzten Male. Dann stand er da, außerstande, sich vom Flecke zu rühren, wie gelähmt an allen Gliedern, einen so gräßlichen Eindruck machte die schreckliche Szene auf ihn.

Die Mutter hingegen war keck und frech wie vorher. Sie half willig dabei, die ihr an jeder Bewegung hinderliche Zwangsjacke vom Leibe zu streifen. Als die unheimliche Hülle von ihr genommen war, stand sie wieder in ihrem schwarzen Rocke da.

»Nun, wohin soll ich treten?« fragte sie mit fester Stimme.

»Setzen Sie sich hierher,« antwortete der Nachrichter, auf einen der Stühle zeigend, die unweit von der Kerkertür standen.

Draußen standen Frone und Aufseher um den Gefängnisdirektor und eine Anzahl von privaten Personen herum, die den Vorzug einer Einlaßkarte genossen.

Sichern Schrittes ging die Frau auf die ihr angewiesene Stelle. Bei ihrer Tochter vorbeigehend, blieb sie stehen und sagte mit einer Stimme, der eine gewisse Empfindlichkeit anzuhören war: »Tochter, komm her und umarme mich – umarme mich – zum letzten Male in diesem Leben!«

Das Mädchen, die Stimme der Mutter hörend, zuckte leicht zusammen, wachte auf aus ihrer Starrheit und rief mit grauser Gebärde:

»Hinweg! Hinweg, Dämon! Gibts – eine Hölle, dann – fahre in ihren tiefsten Pfuhl – hinunter! Mutter, Weib, Dämon! Ich – verfluche – dich!«

»Kind,« sagte die Alte noch einmal, »komm her und – umarme – mich!«

»Nicht in meine Nähe!« rief die Tochter – »nicht in meine Nähe! Wer anders als du hat – mich – in dieses gräßliche Unglück – gestürzt?« – Und abwehrend streckte sie die Arme von sich.

»Kind! Verzeihung! Verzeihung!« bat die Alte.

»Fluch dir! Fluch dir! Du Dämon! Du – Rabenmutter!«

Ein wilder Krampf packte das Mädchen. Dann sank sie erschöpft, fast bewußtlos, den beiden Knechten des Nachrichters in die Arme.

Wohl glitt eine Wolke über die Stirn des bösen Weibes, wohl wurden ihr die brennenden Augen einen Moment feucht. Sie begegnete dem Blicke ihres Sohnes, und nach kurzem Zögern, wie wenn sie einem innern Kampfe nachgäbe, sprach sie:

»Und du, mein – Sohn?«

Tief ergriffen, von Schluchzern geschüttelt, sank Martial ihr in die Arme.

Rührung ergriff jetzt auch die verstockte Sünderin, aber sich aus der Umarmung ihres Sohnes frei machend, sagte sie dumpf: »Genug!« und auf den Nachrichter zeigend, setzte sie hinzu: »Den Herrn da darf man nicht warten lassen, wenn er nicht unwillig werden soll.«

Mit diesen Worten schritt sie zu dem Sessel hin, der ihr von dem Gehilfen des Henkers gezeigt worden war, und setzte sich.

Jäh war der Anflug von Mutterliebe, der ihr Herz getroffen hatte, wieder verflogen.

Der Invalide trat zu Martial, von Teilnahme erfüllt, und sagte: »Mein Lieber, es ist nicht gut für Sie, länger noch hier zu verweilen. Kommen Sie mit mir, kommen Sie mit mir!« – Und unwillkürlich folgte Martial dem greisen Soldaten.

Die beiden Knechte des Nachrichters hatten die fast bewußtlose Tochter der Witwe auf den Sessel geschleppt. Der eine hielt den Leib, aus dem schon fast alles Leben gewichen war, der andere band ihr mit der dünnen Schnur die Hände auf dem Rücken zusammen und legte auch um die Füße solche Fesseln, doch so locker, daß die Delinquentin noch kleine Schritte machen konnte.


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