Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Zweites Kapitel.

Herr von Saint-Remy

Lärmend, mit dem Hut auf dem Kopfe, trat Herr von Saint-Remy in die Kanzlei und fragte, ohne jemand anzusehen, in wegwerfendem Tone: »Wo ist der Notar?« – »In seinem Privatzimmer,« versetzte der Bureauvorsteher: »einen Augenblick! Ich werde Sie gleich melden.« – »Sagen Sie ihm, Herr von Saint-Remy sei da und finde es seltsam, daß ihm zugemutet werde, in einem Geschäftszimmer warten zu sollen.«

Nichtsdestoweniger verstrich eine volle Viertelstunde, bis der Notar ihn zu sich bescheiden ließ. Einen größeren Gegensatz als zwischen den beiden Männern, die sich jetzt zum ersten Male sahen, läßt sich kaum denken. Beide waren gute Menschenkenner und gewohnt, auf den ersten Blick zu erraten, mit wem sie es zu tun hatten. Saint-Remy seinerseits hatte gemeint, in dem Notar einen Tropf oder einen Gecken zu finden, und sah sich zu seinem Mißbehagen einem lauernden, hinterhältigen Gauner gegenüber. Ferrand nahm sein schwarzes Käppi nicht ab, und Saint-Remy behielt den Hut auf dem Kopfe . . .

»Es kommt mir höchst sonderbar vor, daß Sie mich wegen des Bagatellbetrages herbestellen, statt ihn bei mir zu kassieren. Mir soll es nicht wieder einfallen, Badinot Wechsel zu geben. Haben Sie mir sonst noch was mitzuteilen?«

Ferrand verzog keine Miene, schloß die Rechnung ab, die er vorhatte, und sah den Vicomte mit eiskalter Miene an . . . Dann sagte er barsch: »Bitte, wo haben Sie das Geld?« – Seine Ruhe und Kälte brachten den Vicomte, der von allen Männern um sein Glück bei der Damenwelt beneidet wurde, schier außer sich . . . Sein Stolz, bäumte sich gegen solche geringschätzige Behandlung von seiten eines Menschen, der auf der Gesellschaftsleiter keinen höhern Rang als den eines Notars inne hatte! – Ebenso barsch fragte er: »Bitte, wo sind die Wechsel?«

Ferrand wies mit seinem dichtbehaarten Zeigefinger, ohne zu antworten, auf eine lederne Brieftasche neben ihm. Bebend vor Zorn, aber fest gewillt, sich aus seiner kalten Ruhe nicht bringen zu lassen, nahm der Vicomte aus seiner Rocktasche ein zierliches Etui mit reichvergoldetem Deckel, zog vierzig Tausendfranks-Scheine heraus und zeigte sie dem Notar. – »Wieviel Geld?« fragte dieser. – »Vierzigtausend Franks.« – »Geben Sie her!« – »Geben Sie her!« erwiderte der Vicomte: »Zug um Zug!«

»Es wäre nicht das erste Mal . . .« sagte Ferrand, die Hand nach den Banknoten ausstreckend und eine nach der andern gegen das Licht haltend. – »Was meinen Sie?« rief Saint-Remy, kaum noch imstande, an sich zu halten; während Ferrand, die Achseln zuckend, fortfuhr: »daß einem falsche Banknoten präsentiert würden.« Nachdem er die Scheine angesehen und nacheinander gemustert hatte, trat er an sein Pult, nahm ein Heftchen voll Stempelpapiere heraus, zwischen denen zwei Wechsel lagen, addierte die darauf verzeichnete Summe und sagte, einen Tausendfranks-Schein und eine Rolle von 300 Franks auf den Tisch legend: »So, das bekommen Sie von den 40 000 Franks heraus. Mein Klient hat mich angewiesen, die Kosten sogleich mit zu erheben.«

Dem Vicomte ging die Ruhe aus. Statt das Geld zu nehmen, erwiderte er mit zornbebender Stimme: »Warum sprechen Sie bei Bankscheinen, die Sie von mir bekommen, von falschen, die schon gesehen worden seien?« – Ferrand maß den Vicomte mit durchdringendem Blicke . . . »Sehr einfach, mein Herr,« sagte er, »weil ich Sie zu mir geladen habe, um Ihnen zu sagen, daß Sie sich wegen Fälschungen zu verantworten haben werden.« – Der Vicomte fuhr zurück . . . »Lassen Sie mich ruhig ausreden,« fuhr Ferrand fort, aber mit strenger, bekümmert aussehender Miene: »Sie wissen, junger Herr, das Ihres Vaters Name in höchster Achtung gestanden hat, und nur deshalb habe ich Sie zu mir beschieden, denn wäre dies nicht der Fall, so stünden Sie schon heute vor dem Untersuchungsrichter und nicht in meiner Kanzlei!«

»Ich verstehe den Sinn solcher Reden nicht,« erwiderte der Vicomte, noch immer trotzig. Aber Ferrand ließ sich hierdurch nicht beirren, sondern rief: »Vicomte von Saint-Remy! Vor acht Wochen haben Sie einen Wechsel ausgestellt für William Smith, von Meulaert und Co. in Hamburg diskontiert. Der Wechsel war beim Bankhause Grimaldi in Paris domiziliert und nach drei Monaten fällig.« – »Nun, und . . .?« fragte Saint-Remy. – »Der Wechsel ist gefälscht. Meulaert und Co. haben mit einem Manne namens William Smith niemals zu tun gehabt. In ganz Hamburg ist ein Mann dieses Namens nicht bekannt.« – Saint-Remy rief entrüstet: »Dann bin ich eben betrogen worden, denn ich habe den Wechsel für bares Geld angenommen.« – »Von wem?« – »Von eben diesem William Smith!« erwiderte Saint-Remy: »ich habe ihn als die Redlichkeit selbst gekannt und ohne alles Bedenken den Wechsel von ihm in Zahlung genommen.« – »Aber ich wiederhole, der Wechsel ist gefälscht, und der augenblickliche Inhaber des Wechsels ist überzeugt, daß Sie selbst die Fälschung begangen haben; er behauptet, Beweise dafür in Händen zu haben, und war vorgestern bei mir, um mich zu veranlassen, Sie zu mir zu bescheiden und Ihnen unter gewissen Bedingungen den falschen Wechsel auszuhändigen. Er fordert bis morgen früh ein Reugeld von 100 000 Franks, widrigenfalls die Angelegenheit bei der Staatsanwaltschaft anhängig gemacht werden soll. Also bis morgen früh haben Sie noch Frist,« schloß Ferrand, den Vicomte mit scharfen Blicken musternd, »der Wechsel liegt bei dem Austernhändler Petit-Jean, Kai de Billy, Nr. 16.«

Saint-Remy war mit hochtrabendem Wesen zu Ferrand gekommen, jetzt fühlte er sich wie niedergeschmettert und hätte, wäre er nicht so völlig Herr über sich gewesen, den schrecklichen Eindruck nicht verheimlichen können, den diese unvermutete Enthüllung auf ihn machte, die von ganz unberechenbaren Folgen für ihn sein konnte. Eine lange Pause folgte, denn der hochmütige Edelmann brauchte Zeit dazu, sich zu einer Bitte bei diesem kalten, nüchternen Manne der Justiz zu bequemen, der so rücksichtslos das Recht wider ihn vertrat. Endlich sagte er: »Sie geben mir einen Beweis von Teilnahme, Herr, für den ich Ihnen nicht genug dankbar sein kann: ich bedauere lebhaft, Ihnen so unhöflich gegenüber getreten zu sein.« – »Bleiben wir bei der Sache,« versetzte Ferrand, »Ihr Vater war ein Mann von Ehre, und ich meine alles tun zu müssen, daß sein Name nicht vor das Schwurgericht gebracht werde. Um weiteres handelt es sich im vorliegenden Falle nicht.« –

»Bis morgen hunderttausend Franks aufzutreiben, ist mir absolut nicht möglich. Verwenden Sie, bitte, die vierzigtausend Franks, die ich Ihnen jetzt überbracht habe, zum Rückkaufe des unglückseligen Papieres – oder schießen Sie mir die Summe auf eine gewisse Zeit vor. Sie sind ein reicher Mann, und wenn Sie für die Manen meines Vaters . . .« – »Aber, Mann, sind Sie von Sinnen?« fuhr Ferrand auf, »ich soll Ihnen Bürgschaft leisten für hunderttausend Franks?« – »Ich beschwöre Sie, Herr . . .« – »O, bleiben wir doch bei der Sache,« antwortete der Notar streng, »wer Güte verdient, kann Güte von mir empfangen . . . Aber,« setzte er mit spöttischem Lächeln hinzu, »Ihre Pferde stampfen schon vor Ungeduld.«

Da wurde an die Tür geklopft . . . »Wer ist da?« fragte Ferrand. – »Die Gräfin von Orbigny,« antwortete der Bureauvorsteher. – »Ich lasse bitten, einzutreten,« antwortete der Notar, ohne sich zu bedenken; dann wandte er sich an den Vicomte mit den Worten: »Da, nehmen Sie einstweilen die 1300 Franks; vielleicht gelingt es Ihnen, Petit-Jean damit eine kleine Frist abzuringen.«

Die Stiefmutter der Marquise von Harville trat in demselben Augenblick ein, als Vicomte von Saint-Remy, verdrießlich darüber, daß er sich vergeblich vor dem Notar gedemütigt, hinausging. – »Ei, guten Tag, Vicomte,« sagte Frau von Orbigny, »lange nicht gesehen! Habe es lebhaft bedauert!« – »Freilich, seit der Verheiratung der Frau von Harville habe ich noch nicht wieder die Ehre gehabt,« versetzte Saint-Remy, sich verneigend und bemüht, ein Lächeln zu zeigen; »waren Sie seitdem immer in der Normandie?« – »Leider! Mein Mann will jetzt nirgendwo anders als auf dem Lande leben, und was ihm recht ist, ist mir auch recht! – Sie sehen mir doch wohl die Dame aus der Provinz auf den ersten Blick an? Seit sich meine Stieftochter mit dem Marquis von Harville vermählt hat, bin ich noch nie wieder in Paris gewesen. Kommen Sie vielleicht öfter mit ihm zusammen?«

»Harville lebt sehr zurückgezogen und ist recht mürrisch geworden. In Gesellschaft ist er sehr wenig zu sehen,« versetzte Saint-Remy mit einem Anfluge von Ungeduld. »Aber ich muß jetzt gehen, gnädige Frau, Sie entschuldigen mich wohl? Vor Ihrer Abreise werde ich wohl kaum das Vergnügen haben, Sie noch einmal begrüßen zu dürfen?« – »Sich noch einmal zu mir zu bemühen, Herr Vicomte,« antwortete Frau von Orbigny, »hätte kaum Zweck, denn ich habe mich nur auf ein paar Tage in einem Hotel-garni einquartiert. Sollten Sie aber im Laufe des Sommers oder Herbstes in unsre Nähe kommen, würden wir uns über einen Besuch außerordentlich freuen. Also adieu, lieber Vicomte!«

Saint-Remy verneigte sich tief vor Frau von Orbigny und stürmte, mit maßloser Verzweiflung im Herzen, hinaus. Nach kurzem Besinnen sprach er bei sich: »Es geht nicht anders, es muß sein!« und rief seinem Kutscher, der den Schlag offen hielt, zu, ins Hotel Lucenay zu fahren.


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