Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Neuntes Kapitel.

Aus Leid in Freud'!

Marienblümchen saß noch auf dem Baumstamm am Bachrande. Mit einem Male tauchte hinter einem Weidenstrauche eine Mannesgestalt auf, und ein wildes Lachen erklang. Das Mädchen drehte sich erschrocken um. Der Schurimann war es, der gelacht hatte. Das Mädchen flüchtete sich wie ein scheues Reh zu ihrem Beschützer. – »Aengstige dich nicht, mein Töchterchen«, rief er ihr nach, »es trifft sich ja schnurrig, daß wir einander auch hier treffen! Aber, Herr Rudolf – man mag sagen, was man will, über uns liegt doch etwas, da oben in dem blauen Dunste über uns, was uns lenkt und leitet – mögen es die Menschen Gott nennen oder Schicksal, einerlei! Es ist, wie wenn es dem Menschen sagen möchte: Geh, wie ich dich führe! Und hierher hat es Sie getrieben, als es mich hertrieb . . . Wunderbar, wunderbar, was man nicht alles erlebt!«

»Und was treibst du hier?« fragte Rudolf, aufs höchste verwundert. »Das sollen Sie gleich erfahren! Aber sagen Sie mir zuerst, wie spät ists jetzt?« – »Halb eins«, sagte Rudolf, nach einem Blick auf seine Uhr. »Schön! Dann haben wir noch Zeit. Die Eule wird in einer halben Stunde da sein.« »Die Eule!« riefen Rudolf und Marienblümchen wie aus einem Munde. »Jawohl, die Eule!« sagte Schuri, »und was passiert ist, läßt sich mit zwei Worten sagen: Gestern, als Sie das Wirtshaus verlassen hatten, kamen . . .«

»Ein großer Mann und eine Dame in Männerkleidern?« fiel Rudolf ihm ins Wort, »nicht wahr? Die haben nach mir gefragt. Ich weiß es schon. Dann?« »Dann haben sie mich mit Wein traktiert und mich über Sie ausfragen wollen. Aber wenn ich auch was von Ihnen gewußt hätte – was ja doch nicht der Fall ist – so hätte ich doch nichts über Sie gesagt. Meister Rudolf, nachdem Sie mich bezwungen, halten wir zusammen auf Leben und Tod. Wenn ich weiß, warum ich gegen Sie anhänglich bin, soll mich der Teufel holen. Aber es ist schnuppe. Ich kann nicht anders. Ich frage nicht mehr, wie es zugeht. Es ist nun mal so, und damit basta!«

»Mir solls recht sein. Aber fahre nun fort!«

»Der Lange und die Kleine in Männertracht gingen weg, als sie sahen, daß aus mir nichts herauszuholen sei. Ich ging auch weg, die beiden in der Richtung nach dem Justizpalaste, ich in der Richtung nach der Notre-Dame-Kirche. Am Ende der Straße angelangt, kam mir der Regen zu derb über den Hals, so daß ich es vorzog, in ein im Abbruch befindliches Haus einzutreten. Dort kletterte ich in eine Art Keller hinunter, wo ich im Trocknen stand, legte mich platt auf die Erde und wollte eben einschlafen. Da weckte mich Lärm. Ich hörte die Stimme vom Schulmeister, der ganz kordial sich mit einem andern Manne unterhielt. Mohrenelement! denke ich. Was hat der vor? Und im andern Augenblick erkannte ich die Stimme des langen Kerls und der kleinen Mamsell. Die drei besprachen sich, am Tage drauf sich hier zu treffen.« »Das wäre also heute?« fiel ihm Rudolf ins Wort. »Ja, heut um eins.« »Also jetzt?« »Ja.« »Und wo?« »Dort, wo der Weg von Saint-Denis sich mit dem chemin de la révolte schneidet.« »Also hier?«

»Jesus!« rief das Mädchen, »Bakel will herkommen? Ach, Herr Rudolf, vor ihm nehmen Sie sich in acht!« »Sei ruhig, mein Kind, sei ruhig!« sagte Rudolf, sie tröstend; »er soll ja nicht kommen, sondern bloß die Eule! Aber – wie ist der Mann zu den beiden Elenden gekommen?« fragte Rudolf. »Ja, das kann ich nicht sagen Meister. Ich bin vielleicht erst munter geworden, als die Verabredung schon getroffen war, denn der Lange redete von einem Taschenbuche, das er wiederhaben wolle, und das die Eule gegen eine Zahlung von 500 Franks ihm übergeben solle. Ich vermute, Bakel hatte den Langen zuerst bemaust, und dann haben sie ihn –«

»Herr Rudolf, es schreckt mich um Ihretwillen«, sagte das Mädchen. »Aber, Mädel«, sagte Schuri, »der Herr Rudolf ist doch kein Kind! Freilich, wie du sagst, im Werke kann ja was gegen ihn sein, und aus dem Grunde bin ich hier.« »Erzähl weiter!« sagte Rudolf. »Der Lange und die Kleine haben dem Schulmeister 2000 Franks versprochen, wenn er was vollbringt. Was es aber ist, das er vollbringen soll, weiß ich nicht. Nur soviel habe ich gehört, daß die Eule die Brieftasche herbringen soll, und daß ihr hier gesagt werden soll, um was es sich handelt. Bakel soll dann alles Weitere verrichten.« »Zweitausend Franks um Ihretwillen, Herr Rudolf? Für mich gäbe doch kein Mensch hundert Sous . . . Aber, Herr Rudolf! Was müssen Sie für ein Herr sein!« »Nun, Kind! Das wirst du bald erfahren«, antwortete Rudolf. »Abgemacht, Herr Rudolf! Als die beiden Personen sich entfernt hatten, kletterte ich aus meinem Kellerloch und schlich ihnen nach. An der Notre-Dame stiegen sie in einen Fiaker, ich sprang hintenauf, und so kamen wir auf den Boulevard de l'Observatoire. Dort wars finster wie in einem Backofen. Nicht Handbreit zu sehen. Mir blieb nichts anderes übrig, als in einen Baum eine Kerbe zu schneiden, damit ich mich am anderen Tage wieder herfinden könne. Heut morgen bin ich wieder hingegangen, und habe zehn Schritte von dem Baume ein Gäßchen gesehen, durch ein Gitter abgesperrt, und da in dem Erdreiche noch große und kleine Tapsen zu sehen waren, habe ich angenommen, daß die beiden Personen in dem Hause wohnen.«

»Vielen Dank, Kamerad«, sagte Rudolf, »du hast mir da einen recht großen Dienst erwiesen . . .« »Bitte, bitte, Herr Rudolf, hat gar nichts zu sagen, wenn ichs mir auch gedacht habe, daß es der Fall sein werde, und wenn ich es auch aus keinem andern als diesem Grunde getan habe.« »Ich weiß es, mein Lieber, kann dir aber nicht anders als durch Worte danken. Bin eben auch bloß ein armer Schlucker von Arbeiter, und wenn nun, wie du sagst, um meinetwillen 2000 Franks geopfert werden, so weiß ich nicht, was ich davon halten soll, es müßte sich gerade um eine Erfindung von mir handeln, das Elfenbein, das wir zu den Fächerstäbchen brauchen, mit Maschine zu schneiden. Aber die Erfindung ist nicht mein alleiniges Eigentum. Um das Verfahren im großen auszuüben, bin ich auf einen Freund angewiesen. Wahrscheinlich will man sich des Modells von der Maschine zu bemächtigen suchen, das bei mir liegt. Durch meine Erfindung ist freilich eine Stange Gold zu verdienen.«

»Der Lange und der Kleine sind also . . .« – »Fabrikanten jedenfalls, bei denen ich in Arbeit stehe«, erwiderte Rudolf, »und die ich über meine Erfindung nicht habe unterrichten wollen.« – Da dem andern, mit dessen Verstand es nicht weit her war, wenn es sich um Entwirrung von Komplikationen handelte, diese Erklärung genügte, fragte ihn Rudolf, was er nun hier vorhabe?

»Auf die Eule habe ich gewartet, die doch sicher zuerst an Ort und Stelle ist, und in der Absicht, zu erlauschen, was sie zu dem Langen sagen wird, weil ich mir nämlich gedacht habe, daß Ihnen das würde nützen können. Für die Zusammenkunft ist eine Stelle bestimmt worden, bloß ein paar Schritte von hier entfernt, dort, wo sich die beiden Wege kreuzen. Von hier aus kann man ja die Ebene weithin übersehen, so daß es einem nicht entgehen kann, wer alles herkommt. Falls ich von der Unterredung nichts hören sollte, falle ich über die Eule her, zahle ihr die Gebühren aus, die ihr das Mädel noch für den ausgerissenen Zahn schuldig ist, und würge sie so lange, bis sie mir den Namen der Eltern des armen Kindes nennt . . . Was meinen Sie zu diesem Plane, Herr Rudolf?« – »O, er will mir schon gefallen, aber das Mädchen an der alten Hexe zu rächen, gäbs noch ein besseres Mittel, das ich dir später sagen will. Vorderhand möchte ich wissen, ob du mir einen wirklichen Dienst erzeigen willst?« –

»Nun, heraus mit der Sprache, Herr Rudolf!« – »Kennt dich die Eule?« – »Nein. Ich hab sie zum ersten Male gestern in der Kaschemme gesehen.« – »Nun, so meine ich: du versteckst dich, kommst aber, wenn sie ganz nahe ist, aus deinem Loche heraus und siehst zu, daß du sie daran verhindern kannst, mit dem Langen zu reden. Wenn er sieht, daß sie nicht allein ist, wird er sich nicht herangetrauen, und sollte er dennoch kommen, so weichst du nicht von ihrer Seite. Auf diese Weise wird er ihr nicht mitteilen können, was er von ihr will.«

»Wenn der Mann Späne macht, nun, dann weiß ich, wie ich mich zu verhalten habe, denn er ist weder ein Bakel, noch ein Herr Rudolf . . .« »Nun, ich kenne den Mann, mein Lieber, und kann dir versichern, daß er sich nicht an dir reiben wird.« »Sollten sie ein anderes Stelldichein verabreden, so wirst du es doch erfahren, weil du nicht von ihrer Seite weichen sollst. Im übrigen vermute ich, daß deine Anwesenheit hinreichen wird, ihn in gemessener Entfernung zu halten. Und wenn der Mann nicht da ist, dann suchst du die Eule kirre zu machen.« »Ich diese alte Hexe? Lieber prügle ich mich mit Bakel!« »Still! Die Eule wird natürlich fuchswild sein, daß ihr ein so fetter Bissen entgeht. Du versicherst ihr dafür, daß dir ein noch besseres Geschäft für sie bekannt wäre, bei dem gar viel zu verdienen wäre, wenn Bakel mit von der Partie sein wollte. Du wartest, sagst du, bloß noch auf einen guten Freund, mit dem du dich auch hier hättest treffen wollen. Eine Stunde lang laß sie warten. Dann sagst du ihr, dem Freund müsse doch wohl etwas dazwischen gekommen sein, und so leid es dir tue, müßtest du sie bitten, morgen in aller Frühe zusammen mit Bakel wiederzukommen. Verstehst du?« »Gewiß, Herr Rudolf.« »Um zehn Uhr abends komm sodann an die Ecke, wo sich die Elysäischen Felder mit der Allée des Veuves schneiden.«

»Sollts eine Falle sein, Herr Rudolf, dann nehmen Sie sich ja in acht. Bakel ist ein hämischer Teufel. Sie haben ihm ein paar böse Püffe versetzt. Beim geringsten Verdacht können Sie sein Messer zwischen den Rippen fühlen. Doch jetzt kein Wort weiter! Ich sehe dort unten einen weißen Punkt aufschimmern. Ich vermute, es ist die Haube des Satans. Gehen Sie! Gehen Sie! Ich krieche wieder in mein Kellerloch.« »Und heut abend in der zehnten Stunde . . .« »An der Stelle, wo sich die Allée des Veuves mit den Elysäischen Feldern schneidet . . . Ganz recht!«

Den letzten Teil der von den beiden Männern geführten Unterhaltung hatte Marienblümchen nicht mehr gehört, sie saß schon wieder, ihres ihr nachfolgenden Begleiters harrend, in dem Fiaker.


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