Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Achtes Kapitel.

Cecily.

Es ist Nacht, und die tiefe Stille, die in Ferrands Hause herrscht, wird nur durch das Geheul des Windes und den in Strömen niederfallenden Regen unterbrochen. In einem neu eingerichteten Schlafzimmer steht ein junges Weib vor einem Kamine, in welchem ein helles Feuer brennt. Eine Lampe verbreitet ein mattes Licht in dem rot tapezierten Räume. In die Wohnung des Notars ist seit einiger Zeit überhaupt ein Luxus eingezogen, den man früher dort nicht für möglich gehalten hätte. Ihn bei dem geizigen Manne durchzusetzen, ist das Werk jenes Weibes, das in der vollsten Blüte steht, das eine hervorragende Schönheit ist, um so bestechender, als sie einen ausländischen Typus darstellt. Ihr Gesicht gehört zu jenen, die niemand vergißt, der sie einmal gesehen hat . . . Ueber einem reinen Gesichtsoval wölbt sich eine kühne, leicht hervorstehende Stirn. Die fast übergroßen Augen sind von eigentümlichem Ausdruck, ihr tiefes Schwarz läßt an den beiden Winkeln der Lider mit den langen Wimpern kaum das bläuliche, durchsichtige Weiß erkennen; das Kinn tritt scharf hervor, der Mund ist lebhaft gerötet, und die feine gerade Nase endigt in zwei beweglichen Nüstern, die sich bei der geringsten Erregung weiten und dehnen. Sie ist von schlanker Figur und doch üppig, kräftig und doch geschmeidig, von prickelnder Schärfe des Geistes und von bestechender Liebenswürdigkeit, kurz, der reinste Typus südlicher Sinnlichkeit . . . Durch den Baron von Graun ist sie über die schändlichen Mittel unterrichtet, durch die Morels unglückliche Tochter in seine Hände geraten ist. Ihre Aufgabe ist es, den Notar in Elend und Verderben zu stürzen . . . Sie hat es in unglaublich kurzer Zeit verstanden, den sinnlichen Mann in Kettenbanden zu schlagen, und nichts ist Ferrand schrecklicher als der Gedanke, daß ihm dieses Weib entrinnen oder genommen werden könnte.

Der Außenwelt gegenüber galt sie als Hausmädchen und Wirtschafterin, und um zu aller Zeit ungestört mit ihr zu sein, hatte er sich zu verschiedenen Aenderungen in seiner Lebensweise entschlossen: so ließ er das Essen aus einer nahen Speisewirtschaft holen, um keine Köchin zu brauchen; seine Schreiber hatte er aus der häuslichen Kost entlassen und durch Erhöhung ihres Lohnes entsprechend entschädigt; die Reinemache-Arbeiten im Hause mußte der Pförtner übernehmen, und all diese Mehrausgaben bestritt er gern, um Cecily das Leben so angenehm wie nur möglich zu machen . . . Aber Cecily verfolgte nur ein Ziel: diesen Mann bis zum Wahnsinn zu erregen – ihm je in Liebe zu gehören, lag ihr völlig fern – ob er Höllenqualen litt, ob er keine Ruhe fand bei Tag und bei Nacht, störte sie nicht, im Gegenteil, das bildete einen Teil ihres Programms oder, richtiger gesagt, der ihr durch Graun gestellten Aufgabe.

Während sie jetzt, mit ihrer Toilette für die Nacht beschäftigt, vor dem Spiegel stand, flüsterte eine heisere, klagende Stimme draußen vor der Tür ihren Namen. Ohne sich an die Unvollständigkeit ihres Anzuges zu kehren, trat sie zur Tür und fragte mit jenem fremden Akzent, der ihrer Stimme einen besonderen Reiz verlieh, was Herr Ferrand zu so ungewohnter Zeit noch von ihr begehre . . . »Ach! wie schön Sie sind! Wie schön!« flüsterte Ferrand wieder. – »So? finden Sie?« fragte sie spöttisch, »o ja, ich denke, ein buntes Tuch steht zu meinem schwarzen Haare recht gut.« – »Haben Sie Erbarmen mit mir, Cecily! Erbarmen, Erbarmen!« – »Aber, Mann,« lief die Kreolin mit spöttischem Lachen, »ich habe gar nicht glauben wollen, daß es in eurem Frankreich auch Taranteln gibt? Die habe ich immer nur bei uns im südlichen Amerika vermutet.« – »Ungeheuer!« schrie Ferrand außer sich, »ha! diese Pein ertrage ich nicht länger! Ich muß Sie sehen, muß in Ihrer Nähe weilen.« – »O, dann treten Sie doch näher! Aber eins, mein Lieber! Lassen Sie sich nicht beikommen, handgreiflich zu werden! Sonst – sehen Sie hier dies kleine Instrument« – und sie nahm vom Kamin einen scharf geschliffnen Dolch, um ihn neben sich auf den Tisch zu legen – »sonst möchten Sie Gefahr laufen, Bekanntschaft mit seiner scharfen Spitze zu machen!«

»Sie wollen sich also zu gar keiner Milde bewegen lassen?« fragte der Notar mit verhaltener Wut, »und dabei diene ich Ihnen doch wie der niedrigste Knecht! Dabei vernachlässige ich um Ihretwillen meine wichtigsten Interessen, lasse mich von meinem Personal anstieren, als sei ich nicht mehr Herr meiner Sinne, lasse mich von meinen Klienten hudeln, von denen schon mehr denn einer gedroht hat, mir seine Aufträge zu entziehen . . . O, Sie wissen gar nicht, welch schreckliche Folgen diese wilde Leidenschaft noch für mich haben kann!« – »Na, na, so schlimm werden sie doch kaum werden,« rief Cecily, abermals lachend, »soviel ich gehört habe, kann Ihr Geldbeutel manche Anzapfung vertragen? Sie dürfen eben nie vergessen, mein lieber Herr Ferrand, daß Geiz die Wurzel alles Uebels ist!« – »Bin ich denn geizig gegen dich?« fragte Ferrand, »lege ich dir nicht alles zu Füßen, was ich habe? Beginge ich nicht, dir zu Liebe, das schlimmste Verbrechen?« – »Halt!« rief da Cecily, »nicht weiter mit dergleichen Reden! Ich mag keinen Teil haben an Verbrechen!« – »Dann sprich, was du begehrst – Sprich! Ich gebe dir alles, was du begehrst . . . alles, alles!« – »Ich will mir bis morgen überlegen, was ich am liebsten hätte . . . mir eilts nicht, mein Lieber, und heute bin ich gerade ganz schrecklich faul . . . Also bis morgen, mein Lieber! Da, geh! du findest die Tür gewiß allein?«

Und wieder ist's Nacht, und wieder steht Ferrand vor Cecilys Tür, um Einlaß bettelnd. Aber die Tür tut sich ihm heute nicht auf. Cecily überzeugt sich vielmehr, daß die Sicherheitskette vor der Tür richtig eingehakt ist. Durch den Spalt hindurch fragt sie: »Nun, mein Lieber, wie stehts heute? Hast du dich versehen mit allem, was mein Herz begehren könnte?« – »Cecily, höre mich!« ruft Ferrand, in heller Verzweiflung . . . »Ehre, Vermögen, Leben lege ich in deine Hand! Und noch immer willst du nicht glauben, daß ich dich liebe?« – Cecily läßt sich nicht erweichen zu öffnen, sondern fragt durch den Spalt: »Ehre, Vermögen, Leben? Wie soll ich das verstehen?« – »Ha, wenn ich dir ein Geheimnis mitteilte, das mich auf das Schafott brächte – wenn ich mich also mit Haut und Haar in deine Hände lieferte, würdest du auch dann noch dich weigern, die Meine zu werden?« – »Oho! du hättest wirklich schon Verbrechen auf deiner Seele? Du? Ein königlicher Notar? . . . Ach geh! Du spottest! Du giltst doch für einen Heiligen und solltest ein Teufel sein? Verschone mich mit derlei Prahlerei, die dir bloß dein Wahnwitz eingibt! Solch ein Mensch wäre ja ein Hohn auf die Schöpfung!« – »Nun, ich bin solcher Mensch,« rief Ferrand mit häßlichem Stolze, »Cecily!« rief er, »und um deiner Liebe willen häufe ich Verbrechen auf Verbrechen!« – »Ha, Ferrand, das nenne ich Leidenschaft! Das erinnert mich an die Heimat, wo die Männer noch zu lieben verstehen! Das erwärmt mich für dich, Jakob! Ha! Das gießt Feuer in meine Glieder!« – »O, Cecily! Du willst mich erhören?« winselte der Elende, »o, öffne! öffne!« – »Jakob, täte ich es, dann wäre ich verloren, denn ich könnte dir nicht länger widerstehen, und doch muß ich es noch! Aber zum Zeichen, daß ich die Deine sein will, sein werde, nimm hier den Dolch! Er soll sich nicht mehr zwischen uns drängen können!« – Und Ferrand nahm mit wilder Gebärde die Waffe, die sie ihm durch den Spalt reichte, und schleuderte sie in einen Winkel . . .

»Du glaubst mir, Cecily?« fragte er in wonnigem Entzücken. – »Ob ich dir glaube!« versetzte die Kreolin und legte ihre weichen Hände auf die krampfhaft geballten Fäuste des Notars . . . »Gewiß glaube ich dir! Finde ich nicht jenen Blick bei dir wieder, der mich schon öfter in Fesseln schlug? O Jakob, deine Augen, sind mein Faible!« – »Und wenn ich dir alles, alles sage?« – »O, dann bewillige ich dir alles, alles!« – »Nun, so lege ich Ehre und Leben in deine Hand! Höre mich an! Vor zehn Jahren wurde mir ein Kind anvertraut mit einer Summe von 250 000 Franks, von dessen Zinsen sein Unterhalt bestritten werden sollte. Das Kind stieß ich in die Verbrecherwelt hinaus, gab es durch einen gefälschten Totenschein als gestorben aus und unterschlug das Geld . . .« –

»Oho! Du bist ein Wagehals, Jakob! Wer hätte dir so etwas zugetraut? Dir als dem Frömmsten unter den Frommen?« –

»Weiter: ich haßte meinen Kassierer! Um armen Menschen zu Hilfe zu kommen, hatte er eines Abends eine geringfügige Summe aus meiner Schatulle genommen, am nächsten Tage jedoch gleich wieder ersetzt; um ihn zu verderben, klagte ich ihn an, mir soviel Tausende entwendet zu haben, als es Hunderte waren, die er geliehen hatte! Mir wurde geglaubt, und der junge Mensch wanderte ins Gefängnis.« –

»O Jakob, ich sehe wohl, daß du mich liebst! Welche Gewalt muß ich über dich haben, daß du mir solche Geheimnisse anvertraust! – Komm, reich mir deine Stirn – wer könnte dir gegenüber hart bleiben? Ich will sie küssen, deine Stirn!« –

»Ha!« rief Ferrand, außer sich vor Wonne, »und stünde das Schafott vor meinen Augen, so wiche ich nicht zurück . . . Drum höre weiter! Das Kind, das ich zwischen Verbrecher gestoßen, wurde mir wieder in den Weg geführt: und ich dang Leute, es zu ermorden.« – »Wirklich? Das hättest du getan? Wann und wo?«

»Vor wenig Tagen. Auf einer Seine-Insel in der Nähe der Asnières-Brücke! Der Mann, der die Tat ausgeführt hat, heißt Martial.« – »Ha, Teufel! Jetzt erschreckst du mich, und doch zieht es mich hin zu dir, doch weckst du Leidenschaft in mir! Sprich, über welche Macht gebietest du?«

»Laß dir weiter beichten! Einige Zeit vorher hatte mir ein Herr von Adel dreimalhunderttausend Franks übergeben. Ich lockte ihn in einen Hinterhalt, erschoß ihn, machte ihn zum Selbstmörder und leugnete, die Summe von ihm erhalten zu haben, trotzdem seine Schwester sich im tiefsten Elend befand . . . So! Und nun hast du mein Leben in deinen Händen! Du kannst machen mit mir, was dir beliebt! Aber nun laß mich ein! öffne die Tür! Und wenn mir tausendfacher Tod droht, ich will ihm trotzen!« – »Jakob,« rief die Kreolin, »ich bete dich an! Du bist ein Mann nach meinem Sinne!« – Im höchsten Sinnenrausche rief Ferrand: »Cecily! Den Riegel zurück! Den Riegel zurück!« – »Da, nimm den Schlüssel!« rief die Kreolin, »ich werde aufriegeln, wenn du aufgeschlossen hast!« – »O, wie danke ich dir, Cecily! wie danke ich dir!« rief Ferrand, stutzte aber, denn Cecily schob den Riegel noch immer nicht zurück, so daß ihm der Schlüssel gar nichts nutzte. – »Zurück den Riegel! Zurück den Riegel!« schrie er, im ärgsten Sinnenrausche. Aber Cecily zauderte und plötzlich rief sie: »Ei, Männchen! Wenn du mich doch nasführtest!«

Ferrand stand einen Moment wie versteinert da. Er hatte gemeint, am Ziele seiner Wünsche zu sein, und nun stellte sich abermals ein Hindernis ihm entgegen. Und wieder rief Cecily: »Wer garantiert mir, daß du all diese Heldentaten ersonnen und gar nicht begangen hast!« – Da griff Ferrand, in die Rocktasche und riß die stählerne Kette mit einem Ruck entzwei, an der ein kleines Notizbuch hing. Das nahm er und zeigte es der Kreolin . . . Fast außer Atem rief er: »Da, nimm und lies! In dem Buche findest du Material genug, was mich um Kopf und Kragen bringen kann. Aber nun schieb den Riegel zurück!« – »Gib das Buch erst her!« sagte Cecily. – »Nein, erst den Riegel weg!« rief Ferrand. – Da schob Cecily den Riegel zurück und zog im selben Augenblick dem Notar das Buch aus den Fingern; als er nun aber die Tür öffnen wollte, gab sie seinem Druck nur soweit nach, als es die Sicherheitskette erlaubte . . . Da warf er sich wie ein wütendes Tier gegen die Tür; aber Cecily faßte blitzschnell das Notizbuch zwischen die Zähne, riß das Fenster auf und schwang sich gewandt und kühn zum Fenster hinaus. Sie erreichte glücklich den Hof, rannte zur Pförtnerstube, riß die Schnur, die die Haustür öffnete, und sprang in einen Wagen, der, seit Cecily bei dem Notar in Dienst war, auf Befehl des Barons von Graun zwanzig Schritte vom Hause des Notars hielt. Im Nu sauste der Wagen davon und hatte schon die Boulevards erreicht, als Ferrand sich von Cecilys Flucht erst vergewissern konnte . . . Mit übermenschlicher Kraft gelang es ihm, die Kette zu sprengen. Als er aber in das Zimmer hineinstürzte, fand er es leer, und den Vogel ausgeflogen . . . Das offne Fenster zeigte ihm den Weg, den die Kreolin genommen hatte. Gleich dem Ertrinkenden, klammerte er sich an die letzte Hoffnung, sie zu erreichen, nach der all seine Sinne standen. Gleich ihr schwang er sich zum Fenster hinaus auf den Hof hinunter und rannte zum Hause hinaus. Aber die Straße war öde und einsam. Niemand ließ sich sehen, niemand hören. Nur aus der Ferne Wagengerassel . . . es rührte her von dem Gefährt, das Cecily zu den Boulevards hintrug.

Die Abspannung trat nun ein, die Kräfte verließen ihn, und wie ein Klotz sank er neben dem Prellsteine vor der Tür seines Hauses nieder.



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