Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Achtes Kapitel.

Die Marquise.

Da wurde leise an die Tür des Zimmers geklopft. Rudolf machte eine Bewegung der Ungeduld. Murph erhob sich, um aufzumachen. Durch den Spalt hindurch flüsterte ein fürstlicher Adjutant dem schottischen Squire ein paar eilige Worte zu . . . Murph nickte und trat zu Rudolf . . . »Königliche Hoheit erlauben wohl, daß ich mich einen Augenblick entferne? Es verlangt mich jemand im Dienste Eurer königlichen Hoheit zu sprechen.« – »Nun, dann geh,« antwortete der Fürst.

Kaum war Murph aus dem Zimmer verschwunden, als Rudolf, die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend, und tief aufseufzend, rief: »O, meine Empfindungen erschrecken mich. Das Herz strömt mir über von Bitterkeit und Haß. Die Gegenwart meines besten Freundes wird mir zur drückenden Last, und die Erinnerung an eine edle, reine Liebe ängstigt mich . . . O, es ist meiner unwürdig, ein solches Wesen besitzen zu sollen! . . . Gestern vernahm ich mit Behagen Sarahs Tod, es war mir eine wahre Erleichterung, zu wissen, daß diese unnatürliche Mutter, die aus schnöder Ehrsucht zur Mörderin ihrer Tochter wurde, nicht mehr unter den Lebenden wandelt . . . Ja ich kann sagen, daß ich gern an den Tod dieser Megäre denke – denn etwas anderes ist sie nicht in meinen Augen . . . O,« rief er plötzlich, vom Stuhle aufspringend . . . »ich bin zu spät gekommen! Gestern litt ich nicht, was ich heute leide . . . und doch habe ich auch gestern bereits gewußt, daß meine Tochter tot ist . . . Ja, aber ich hatte nicht jene Worte zu mir gesprochen, die hinfort mein Leben vergiften werden! O, welche Zeit habe ich durch den Aufenthalt, den ich meinem Kinde in der Meierei schuf, versäumt! Warum bin ich nur dreimal dort hinaus gefahren? . . . Und doch hätte ich täglich draußen sein können, doch hätte ich meine Tochter täglich sehen können, hätte sie sogar bei mir behalten können! . . . Nun, meine Strafe wird es sein, daß ich mir diese schrecklichen Worte immer und immer wiederholen, immer und immer vorpredigen muß!«

Der unglückliche Mann fand eine grausame Freude darin, diesen Gedanken immer und immerfort sich zu wiederholen: großer Schmerz hat eben die Eigentümlichkeit, sich unaufhörlich durch sich selbst zu erneuern.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und Murph erschien kreidebleich auf der Schwelle. Der Fürst war dermaßen verwirrt durch Murphs schreckhafte Miene, daß er sich erhob und Murph entgegenrief: »Sprich! Was für Hiobspost hast du wieder zu melden?« – »Keine Hiobspost, königliche Hoheit!« erwiderte der Schotte, »es ist jemand draußen, der Sie auf der Stelle zu sprechen begehrt.« – »Wer? Wozu dies Zögern? Es ist doch nicht sonst deine Sache, wie die Katze um den heißen Brei zu gehen!« – »Königliche Hoheit! Frau Marquise von Harville bittet um eine sofortige Unterredung.« – »Frau von Harville?« wiederholte, nun seinerseits erbleichend, Fürst Rudolf; »nicht möglich! nicht möglich!« – »Königliche Hoheit, ich fürchte . . .« – »Was denn? Doch wieder ein neues Malheur? Wie?« – »Nicht doch, königliche Hoheit! Ich fürchte, die jähe Kunde möchte . . .« – »Rede, Murph,« rief der Fürst, dem Zorne nahe, »rede und verheimliche mir nichts! Verstehst du?«

»Bei meiner Ehre, königliche Hoheit,« sagte Murph »ich weiß nicht . . .« »Was hat die Marquise dir gesagt?« rief Rudolf streng. – »›Sir Walter,‹ hat sie gesagt, und ihre Stimme war bewegt, während aus ihren Augen die hellste Freude leuchtete . . . ›es muß Sie wohl verwundern, daß Sie mich hier sehen. Aber es gibt Verhältnisse, unter denen sich nicht abwägen läßt, was sich schickt und was sich nicht schickt. Bitten Sie königliche Hoheit, mir ohne Verzug ein kurzes Gehör zu gewähren, und zwar in Ihrem Beisein, weiß ich ja doch, daß der Fürst keinen bessern Freund auf Erden hat als Sie . . . Ich hätte mir ja die Gnade eines Besuchs von ihm erbitten können, aber darüber wäre erst wieder Zeit verstrichen, und Sie dürfen sich versichert halten, daß der Fürst es mir Dank wissen wird, daß ich die Unterredung um keine Minute verzögert habe.‹ Bei diesen letzten Worten bebte ihre Stimme . . .«

Rudolf, fast noch mehr erbleichend als Murph, erwiderte: »Aber ich errate den Grund deiner Unruhe, deiner Blässe nicht . . . diese Unterredung . . . was für einen Grund hat sie? Was für einen Zweck soll sie haben?«

»Auf Ehre, königliche Hoheit,« sagte Murph, »ich erinnere mich weiterer Worte aus dem Munde der Marquise nicht. Was ich Ihnen davon wiedergesagt, hatte mich schon dermaßen erschüttert, daß ich kaum noch zu hören vermochte . . . Den Grund meiner Erschütterung anzugeben ist mir ebensowenig möglich . . . Aber, königliche Hoheit sind ja selber bleich geworden!« – »Ich bleich geworden?« wiederholte Rudolf, sich auf einen Stuhl stützend, denn seine Füße mochten ihn nicht mehr tragen. – »Jawohl,« versetzte Murph, »königliche Hoheit sind ebenso betroffen, ebenso bestürzt wie ich.«

»Und sollte es mein Tod sein, was mir die Marquise meldet,« erklärte Rudolf, »so lasse ich nichtsdestoweniger Frau von Harville um die Ehre Ihres sofortigen Besuches bitten.«


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