Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Siebentes Kapitel.

Ein Dejeuner.

Lucenays Verwundung war so geringfügiger Natur gewesen, daß er nicht einmal den Arm in der Binde trug. Auf seinem Gesicht lag noch immer ein hochmütiger Ausdruck. Seine quecksilberne Unruhe hatte sich nicht gelegt, auch seine Spottsucht hatte sich nicht gemildert. – »Sie müssen mich doch für recht gleichgiltig halten, lieber Lucenay,« sagte Harville, dem Freunde die Hand reichend, »aber ich habe tatsächlich erst heute morgen von dem leidigen Rencontre Kenntnis erhalten.« – »Leidig? Ach, reden Sie doch nicht, Harville! Habe ich doch kaum je im Leben so herzlich gelacht wie bei dieser Affäre . . . Der scharmante Karl Robert schnitt ein so feierliches Gesicht, als ich ihm an den Kopf warf, er litte an Fettsucht, daß ich wirklich dachte, er wolle beichten . . . Und darum ein Duell? Freilich, vor jungen Damen hört man so was nicht gern! Das macht allemal böses Blut.« – »Nun, daran erkenne ich Sie wieder!« sagte Harville, »aber was ist das für ein Karl Robert?« – »Ich weiß es selbst nicht,« sagte Lucenay, »in einem Badeorte habe ich ihn kennen gelernt. Im Wintergarten beim Gesandtschaftsballe ging ich an ihm vorüber und neckte ihn. Am andern Tage setzte es dafür zur Antwort einen Degenstoß. So stehen wir zusammen. Aber genug von diesen Dummheiten! Ich bin hergekommen, eine Tasse Tee bei Ihnen zu trinken.«

Lucenay warf sich auf ein Sofa.

Harville erwiderte: »Ich habe Ihnen eine Ueberraschung zugedacht, mein Lieber.« – »So? und die wäre?« fragte Lucenay. – »Es kommen ein paar gute Freunde her, zu einem kleinen Imbiß.« – »Das lasse ich mir gefallen. Marquis,« rief Lucenay, »bravo! bravissimo!« – »Saint-Remy wird auch gleich da sein,« sagte Harville; »hoffentlich hat ihn meine Einladung in Paris getroffen.«

Im andern Augenblicke trat der Edelmann, von dem die Rede war, ins Zimmer. – Lucenay eilte ihm entgegen . . . »Was? Sie Freund vom Landleben,« rief er, »wirklich schon da? Ich dachte, Sie hätten Paris wieder den Rücken gewandt.« – »Gestern bin ich wiedergekommen,« antwortete Saint-Remy, »und fand, kaum in meine Wohnung getreten, Harvilles Einladung; natürlich haben mich Windesflügel hergetragen.« – Und beiden Herren die Hände reichend, ließ er sich auf einem Sessel nieder.

»Vielen Dank für die Eile!« sagte Harville; »es freut mich um so mehr, daß Sie meiner Einladung so schnelle Folge leisten, als wir uns doch alle über den glücklichen Ausgang des Duells freuen müssen, das doch gar traurige Folgen hätte haben können.« – »Aber, Saint-Remy,« fragte Lucenay, »was hat Sie denn jetzt zur Winterszeit aufs Land hinausgeführt?« – »Ei, warum die Neugierde? Ich will mir Paris ein bißchen abgewöhnen. Das ist alles!« – »Ach richtig! Sie wollen sich doch an die Gerolsteiner Gesandtschaft versetzen lassen? Ein schöner Einfall, das muß ich sagen! Aber ich glaube nicht daran, daß er noch zur Ausführung kommen wird, wenigstens wird allgemein daran gezweifelt, auch von meiner Frau.« – »Nun, dann sagen Sie Ihrer Gemahlin, daß sie sich ebenso darin irrt, wie alle Welt.« – »Aber, lieber Lucenay, kennten Sie den Großherzog, wie ich ihn kenne,« erwiderte Harville, »dann würden Sie wohl verstehen, daß Saint-Remy große Lust haben kann, eine Zeitlang in Gerolstein zu verleben.« – »Ich bin noch immer nicht bekehrt,« sagte Lucenay, »denn ich meine, daß ein Herr, wie unser Vicomte, der zum feschesten Parisertum gehört, nirgendwo anders leben kann, als eben in Paris.«

Die anderen Gäste stellten sich nach und nach ein. Plötzlich erschien Joseph auf der Schwelle und flüsterte seinem Herrn ein paar Worte zu . . . »Sie erlauben wohl, meine Herren, daß ich ein paar Augenblicke verschwinde?« fragte Harville, »ich habe den Juwelier meiner Frau herkommen lassen, weil ich ihr ein Präsent aussuchen will. Sie wissen doch in solchen Dingen Bescheid, Lucenay? . . . Wir sind nun doch einmal Ehemänner vom alten Schrote . . .«

»Ach! es handelt sich wohl um eine Ueberraschung?« rief der Herzog; »nun, meine bessere Hälfte hat mir gestern auch eine kleine Ueberraschung bereitet.« – »So?« – »Ja, aber keine sonderlich freudige! Hunderttausend Franks will sie haben! Was meinen Sie dazu?« – »Nun, ein so freigebiger Herr wie Sie wird seine Gattin kaum warten lassen.« – »Nun, gute Rechnung erhält die Freundschaft, das wissen Sie ja? Aber 100 000 Franks sind keine Lappalie. Ich habe ihr das Geld geliehen und bekomme von ihr eine Hypothek auf ihr Gut. Sagen Sie mal, Saint-Remy,« wandte sich Lucenay an den Vicomte, »Sie verstehen sich doch auf Anleihen?« Aber wie nahe er mit dieser Frage an den eigentlichen Sachverhalt streifte, davon hatte er keine Ahnung. Saint-Remy mangelte es an Keckheit freilich nicht, aber seine Wange färbte sich doch bedenklich, als er die Worte geringschätzig hinwarf: »Hunderttausend Franks sind freilich keine Bagatelle, und wozu eine Frau soviel brauchen könnte, möchte ich doch wissen. Bei den Männern ist das schließlich etwas anderes.« –

»Saint-Remy,« rief ihn Harville, »einen so feinen Geschmack wie Sie hat nur selten jemand; helfen Sie mir doch den Diamantschmuck für meine Frau aussuchen.« – »Ach, der Herr Baudoin?« rief Lucenay, als der Juwelier von dem Marquis in das Zimmer geführt wurde . . . – »Mein Kompliment, Herr Herzog,« sagte Baudoin. – »Ei, ich habe Sie stark im Verdacht, mein Lieber,« sagte Lucenay, »daß Sie hin und wieder meiner lieben Ehehälfte solchen Floh ins Ohr setzen, der sie dem Ruine in die Arme führen muß?« – »Aber die Frau Herzogin hat ja doch ihre Diamanten,« antwortete der Juwelier, »in diesem Jahre bloß neu fassen lassen, Herr Herzog.« Aber ein gewisser Grad von Verlegenheit zeigte sich bei diesen Worten doch auf seinem Gesichte. – Auch Saint-Remy verfärbte sich, wußte er doch recht gut, daß die Herzogin, um ihm beizustehen, ihre echten Juwelen gegen falsche vertauscht hatte.

Inzwischen hatte Baudoin verschiedene Halsbänder und Spangen mit Rubinen und Diamanten auf dem Tische ausgelegt.

»Die Steine sind wirklich brillant!« rief Lord Douglas, »einen so scharfen und akkuraten Schnitt habe ich wirklich kaum vorher gesehen.« – »Ja, ich hatte einen ganz ausgzeichneten Steinschneider,« antwortete Baudoin, »der aber leider vor ein paar Tagen um sein letztes bißchen Verstand gekommen ist. Ob ich einen so geschickten Arbeiter wie ihn wiederfinden werde, weiß ich tatsächlich nicht. Die Frau, die ihn mir vermittelt hat, sagte mir, er sei so arm gewesen, daß er nicht mehr wo aus wo ein gewußt habe.« – »Und solchem armen Menschen vertrauen Sie Diamanten an?« fragte Lord Douglas. – »Gewiß! Daß ein Steinschneider, trotzdem sie alle arme Teufel sind, sich an einem Diamanten vergriffen habe, ist eigentlich noch kein einziges Mal passiert.«

»Na, umso besser,« sagte Harville, »aber sagen Sie mir lieber, wieviel kostet hier dieses Halsband?« – »Die Steine, Herr Marquis, sind vom reinsten Wasser und trefflich geschnitten, auch fast durchweg von gleicher Größe. Der billigste Satz ist 42 000 Franks.« – »Seiner Frau ein Präsent von solchem Werte zu machen! Das kann doch bloß unser Harville,« rief Lucenay, »lassen wir ihn ob seiner Ritterlichkeit hoch leben. Harville hoch! Harville hoch!« – »Nun, denken Sie darüber wie Sie wollen, meine Herren,« antwortete Harville, »ich bin nun einmal in meine Frau verliebt und schäme mich dessen weder, noch mache ich ein Geheimnis daraus.« Und sich zu Baudoin wendend, setzte er hinzu: »Herr Baudoin, Sie machen das Geschäftliche wohl mit meinem Herrn Doublet ab?« – »Gewiß, Herr Marquis,« antwortete der Juwelier, »hat doch Herr Doublet schon mit mir darüber gesprochen!« – Und ohne die Steine, die er mitgebracht, zu zählen, – so sehr vertraute er auf die Rechtlichkeit der anwesenden Edelleute – schob er sie in die Tasche und verließ das Zimmer. Harville übergab dem Diener Joseph das Halsband, das er ausgewählt hatte, und sagte zu ihm: »Julie soll es recht geschickt zu den anderen Schmucksachen legen, damit meine Frau überrascht wird!«

Gleich darauf wurde gemeldet, daß das Frühstück aufgetragen sei. Daß Saint-Remy die Steine des Juweliers einen nach dem andern sich angesehen und dann wieder auf den Tisch gelegt hatte, war niemand besonders aufgefallen.

»Ihr Palais, lieber Harville, ist wirklich eines der elegantesten von ganz Paris,« meinte Lucenay. – »Nun, ganz bequem ist es ja, aber nicht sonderlich geräumig. Darum will ich schon immer einen Saal nach dem Garten zu anbauen lassen. Wenn meine Frau mal einen Ball geben will, reichen unsere drei Säle in der Regel nicht aus. Sie gehen mir wohl auch hierin mit Ihrem Rate zur Hand, Saint-Remy?« – »Meine geringen Fähigkeiten stehen zu Ihren Diensten, lieber Harville.« – »Und wann soll die neue Pracht eingeweiht werden?« – »Ich denke, im nächsten Jahre, mit den Arbeiten wenigstens wird schon jetzt begonnen.« – »Sie schmieden ja Pläne über Pläne, lieber Harville. Ich hörte, Ihre Burgunder Besitzung wollen Sie auch renovieren lassen?« – »Val-Richer, meinen Sie? Allerdings! Und nicht bloß renovieren, sondern umbauen, lieber Lucenay. Es ist mit den Häusern wie mit den Menschen. Sie brauchen hin und wieder mal neuen Ausputz.« – »Sie haben ja eine Meierei dazu gekauft? Nicht wahr?« – »Allerdings. Zur Arrondierung. Es war ein recht gutes Geschäft, zu dem mir mein Notar geraten hatte.« – »Welchen Notar haben Sie?« – »Ferrand.«

Als Saint-Remy diesen Namen hörte, überrieselte es ihn kalt. – »Ist er wirklich ein rechtschaffener Mann, wie es immer heißt?« fragte er leichthin. – »Ferrand?« sagte Lucenay, »o, das ist ein Mensch von antiker Rechtlichkeit, so recht ein Mann vom alten Schlage, die gleich aus dem Häuschen geraten, sobald man eine Quittung für an ihn bezahltes Geld fordert.« – »Ei! Warum werfen Sie denn solche Frage auf, Saint-Remy?« fragte Harville. – »O, nur nebenbei,« versetzte dieser, »ich habe manches läuten hören, persönlich aber keinen Grund, an diesem Wunder von Notar zu zweifeln. Aber um auf Ihre Pläne zurückzukommen, Harville . . . welche Bauten haben Sie in Val-Richer vor?« – »Sie werden schon konsultiert, sobald wir soweit sind. Das wird vielleicht früher eintreten als Sie denken, denn ich verspreche mir von den hierbei notwendigen Arbeiten recht viel Genuß. Aber, meine Herren,« setzte er hinzu, als die Tafel nach eingenommenem Imbiß abgeräumt wurde, »wir müssen doch noch ein paar Zigarren rauchen? Im Nebenzimmer finden Sie ein paar neu aus Havanna eingetroffene Kistchen.«

Die Herren standen auf und begaben sich in das Nebenzimmer, von dem aus eine Tür in das mit Waffen geschmückte Schlafzimmer führte . . . Dorthin folgte Lucenay seinem Wirte. – »Wie Sie sehen, Lucenay,« sagte Harville, auf die an der Wand hängenden Gewehre zeigend, »bin ich noch immer ein Waffenliebhaber.« – »Sie besitzen ja eine brillante Waffensammlung,« rief der Herzog, »englisches und heimisches Fabrikat! Da wüßte ich wahrhaftig nicht, zu welchem Gewehr man greifen sollte!«

Die anderen Herren traten hinzu, um die Waffen zu besichtigen. Harville nahm ein Pistol von der Wand und sagte lachend: »So ein kleines Ding, meine Herren, ist das Universalheilmittel gegen Spleen, Langeweile und alles sonstige Leid!« Dabei hielt er scherzend den Lauf der Waffe in den Mund hinein . . .

»Ich meinesteils,« versetzte Saint-Remy, »gebe einem andern Heilmittel den Vorzug; was Sie empfehlen, ist nur zu benutzen in ganz verzweifelten Fällen.« – »Aber von erstaunlich rascher Wirkung,« meinte Harville, »ein Druck, ein Knall und das Ding ist vorbei. Kaum der Gedanke ist schneller.« – »Harville, machen Sie keine Scherze!« rief Lucenay, als Harville das Pistol abermals dem Munde näherte; »dergleichen Späße sind immer mit Fährlichkeit verknüpft.« – »Sie meinen doch nicht, daß ich damit so spielen würde, wenn es geladen wäre?« erwiderte Harville; »ach! gehen Sie mir! Geben Sie acht, meine Herren! Eins, zwei, drei! Und der – Kram ist – vorbei!«

Kaum waren die Worte aus seinem Munde, als der Schuß knallte . . .

Marquis von Harville hatte sich eine Kugel durch den Kopf gejagt . . .

Am nächsten Tage stand in den Zeitungen:

»Gestern hat ein unerwartetes trauriges Ereignis die Vorstadt Saint Germain in Bestürzung versetzt. Folge von Leichtsinn und Unbedacht – wie man sie leider zu oft festzustellen findet – hat ein schreckliches Unglück veranlaßt. Der Marquis von Harville, Besitzer eines unermeßlichen Vermögens, kaum sechsundzwanzig Jahre alt, bekannt durch Herzensgüte und Edelmut, seit wenigen Jahren mit einer Frau verheiratet, die er vergötterte, hatte einige Freunde zum Frühstücke bei sich. Nach dem Tische gingen die Herren in das Harvillesche Schlafzimmer, worin sich wertvolle Gewehre befinden. Herr von Harville nahm scherzend ein Pistol, das er nicht für geladen hielt, und setzte es an die Lippen, drückte ab, der Schuß ging los, und der unglückliche junge Mann sank mit zerschmettertem Kopfe tot nieder . . . Man denke sich die entsetzliche Bestürzung der Freunde des Herrn von Harville, denen er einen Augenblick vorher in Jugendkraft und vollem Glücke verschiedene Pläne mitgeteilt hatte! Am Morgen hatte er noch einen Schmuck von großem Werte gekauft, um seine Frau damit zu überraschen. In dem Augenblicke also, in welchem ihm das Leben vielleicht reizender und schöner erschien als je, wurde er ein Opfer eines entsetzlichen Unfalls.«

In Wahrheit aber lagen die Dinge so, daß Harvilles Entschluß durch maßlose Verzweiflung geweckt worden war: seine Frau hatte durch ihre jetzt erwachende Liebe in seinem Herzen die peinlichsten Gewissensbisse geweckt, die seine schlimme Krankheit nur zu verschärfen vermochte. Tiefes Mitleid mit seiner Frau, die er in ein Leben ohne Liebe an der Seite eines mit einem epileptischen Leiden behafteten Mannes gekettet sah, zu dem sie doch niemals wahre Liebe empfinden könnte, und tiefer Ueberdruß an sich und am ganzen Leben hatten ihm die Pistole in die Hand gedrückt, hatten ihn bestimmt, Hand an sich zu legen . . .



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