Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Sechstes Kapitel.

Eine Konferenz.

Am selben Tage, da Marie durch Bakel und die Eule geraubt wurde, war in der zehnten Stunde ein Reiter in Bouqueval abgestiegen, um Frau Georges im Auftrage Rudolfs über das Verschwinden des Mädchens zu beruhigen und ihr zu sagen, daß sie sich sehr bald wieder werde sehen lassen. Frau Georges solle, falls sie ihm etwas mitzuteilen habe, nicht nach Paris schreiben, sondern ihm, dem Boten, den Brief mitgeben. Der Bote war aber nicht von Rudolf, sondern von der Gräfin Sarah abgeschickt worden, die durch diese List erreichte, daß Rudolf erst einige Tage später von dem Raube des Mädchens unterrichtet werden konnte. Inzwischen rechnete sie darauf, von Ferrand Zustimmung zu dem geplanten Betruge zu erlangen. Sie wollte sich ferner auch der Frau von Harville entledigen, da sie sich ernster Gefahr durch sie versah. Zu diesem Zwecke ersann sie folgendes anonyme Schreiben, das ihrer Meinung nach zum gänzlichen Bruche zwischen Rudolf und dem Marquis führen mußte . . .

»Sie sind schmählich hintergangen worden, Herr von Harville! Ihre Frau hat, als sie merkte, daß Sie ihr nachgingen, den Armenbesuch mit erstaunlicher Biegsamkeit des Geistes ersonnen. Nichtsdestoweniger war sie unterwegs zu einer sehr hochgestellten Person männlichen Geschlechts, die unter dem Namen Rudolf in dem fraglichen Hause der Rue du Temple ein Zimmer im vierten Stock gemietet hat. Wollen Sie nicht den Glauben wecken, ein gar zu eifriger Fürstendiener zu sein, dann mißachten Sie diese Warnung nicht!«

In der fünften Nachmittagsstunde desselben Tages, an welchem sie zu Ferrand ging, brachte Sarah den Brief zur Post. – Rudolf seinerseits ging an demselben Tage, an welchem er Graun benachrichtigen ließ, Davids Frau so schnell wie möglich nach Paris zu schaffen, in das Palais des x-schen Gesandten, um dessen Gemahlin eine Visite zu machen: dann beabsichtigte er, sich zu der Marquise vor Harville zu begeben, um sie von einer neuen Gelegenheit, ihre Mildtätigkeit zu betätigen, zu unterrichten. Der Marquis und seine Gemahlin erhoben sich eben von der Tafel, als Rudolf angemeldet wurde.

»Es freut mich außerordentlich, Sie und meinen lieben Albert einmal wiederzusehen,« sagte Rudolf, dem Marquis die Hand drückend. – »Es ist wirklich lange her,« versetzte der Marquis, »daß ich die Ehre nicht hatte, Königliche Hoheit zu sehen.« – »Und an wem liegt die Schuld, Sie ewig Unsichtbarer? Erst vor drei Wochen habe ich mich bei Ihrer schönen Gemahlin nach Ihnen erkundigt. Es ist recht unlieb von Ihnen, sich niemals sehen zu lassen.« – »Seien Sie versichert, königliche Hoheit, daß mich nur unvorhergesehene Umstände zwangen, mich fern zu halten.« – »Unter uns, lieber Albert, Sie sind ein zu arger Platoniker als Freund! Wissen Sie, daß man Sie schätzt, dann liegt Ihnen nichts mehr an Anhänglichkeitsbeweisen.«

Da trat ein Diener ein mit einem Briefe an den Marquis: es war die Warnung, die von der Gräfin Sarah geschrieben worden war, und die den Fürsten als Liebhaber der Marquise bloßstellte. Harville trat zum Kamine, um an einem der dortstehenden Leuchter zu lesen, was der Brief enthielt. Unterdes plauderte Rudolf mit der Marquise. Der Marquis las lange, las zweimal, aber seine Züge blieben unverändert, nur seine Hand zitterte, als er das Billet in die Westentasche schob. – »Auf die Gefahr hin, Sie zu kränken, muß ich um Erlaubnis bitten, mich zu verabschieden. Ich muß den Brief sofort beantworten, der mir jetzt zugestellt wurde.« – »So werde ich Sie nicht wiedersehen?« fragte Rudolf. – »Schwerlich, Hoheit! Wie gesagt, ich bitte, mich zu verabschieden.« –

»Seltsam! Wie konsequent er uns meidet!« sagte Rudolf; »wollen Sie ihn nicht zurückzuhalten suchen?« – »Solchen Versuch möchte ich nicht wagen,« erwiderte die Marquise, »nachdem er Ihnen, Hoheit, mißglückt ist.« – »Ein Wort im Ernst, lieber Albert,« sagte Rudolf, »kommen Sie doch wieder, sobald Sie mit Ihrem Briefe fertig sind; oder versprechen Sie mir wenigstens für den nächsten Vormittag einen Besuch. Ich habe Ihnen tatsächlich viel zu berichten.« – »Königliche Hoheit sind sehr gütig,« erwiderte der Marquis mit tiefer Verbeugung, um dann hinauszugehen und Rudolf mit seiner Gemahlin allein zu lassen.

»Ihr Mann peinigt sich mit recht häßlichen Gedanken,« sagte Rudolf, »mir war so zumute, als ob er lieber geweint als gelacht hätte.« – »Beschäftigen wir uns lieber mit fremdem als eigenem Unglück,« sagte die Marquise. – »Ach! Ich weiß ja, worauf Sie hinaus wollen,« sagte Rudolf, »nun, es war sehr recht von mir, die Stube in dem Hause der Rue du Temple zu mieten, von dem ich gesprochen. Sie können sich nicht vorstellen, wieviel Merkwürdiges und Interessantes ich dort gefunden habe. Ihre Schützlinge erfreuen sich in dem Dachstübchen alles Glückes, das Sie ihnen zuteil werden ließen, aber andere harte Prüfungen sind über sie gekommen. Doch möchte ich Sie nicht traurig stimmen; es wird Ihnen noch früh genug zu Ohren kommen, was für schreckliches Leid über eine einzige Familie kommen kann.«

»Sie haben also die Leute in meinem Namen unterstützt?« fragte die Marquise. – »Ja, und vor Not sind die Leute zunächst gesichert. Befassen wir uns jetzt mit unsrer kleinen Intrige! Es handelt sich um eine arme Mutter, die mit ihrer Tochter früher im Wohlstande lebte und jetzt der bittersten Not preisgegeben ist.« – »Wo wohnen die unglücklichen Menschen?« – »Ja, ich weiß es selbst nicht,« antwortete Rudolf, »ich war gestern mit einer Nachbarin aus der Rue du Temple im Temple. Das kleine Ding heißt Lachtaube und ist ein kleines Wunder von Ordnung und Sauberkeit, zudem eine kleine Lebensphilosophin und eine recht geschickte Näherin.«

»Nun, ich will ihr morgen Arbeit schicken.« – »Also interessieren Sie sich für meine kleine Nachbarin? Nun, dann können wir uns ja ohne weiteres zu dem kleinen Abenteuer wenden, von dem ich vorhin sprach. Also: Ich ging mit meiner kleinen Lachtaube in den Temple, um für Morels noch ein paar Sachen zu kaufen. Da fand ich in einem alten Schreibsekretär, der auch zu verkaufen war, und den ich mir ansah, weil ich eigentlich die Absicht hatte, ihn an mich zu bringen, das Konzept zu einem Briefe, worin eine Mutter Klage gegen jemand führte, sie mit ihrer Tochter durch Unterschlagung eines Depositums in das größte Elend gebracht zu haben. Sie scheinen den besten Kreisen anzugehören, aber durch diesen Betrug in die ärgste Not gekommen zu sein.«

»Sie wissen aber nicht, wo die Damen wohnen?« – »Nein. Ich habe aber Graun befohlen, die Adresse auszuspionieren, wenn nicht anders, mit Zuhilfenahme der Polizei. Ich vermute, daß sich die unglücklichen Damen in irgendein Hotel garni geflüchtet haben.«

»Ein wunderliches Zusammentreffen von Umständen!« rief die Marquise. – »Hören Sie weiter!« fuhr Rudolf fort, »in einer Ecke des Schreibblattes, das ich in dem Sekretär fand, standen die Worte: schreiben an die Herzogin von Lucenay.« – »Nun, dann werden wir ja Näheres erfahren,« rief die Frau Marquise, aber mit einem schweren Seufzer setzte sie gleich hinzu: »Wie soll ich der Herzogin aber die Frau schildern, da ich sie doch gar nicht kenne?« – »Sie werden sich erkundigen müssen, ob sie vielleicht eine junge Witwe kennt, deren Tochter den Namen Klara trägt. Ihn besinne ich mich gehört zu haben.« – »So heißt ja auch meine Tochter. Nun, das ist für mich ein weiterer Grund, mich nach den beiden Damen aufs angelegentlichste zu erkundigen.« – »Eins noch muß ich erwähnen,« sagte Rudolf: »der Bruder der Dame hat durch Selbstmord geendet.« –

»Ich glaube,« antwortete die Marquise, »daß diese Angaben ausreichen werden, uns auf die Spur zu führen. Ich werde der Herzogin noch heut abend ein paar Worte schreiben, damit ich sie morgen früh bestimmt zu Hause treffe. Daß aber solche Damen in so krasse Not geraten können! Das muß ja geradezu gräßlich für sie sein!« – »Und wodurch?« rief Rudolf; »einzig und allein durch die Schurkerei eines Notars, von dem mir schon andere derartige Stückchen bekannt sind. Ferrand, Jakob Ferrand heißt der Wicht.« – »Was?« rief Clemence, »meines Mannes Notar? und auch meiner Stiefmutter Notar? Aber Sie irren, Hoheit! Ferrand gilt allgemein als der größte Ehrenmann, als Muster von Rechtschaffenheit.« – »Ich habe die wuchtigsten Beweise vom Gegenteil,« rief Rudolf, »doch bitte ich Sie, gegen niemand sich hierüber zu äußern. Der Halunke ist ein Ausbund von Pfiffigkeit und Gemeinheit, und bis ich ihm die Maske vom Gesicht reißen kann, darf er in dem Glauben an seine Straflosigkeit nicht irritiert werden. Dies Ungeheuer von Schlechtigkeit hat die beiden Damen um ihr Vermögen gebracht, indem er ein anvertrautes Gut in Abrede stellt, das ihm aller Wahrscheinlichkeit nach von dem verstorbenen Bruder der Witwe eingehändigt worden ist.« –

»Sie müssen ausfindig gemacht werden. Erfahre ich bei der Lucenay nichts, so gehe ich in die frühere Wohnung der unglücklichen Witwe, und werde selbst Gefahren nicht scheuen, sofern es nicht anders geht. Ich werde den beiden Damen möglichst bald Rettung bringen.«

Rudolf, tief ergriffen von solchem Wohltätigkeitseifer, lächelte traurig, als er die schöne, liebenswürdige, kaum zwanzigjährige Frau ansah, die in edlem Tun ihr Unglück zu vergessen strebte. Sie merkte es bald, errötete und schlug die Augen nieder, dann rief sie: »Sie lachen über meinen Eifer? Ich sehne mich aber nach solchen süßen Freuden, mein Leben zu verschönern, das bisher so trüb und freudlos verlaufen ist. Schon verdanke ich Ihrem Rate so rührende Empfindungen! O! königliche Hoheit, welchen Schatz von Güte birgt Ihre Seele! Woher haben Sie denn Ihr tiefes, edles Mitempfinden?« – »Ich habe selbst schon viel gelitten und weiß, wie wehe Schmerz tut!« – »Auch Sie, königliche Hoheit, sind unglücklich?« fragte tief ergriffen die Marquise. – »Ja, gnädige Frau,« versetzte Rudolf, »im Freunde, im ersten Weibe, das ich mit aller Inbrunst eines jungen Herzens liebte, hat mich das Schicksal heimgesucht; in meiner Frau als Ehgemahl, in meinem Vater als Sohn und in meinem Kinde als Vater hat es mich bitter schwer getroffen.« –

»Und ich meinte, die Großherzogin habe Ihnen kein Kind hinterlassen?« – »Das wohl; aber vor meiner Verheiratung hatte ich eine Tochter, und sie verstarb in ihrer frühesten Kindheit. So eigentümlich es Ihnen auch erscheinen mag, der Verlust dieser Tochter, die ich doch eigentlich kaum gesehen, hat mein ganzes Leben mit Schmerz erfüllt. Je älter ich werde, desto tiefer wird dieser Schmerz. Mit jedem Jahre mehrt sich seine Bitterkeit. Mein Kind müßte jetzt siebzehn Jahre zählen.« – »Lebt die Mutter des Kindes noch?« fragte nach einer Weile die Marquise. – »O, kein Wort von ihr!« rief Rudolf, dessen Gesicht sich in düstere Falten legte, »ihre Mutter ist eine durch Selbstsucht und Ehrgeiz verhärtete Frau. Oft habe ich mir schon gesagt, daß es für das Mädchen besser gewesen, so früh zu sterben, als in den Händen einer solchen Mutter zu bleiben.« – »O, da wird es mir freilich begreiflich, daß Sie sich so lebhaft nach Ihrem Kinde sehnen!« sagte Clemence. – »Ach, wie innig hätte ich sie geliebt! Mir ist es immer so ums Herz, als wenn wir Fürsten einen Sohn nur aus Geschlechts- oder Namensinteresse liebten, eine Tochter aber mit unserm Herzen und um ihrer selbst willen.«

Clemence trat eine Träne ins Auge, so sehr ging ihr Rudolfs Ton zu Herzen. Nach einer Weile, fast errötend über das Gefühl, das ihn so übermannt hatte, sagte Rudolf mit traurigem Herzen: »Verzeihen Sie, daß ich mich so von meinen Empfindungen habe hinreißen lassen. Doch fassen wir Mut! Das Gespräch hat mich hinsichtlich Ihrer Person beruhigt: ein heilsamer Weg ist Ihnen gebahnt. Folgen Sie ihm, dann werden Sie sicherlich jene Jahre der Prüfung durchschreiten, die für Frauen, vor allem aber für Frauen von Ihrem Charakter, so gefahrvoll sind. Ihr Verdienst wird groß sein. Zwar werden Sie noch zu kämpfen und zu leiden haben, da Sie noch sehr jung sind; der Gedanke aber an das Gute, das Sie vollbracht haben und noch zu vollbringen haben, wird Ihnen Kraft und Mut leihen.« – »Ohne Ihren edlen Beistand würde mich alle Kraft verlassen,« sagte die Marquise, »das fühle ich tief, doch glauben Sie mir, ich werde keinen Schritt von meiner Pflicht weichen.«

Kaum waren diese Worte aus ihrem Munde, so öffnete sich eine verborgene Tür in der Tapete. Clemence schrie auf, und Rudolf fuhr zusammen. Kreidebleich, heftig erregt, die Augen voll Tränen, trat Harville über die Schwelle, den von der Gräfin Mac Gregor erhaltenen Brief in der Hand . . . »Hier, Hoheit, lesen Sie, was mir vorhin überbracht wurde. Lesen Sie den Brief und dann verbrennen Sie ihn!« – Rudolf rief, während die Marquise erschreckt aufsah, voll tiefer Entrüstung: »Wie ist solche Schändlichkeit möglich? Da müßte man ja an der Welt verzweifeln!« – »Königliche Hoheit! Noch schändlicher vielleicht ist mein Verhalten,« sagte der Marquis. »Habe ich nicht an Ihnen gezweifelt, bis ich hörte, aus Ihrem Munde hörte, was Sie in die Rue du Temple geführt hat? Der diesen Brief geschrieben, weiß recht gut, an wen er ihn geschrieben! weiß recht gut, was für ein Schwachkopf ich bin! Knieend vor Ihnen, königliche Hoheit, und vor dir, mein Weib, bekenne ich, daß Wut und Eifersucht mein Herz zerfleischten, und bettle um Gnade, die ich nur finden kann, wenn sie Ihr Edelmut spendet.« – »Ach, mein lieber Albert,« erwiderte Rudolf, »was habe ich Ihnen zu verzeihen? Jetzt wissen Sie Bescheid um unsre Geheimnisse, und ich kann Ihnen gehörig den Text lesen. Sie wissen nun auch, was Sie von diesem edlen Herzen zu erwarten haben . . .« – »Ach, Clemence, kannst du mir auch diesmal verzeihen?« fragte Harville mit trübem Blicke seine Frau. – »O ja, doch unter der Bedingung, daß du mir beistehst, dich glücklich zu machen!« Bei diesen Worten gab sie ihrem Manne die Hand, die von ihm mit Wärme gedrückt wurde.

Am andern Morgen klingelte Harville seinem Lakai, der nicht wenig verwundert war, seinen Herrn ein Jagdlied trällern zu hören. Das war ein sicheres, wenn auch seltenes Zeichen für seine gute Laune.

»Ach, gnädiger Herr,« sagte der Diener, »es ist doch schade, daß Sie so wenig singen! Sie haben doch eine so prächtige Stimme!« – »So? Meinst du?« fragte der Marquis, sichtlich erfreut, »ich denke, du wirst die Musik wohl jetzt alle Tage hören.« – »Ach, wie mich das freuen würde! Also werden Sie alle Tage sich so recht von Herzen glücklich fühlen?« – »Ja, Joseph, ich werde jetzt so recht von Herzen glücklich sein. Hat mir doch meine Frau versichert, daß sie mich jetzt so recht, recht lieb habe.« – »Nun, habe ich nicht immer gesagt, daß sie noch einmal einsehen werde, was für einen guten Mann sie an Ihnen habe?« – »Und mich, Joseph, macht diese Zuversicht, jetzt meiner Frau Liebe so ganz zu besitzen, so glücklich, daß ich fast überzeugt bin, von meiner schrecklichen Krankheit geheilt zu sein.« – »Wirklich, gnädiger Herr! Ach, wie wollte ich Gott dafür von Herzen danken!«

»Nun, wenigstens hat mir mein Arzt wiederholt schon gesagt, daß ebenso, wie eine starke Erschütterung hinreiche, sie hervorzurufen, nichts anderes vonnöten sei, sie zu heilen.« – »Herr Marquis, wenn Sie den festen Glauben haben, so wird die Heilung auch eintreten, sofern sie nicht wirklich schon eingetreten ist. Aber – aber – es ist des Glückes fast zuviel für einen Tag. Zum Glück bringe ich ein bißchen Wermut mit: ein Freund von Ihnen hat einen Degenstoß bekommen, der freilich nicht viel auf sich hat, aber – die Sache genügt doch, dem schönen Sonnenschein des heutigen Tages ein bißchen Schatten zu geben.« –

»Wer ist's denn, der einen Degenstoß abbekommen?« – »Der Herzog von Lucenay.« – »Die Verwundung hat aber nicht viel auf sich?« fragte Harville. – »Nein. Der Arm ist bloß ein bißchen geritzt. Gestern wollte er Ihnen seinen Besuch machen, traf Sie aber nicht und hat hinterlassen, daß er heute vormittag wiederkommen werde, um eine Tasse Tee mit Ihnen zu trinken.«

»Nun, so möchte ich den Anlaß benützen, heute morgen ein Herrenfrühstück zu geben, zur Feier des glücklichen Ausgangs, den dieses Duell genommen hat. Lucenay wird sich gewiß freuen, denn er vermutet doch so etwas nicht.« – »Das ist nur zu gewiß, Herr Marquis! Wieviel Kuverts soll ich decken?« – »Sechs,« antwortete Harville, »und im kleinen Winterfestsaale.« – »Ich eile, gnädiger Herr!«

Vicomte von Saint-Remy, Baron von Monville, Lord Douglas und Graf von Sezanne waren die Herren, an die Harville durch einen expressen Boten die Einladungen zur Teilnahme an dem Herrenfrühstück ergehen ließ. Joseph konnte sich vor Freude nicht fassen . . . »So lustig und guter Dinge habe ich Sie seit langem ja nicht gesehen,« rief er, »sonst sahen Sie immer bleich aus, und heute haben Sie richtig rote Wangen.« – »Da kannst du sehen, Joseph, was Glück beim Menschen ausmacht!« erwiderte Harville; »aber weißt du, Joseph, du mußt mir bei einer kleinen Intrige beistehen, das heißt: du mußt dich bei Jungfer Julien erkundigen, wer der Juwelier ihrer Herrin ist, und wo er wohnt; du mußt ihr aber ans Herz legen, ihrer Herrin kein Sterbenswort davon zu sagen. Schnell, schnell, hörst du? Da kommt ja Doublet!«

Während Joseph hinausging, trat der Intendant tatsächlich auf die Schwelle. »Nun, mein lieber Doublet,« sagte Harville, »heut will ich mal Geld springen lassen.« – »Nun, Herr Marquis, das können wir doch auch, wir haben es doch, Gott sei Dank!« – »Ich will schon lange nach dem Garten zu eine Galerie an den rechten Flügel meines Palais bauen, habe ja lange gezaudert und deshalb noch nicht mit Ihnen geredet; nun habe ich mich aber fest entschlossen. Mein Baumeister soll einmal zu mir kommen, damit wir zusammen über die Sache sprechen.« – »Ich habe immer gesagt, es fehlt dem gnädigen Herrn weiter nichts als eine bestimmte Arbeit oder, sagen wir lieber, Zerstreuung, ein kleines Steckenpferd. Um das Geld brauchen wir uns wahrhaftig keinerlei Gedanken zu machen. Wir können uns das Steckenpferd, wie ich sagte, wählen, ganz nach Belieben.«

Joseph trat ein . . . »Hier ist die Adresse des Juweliers . . . Baudoin heißt er.« – »Ach, Doublet, Sie gehen wohl bei dem Manne mit heran und sagen ihm, er möge mir sogleich eine Diamantenschnur herbringen im Werte von annähernd 2000 Louisdor.« – »Gewiß, Herr Marquis! Auf der Stelle. Behalten doch Diamanten, genau wie Häuser, immer ihren Wert.«

Harville, wieder mit sich allein, ging, die Arme über der Brust gekreuzt, nachdenklich in seinem Zimmer auf und ab. Da änderte sich jäh sein Gesichtsausdruck: die Zufriedenheit, die darin bislang geherrscht hatte, schwand, und ruhige, kalte Entschlossenheit trat an ihre Stelle. Noch ein paar Schritte machte er durch das Zimmer. Dann sank er auf einen Sessel, wie wenn ihn die Wucht seiner Schmerzen niederdrückte: dann stützte er beide Ellbogen auf den Schreibtisch und die Stirn auf beide Hände. Dann fuhr er wieder jäh empor, wischte sich eine Träne aus dem Auge und sprach mit Anstrengung zu sich: »Mut! Mut!« Dann machte er verschiedene Notizen auf einem Blatte, verlegte besprochene Zusammenkünfte auf spätere Tage und ordnete allerhand Papiere in seinem Schreibsekretär.

Ein Wagen rollte in den Hof . . . Joseph trat mit der Meldung ein, daß die Frau Marquise ihre Equipage zur Ausfahrt bestellt habe. Kaum war der Diener wieder gegangen, als Harville vor den Spiegel trat und sich aufmerksam betrachtete . . . »Recht so,« sprach er vor sich hin, »rote Wangen und Augen, aus denen Fieber leuchtet. Was hats zu sagen, wenn man sich bloß dadurch irreführen läßt? Nun noch ein Lächeln um die Lippen! Wer wird dann ahnen, daß Todesgedanken sich dahinter bergen? Sicherlich niemand . . . Aber ich höre meine Frau . . . Nun zu Deiner Rolle, Du armer Histrio!«

»Guten Morgen, lieber Mann,« rief ihm Clemence mit liebevollem Stimmklange entgegen und gab ihm die Hand . . . »Aber was ist dir denn?« fragte sie neugierig, als sie den lächelnden Zug um seine Lippen sah, »du strahlst ja schier vor Freude!« – »O, ich war eben bei dir in Gedanken, meine Liebe, und dann ist mir die Nacht etwas eingefallen.« – »Nun, so sprich doch!« – »All die gestrigen Vorgänge, dein bewunderungswürdiger Edelmut, das vornehme Verhalten des Fürsten haben mir zu denken gegeben und mich zu deinen Ideen bekehrt; ich beklage, daß ich gestern so aufbrauste, aber du bist mir deshalb nicht weiter böse . . . wie? Du hättest es mir doch nicht verzeihen können, wenn ich mich in den Verlust deiner Liebe ohne weiteres still gefügt hätte?« – »Ach, was sind das für liebe Worte, guter Albert! Sieh, das freut mich von ganzem Herzen, daß du mich jetzt besser verstehen willst; o, ich habe mir immer gedacht, daß es besser zwischen uns werden müsse, wenn ich nicht bloß an dein Herz, sondern auch an deinen Verstand appellierte. Jetzt macht mir die Zukunft keine Bange mehr. Geschwisterlich aufeinander gestützt, wollen wir einem gemeinsamen Ziele zupilgern; und beschließen wir unsre Laufbahn, werden wir einander so wiederfinden, wie wir uns jetzt wiedergefunden haben.«

»Meine teure Clemence,« antwortete der Marquis, »ich habe dich gebeten, einen Augenblick hier zu erscheinen, weil ich dir sagen wollte, daß wir heute nicht zusammen den Tee einnehmen könnten. Ich habe ein paar gute Bekannte zu einem Imbiß eingeladen, den ich zur Feier des glücklichen Ausgangs improvisiert habe, den Lucenays Duell genommen hat.«

Die Marquise errötete, als sie an die Ursache dachte, die diesem Duell zugrunde lag: jenes kränkende Wort, das Lucenay in ihrer Gegenwart zu Karl Robert gesagt hatte . . . »Ein seltsames Zusammentreffen!« sagte sie, »Lucenay frühstückt bei dir, und mich hat seine Frau, leider auf eine etwas zudringliche Art, zu sich zum Frühstück geladen. Nun, ich habe mancherlei mit ihr im Interesse meiner beiden unbekannten Schützlinge zu sprechen. Ich werde von ihr aus nach Saint-Lazare fahren, denn ich will versuchen, zu den jungen Häftlingen zu gelangen.« –

Es klingelte . . . »Wohl schon einer deiner Gäste?« fragte die Marquise, »nun, ich gehe jetzt. Was hast du für den Abend vor? Ich ginge gern einmal in die italienische Oper . . . Du begleitest mich doch?« – »Mit größtem Vergnügen!« – »Dann also auf Wiedersehen, Albert! Ich räume das Feld und wünsche dir viel Amüsement.«

Sie reichte ihm die Hand und ging zur einen Tür hinaus, wahrend zur andern Herzog von Lucenay hereintrat.


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