Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Neuntes Kapitel.

Herzogin von Lucenay.

Rudolf war Zeuge der flüchtigen Szene zwischen der Marquise und Herrn Karl Robert gewesen, die auf den Disput zwischen ihr und dem Herzog von Lucenay gefolgt war. Die bedeutungsvollen Blicke waren ihm nicht entgangen, die zwischen beiden gewechselt worden waren, und ein geheimes Gefühl sagte ihm, daß der stattliche junge Mann einundderselbe sei mit dem, den die Pförtnersfrau »Kommandant« zu nennen liebte. Aus diesen Gedanken riß ihn Baron Graun.

»Wenn Hoheit mir einen Moment Gehör schenken wollen,« sagte er, »so bitte ich, mir in das kleine Zimmer nebenan zu folgen, wo uns niemand hören kann. Ich möchte Ihnen kurz über die Erkundigungen berichten, die ich für Sie einholen sollte.« – Rudolf folgte dem Baron . . . »Die einzige Herzogin, auf die die beiden Initialen N. und L. passen können, ist die Herzogin von Lucenay, geborne von Noirmont,« sagte der Baron, »sie ist heute abend anwesend; eben habe ich ihren Mann gesehen, der vor fünf Monaten eine Reise nach dem Orient unternahm, die ungefähr ein Jahr hatte dauern sollen, von der er aber vor einigen Tagen unvermutet zurückgekehrt ist.«

Rudolf durchschaute alles. Besondere Veranlassung, sich für die Dame zu interessieren, hatte er nicht; es schauderte ihm aber bei dem Gedanken, daß, wenn sie wirklich bei dem Scharlatan gewesen war, ihr Name diesem Schurken bekannt sein mußte, der tatsächlich kein anderer als der Abbé Polidori war und ihr den lahmen Jungen hinterher geschickt hatte, und daß nun von ihm jeder Mißbrauch mit dem furchtbaren Geheimnis, das die Frau in seine Hände gegeben hatte, getrieben werden konnte, und auch werden würde!

»Gerade als mir Herr von Grangeneuve,« fuhr Baron Graun fort, »hierüber Aufklärung gab mit dem Beifügen, daß die unvermutete Rückkehr des Herzogs seiner Gemahlin und einem unserer ersten Elegants, dem Vicomte von Saint-Remy, höchst ungelegen komme, stellte er noch die Frage an mich, ob ich meinte, daß Eure Durchlaucht geruhen würden, sich dem Vicomte vorstellen zu lassen? Der Vicomte ist nämlich der Gerolsteiner Gesandtschaft attachiert worden und würde sich glücklich schätzen, Eurer Durchlaucht sein Aufwartung machen zu dürfen.«

Rudolf konnte eine Bewegung der Ungeduld nicht unterdrücken und sagte: »Es kommt mir höchst ungelegen, aber abschlagen kann ich es doch auch nicht. Sagen Sie meinetwegen dem Grafen **, er möge so freundlich sein, mir Herrn von Saint-Remy vorzustellen.«

Der Graf kam mit dem Vicomte, einem schönen jungen Herrn von etwa 25 Jahren, schlanker Figur und tadelloser Haltung, wie auch einnehmendem Gesicht, das mit einem dichten, seidenweichen Schnurrbart geziert war, während Kinn und Wangen glatt waren wie bei einem Mädchen. Die langen Schleifen seiner Halsbinde wurden von einer einzigen Perle zusammengehalten, die durch ihre Größe, die Reinheit ihrer Form und ihren blendenden Glanz von unschätzbarem Wert war. Der Vicomte besaß einen sehr großen Rennstall und trieb einen maßlosen Luxus mit Pferden und Karossen. Er war auch ein Liebhaber vom Spiel, und seine Wetten bei den jährlichen Rennen bezifferten sich auf 2–3000 Louisdor im Minimum. Das Haus, das er in der Rue de Chaillot führte, galt als Muster von Pracht und Eleganz, und doch war es stadtbekannt, daß er sein ganzes väterliches Erbe schon lange vergeudet hatte. Böse Zungen erklärten seinen Aufwand nur deshalb für möglich, weil er Beziehungen zu der steinreichen Herzogin von Lucenay unterhielt, wie es ja auch von seiten der Gräfin Sarah geschehen war. Es wurde aber hierbei übersehen, daß der Herzog die Hand auch auf dem Vermögen seiner Frau hielt, und daß der Vicomte von Saint-Remy im Jahre wenigstens 50,000 Taler verausgabte. Noch andere wollten wissen, daß er mit den Jockeys bei den Rennen unter einer Decke steckte. Die meisten indessen kümmerten sich überhaupt nicht darum, woher der Vicomte das Geld nahm, das er jährlich mit so freigebiger Hand unter die Leute brachte, gehörte er doch durch seine Geburt der höchsten Aristokratie des Landes an, über deren Hilfsquellen sich damals niemand den Kopf zu zerbrechen pflegte. Von der Damenwelt wurde er vergöttert, war er doch ein junger, stattlicher Mann und auch ein sehr schöner Mann.

Die Vorstellung erfolgte in der üblichen Weise, Rudolf wechselte ein paar Worte mit dem neuen Mitgliede der Gerolsteiner Gesandtschaft, nickte dann leicht zum Zeichen, daß der Vicomte entlassen sei, worauf dieser sich tief verbeugte und zurücktrat. Rudolf war ein scharfer Menschenkenner, für den ein Blick genügte, sich über jemandes Charakter ein Urteil zu bilden. Gegen den Vicomte faßte er auf der Stelle Widerwillen, denn aus seinen Augen meinte er hinterhältige Schlauheit leuchten zu sehen. – In tiefen Gedanken über das seltsame Zusammentreffen, das der Zufall herbeigeführt hatte, begab sich Rudolf wieder nach dem Wintergarten und setzte sich in ein geheimes, verstecktes Plätzchen im Treibhause, neben ein Dickicht, das von einem hohen Pisangbaume fast ganz verdeckt wurde. Eine kleine, durch Gitterwerk maskierte Tür, die über einen langen Korridor zum Buffetsaale hinführte, unfern von Baum und Dickicht, stand halb offen.

Eine Weile saß er hier in Sinnen versunken, als er durch eine ihm wohlbekannte Stimme aufgeschreckt wurde, die seinen Namen nannte. Auf der andern Seite des kleinen Dickichts saß, unsichtbar für ihn, wie er für sie, die Gräfin Sarah mit ihrem Bruder Tom, in englischer Sprache sich mit ihm unterhaltend. Tom war nur wenige Jahre älter als Sarah, hatte aber schon schneeweißes Haar. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von untilgbarer Zähigkeit und Willensstärke. Sein Blick war finster, und seine Stimme klang hohl. In seinem Gemüt schien ein tiefer Schmerz oder Haß zu wohnen. Was Rudolf hörte, war das folgende Zwiegespräch . . .

»Die Marquise hat sich auf eine Weile auf den Ball bei Nervals begeben, glücklicherweise aber entfernt, ohne mit Rudolf gesprochen zu haben. Ich habe immer den Einfluß gefürchtet, den er auf sie übt, und den ich mit bestem Willen nicht bekämpfen kann. Früher oder später wird die Frau, die ich immer instinktiv gefürchtet habe, und die meinen Plänen doch einmal hinderlich werden wird, in ihr Verderben rennen.« – »Ich glaube, du befindest dich mit all diesen Vermutungen im Irrtum, denn nach meiner Ueberzeugung hat Rudolf sich nie mit der Marquise befaßt.« – »Das glaube ja nicht!« erwiderte Sarah; »die Marquise hat, wie ich ganz bestimmt glaube, vor Rudolf keinen Mann geliebt; erst er hat in ihrem Herzen gezündet. Ich habe versucht, durch Gerede, das ihn verdächtigen mußte, diese Liebe im Aufkeimen zu ersticken, aber das Bedürfnis nach Liebe war in ihrem Herzen erwacht, und als sie bei mir jenen Karl Robert sah, fiel ihr seine Schönheit auf, wie man von einem schönen Gemälde frappiert wird. Leider ist der Mensch ebenso albern wie schön, hat aber einen höchst sentimentalen Ausdruck in seinem Blicke. Ich pries den Adel seiner Seele und die Hoheit seines Charakters, kannte anderseits die angeborne Gutmütigkeit der Marquise und riet Robert, sich immer recht betrübt zu stellen, immer zu seufzen und vor allem recht wenig zu sprechen. Durch seinen Gesang, sein Aussehen, vor allem aber durch seine Melancholie hat er es fast zu stande gebracht, sich die Liebe der Marquise zu erwerben. Sie sahen einander hin und wieder unter vier Augen bei mir, und etwa dreimal in der Woche musizierten wir drei zusammen. Der sentimentale Jüngling seufzte, ließ ein paar süße Worte fallen, steckte ihr auch dann und wann ein Liebesbriefchen zu. Vor allem aber ging es ihm darum, ein Stelldichein von der Marquise bewilligt zu erhalten, aber ihre Liebe war doch nicht stark genug, sie aller Grundsätze zu überheben. Es dauerte eine geraume Weile, bis sie sich endlich entschloß, aus Mitleid mit der Verzweiflung ihres stummen Anbeters ihre Einwilligung zu einem Stelldichein zu geben. Aus Freude oder wohl mehr aus Stolz machte er mich mit seinem Glück bekannt, aber als die Stunde des Stelldicheins gekommen war, ließ sich die Marquise nicht sehen, und so war es beim zweiten, wie auch beim dritten Male.« – Sie schwieg eine Weile, wie wenn sie auf eine Aeußerung Toms wartete. Da sie ausblieb, nahm sie wieder das Wort . . . »Du siehst, wie schwer sie kämpft. Und warum kämpft sie? Weil ihr noch immer Rudolf im Sinne liegt. Aber heute abend hat sie abermals diesem Robert eine Zusammenkunft versprochen, und diesmal wird sie, wie ich bestimmt meine, ihr Wort halten.« – »Und worauf stützt sich diese Zuversicht?« fragte Tom. – »Lucenay hat ihn tief gekränkt und lächerlich gemacht. Aus Mitleid wird sie ihm bewilligen, was sie sonst wohl kaum bewilligt hätte.«

»Und mit welchen Plänen trägst du dich nun?« fragte Tom. – »Dieser Robert wird nicht verstehen, daß eine Frau, wie die Marquise, sich aus Mitleid zu einer solchen Handlung bestimmen lassen kann, und dieser Mangel an Verständnis wird die Marquise gegen ihn einnehmen und nach Vernichtung ihrer Illusion wieder an Rudolf ketten; sie muß aber für Rudolf für immer verloren sein! Hat er sie nun im Verdachte eines Abenteuers, bei dem er keine wirkende Rolle spielt, so wird er sie verabscheuen.« – »Du willst also den Marquis unterrichten?« – »Gewiß, und noch heute abend. Nach ihren Reden hat er ja bereits eine Ahnung, weiß aber nicht, gegen wen er seinen Verdacht richten soll. Es ist Mitternacht. Wir verlassen den Ball. Du begibst dich ins erste beste Kaffeehaus und teilst Herrn von Harville durch ein kurzes Billet mit, daß seine Frau sich morgen um ein Uhr nach der Rue du Temple begeben wolle, um da mit einem Galan zusammenzutreffen. Er ist eifersüchtig wie ein Mohr und wird seine Frau abpassen. Das übrige kannst du dir allein ausmalen.«

»So etwas ist aber grundschlecht,« sagte Tom; »ich will ja tun, was du begehrst, wiederhole aber, daß meiner Ansicht nach die Marquise deinen Plänen nicht so gefährlich ist, wie du dir denkst. Weit gefährlicher scheint mir das junge Ding zu sein, das Rudolf, als Handwerker verkleidet, vor etwa sechs Wochen auf die Meierei hinausgebracht hat, und mit dessen Erziehung er sich angelegentlich befaßt. Sie soll ja aus gewöhnlichstem Stande sein, ist aber eine hervorragende Schönheit. Hier läßt alles darauf schließen, daß es sich um keine flüchtige Neigung handelt. Um aber dieses, meiner Meinung ernstlichere Hindernis gegen deine Pläne zu beseitigen, ist es notwendig, daß wir sehr vorsichtig handeln. Es war auch schwer genug, genaue Erkundigungen über die Leute einzuziehen, die auf dem Gute wohnen, aber ich weiß jetzt Bescheid, und halte den Augenblick zu handeln für gekommen. Ein Zufall hat mir die alte greuliche Hexe wieder in den Weg geführt, die wir als Eule kennen gelernt haben; und ihre Beziehungen zu Leuten, wie jenem Räuber, der uns bei dem Ausflug nach Alt-Paris überfiel, werden uns jetzt von Nutzen sein können. Ich bin willens, die Sache morgen zum Abschlusse zu bringen.«

»Tom,« sagte Gräfin Sarah, »sind diese beiden Hindernisse aus unserm Wege, dann wird unser großer Plan . . .« – »Je nun, es hat noch seine Schwierigkeiten, er wird aber gelingen. Entgeht uns aber auch diese letzte Hoffnung,« setzte er mit einem traurigen Blicke auf Sarah hinzu, »dann, Sarah, bin ich frei.« – »Ja, Tom, dann sollst du frei sein,« versetzte Sarah. – »Du wirst die Bitten, die meine Rache schon zweimal sistierten, nicht wieder an mich richten?« fragte er, mit einem Blick auf den schwarzen Krepp an seinem Hute und auf die schwarzen Handschuhe, die seine Hände bedeckten . . . und bitter lächelnd setzte er hinzu: »Ja, ich warte noch immer; du weißt, daß ich seit sechzehn Jahren diese Trauer trage, und daß ich sie nicht eher ablegen werde, bis . . .« – Er winkte mit der Hand . . . »Doch still! Man kommt vom Souper zurück, und da es dir geraten erscheint, den Marquis von Harville vom Stelldichein seiner Gattin zu unterrichten, so wird es gut sein, wenn wir uns auf den Weg machen. Die Zeit rückt vor.«

Und das Geschwisterpaar verließ den Saal.



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