Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Zweites Kapitel.

Cecily.

Wir finden Frau Anastasia Pipelet, Gattin des Pförtners vom Hause in der Rue du Temple, in Gesellschaft der Madame Seraphim, Haushälterin des Notars Jacob Ferrand. Frau Anastasia, die an der Tugend und Frömmigkeit dieses Herrn keinerlei Zweifel hegt, tadelt die Strenge außerordentlich, mit der er gegen Luise Morel und François Germain vorgegangen ist. In ihrem Herzen trifft Madame Seraphim kein geringerer Tadel; aus Klugheitsgründen hält sie aber mit ihrer Abneigung gegen diese Dame hinter dem Berge.

»Wie steht es eigentlich um den Herrn Bradamanti?« fragt die Seraphim, »gestern Abend habe ich ihm geschrieben, aber bis jetzt keine Zeile Antwort erhalten; heute vormittag spreche ich bei ihm vor, treffe aber niemand zu Hause; hoffentlich habe ich nun besseres Glück?« – Frau Pipelet stellt sich äußerst betrübt und antwortet, daß Herr Bradamanti zurück erwartet werde. – Die andere sagt, sie habe allerhand mit dem Herrn zu reden, und fragt die Pförtnersfrau, ob sie nicht wisse, bis wann er zurück sein könne?

»Zwischen 6 und 7 hat er jemand herbestellt und mich beauftragt, der Person, wenn er noch nicht da sei, zu sagen, daß sie warten möge. Es wird also gut sein, Sie fragen gegen Abend noch einmal vor.« – In Gedanken aber setzt sie hinzu: »Komm oder komm nicht, in einer Stunde ist Bradamanti doch schon auf dem Wege nach der Normandie.«

Frau Seraphim erwidert verdrießlich, sie wolle also wiederkommen, fragt aber nachher, ob Frau Pipelet schon wisse, was der armen Luise Morel passiert sei, die doch alle Welt für die kreuzbravste Dirne gehalten habe, die die Sonne bescheine . . .

»Kein Wort von dem Thema!« sagt, die Hände zum Himmel aufschlagend, die Pförtnersfrau, »da stehen einem ja die Haare zu Berge!« – »Ich spreche ja doch nur davon, weil wir kein Mädchen mehr haben und für ein braves, dienstwilliges Ding bei uns ein guter Platz offen ist. Falls Sie einmal in ehester Zeit etwas hören, so denken Sie doch an uns!« – »Gern, gern,« antwortete Frau Pipelet, »es sind eben nicht bloß die guten Stellen rar, sondern auch die guten Dienstboten.« – Und in Gedanken setzt sie wieder bei sich hinzu: »Du kämst mir schon recht! Bei euch geizigen Menschen kann ja ein Mädchen schier verhungern, und dann noch sich solchen Gefahren auszusetzen wie die arme Luise! Es geht einem ja wider die Haare, wenn man denkt, so ein armes Ding und solchen armen Kerl wie den Germain mir nichts dir nichts von der Polizei festnehmen zu lassen! Das hab ich mein Lebtag noch nicht erlebt!«

Als Frau Seraphim darauf gegangen war, trat kurz nach ihr Rudolf in die Pförtnerstube . . . »Guten Tag, liebe Frau Pipelet,« sagte er, »Fräulein Lachtaube zu Hause? Ich möchte gleich einmal mit ihr reden.« – »Wozu fragen Sie da erst?« versetzte die Pförtnerin, »das Mädchen ist doch immer bei der Arbeit.« – »Und wie gehts oben bei Morels? Hat sich die Frau erholt?« – »O ja, dank ihrem Wohltäter fühlt sie sich jetzt weit wohler und hat wieder reges Interesse für ihre Kinder. Aber schrecklich bleibt die Lage der armen Frau noch gerade genug. Der Mann im Narren- und die Tochter im Zuchthause! Aber die arme Luise, glauben Sie mir, grämt sich noch zu Tode; gerade ist die Seraphim gegangen, die Haushälterin vom Ferrand, und hat das arme Ding schlecht gemacht nach Noten. Ich soll ihr ein anderes Mädchen schicken, aber die kann lange warten, ich mag mit schlechten Menschen nichts zu tun haben, und schlecht ist die Seraphim mitsamt ihrem Notar.«

Rudolf meinte dagegen, gerade in dem Wunsche der Seraphim nach einem neuen Dienstmädchen das beste Mittel zu einer kräftigen Züchtigung des Notars zu bekommen, und änderte zufolgedessen in Gedanken die Rolle, die er Cecily zugedacht, vollständig, indem er sie als das eigentliche Werkzeug zu dieser Züchtigung ins Auge faßte . . . »Mir wäre darum zu tun, eine Person aus dem Auslande, die noch nicht in Paris gewesen, bei guten Leuten unterzubringen.« – »Aber um alles in der Welt nicht zu diesem alten Geizhalse, Herr Rudolf!« erwiderte die Pförtnersfrau. – »Sagen Sie das nicht! Es ist doch wenigstens immer ein Dienst und malen kann man sich nicht alles, wenn man auf fremde Leute angewiesen ist . . . Wenn es ihr bei Ferrands nicht gefällt, steht ihr der Wechsel ja frei; vorderhand hat sie doch wenigstens den Lebensunterhalt.« – »Nun, wie Sie denken, Herr Rudolf . . . aber gering sind die Anforderungen nicht, die dort gestellt werden, und reich gemacht wird auch niemand dort . . . Daß die Luise so lange ausgehalten, hat eben anders zusammengehangen.« –

»Liebe Frau Pipelet,« sagte Rudolf, »ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen.« – »So? Und das wäre?« fragte Frau Pipelet gespannt. – »Das Mädchen hat einen Fehltritt getan. Es war in Deutschland bei Verwandten von mir in Stellung und hat sich vom Sohne verführen lassen; die Mutter hat sie weggejagt, der junge Mann hat sie nun hierher gebracht und wollte sie hier irgendwo unterbringen: das geht aber nicht so geschwind, und darüber ist ihm das Geld ausgegangen. In einem Hause, wo strenge Zucht herrscht, dürfte Cecily – so heißt das Mädchen – am ehesten wieder auf den rechten Weg kommen, und wenn sie von einer Frau wie Ihnen beim Notar und bei der Frau Seraphim empfohlen würde, so ließe sich wohl annehmen, daß sie dort ankäme?« –

»Nun, wenigstens will ich ganz gern mit der Seraphim reden . . .« – »Liebe Frau Pipelet,« fügte Rudolf, sie schelmisch um die Taille fassend, »wenn Sie mir den Gefallen tun, meiner Bekannten zum Dienste beim Notar Ferrand zu verhelfen, sollen Sie ein Entgelt von hundert Franks dafür bekommen.« – »Ei, das muß man sagen,« erwiderte mit gutmütigem Lächeln die Frau, »seit Sie bei uns eingezogen sind, könnte man meinen, wir hätten einen Treffer in der Lotterie gemacht! So einen Logisherrn wie Sie gibts in der ganzen Welt nicht wieder! Doch da kommt eine Droschke! Sicher die Dame wieder, die beim Doktor Bradamanti war! Als sie gestern da war, habe ich ihr Gesicht nicht sehen können. Heute soll mir das nicht wieder passieren, im Gegenteil! Ich muß vielmehr versuchen, auch ihren Namen zu erfahren. Geben Sie nur acht! Das soll Ihnen einen Heidenspaß machen.«

»Ach, lassen Sie das lieber, Frau Pipelet,« erwiderte Rudolf, »am Namen und am Gesichte der Dame liegt mir gar nichts.«

Die Pförtnerin aber ließ sich nicht beirren, sondern trat der näherkommenden Dame rasch entgegen, »wohin, meine Dame, wenn ich bitten darf?« – »Zu Herrn Doktor Bradamanti,« versetzte die Dame, offenbar ärgerlich über den Aufenthalt, der ihr durch die Pförtnerin bereitet wurde. – »Herr Bradamanti, mein liebe Dame, ist nicht zuhause,« sagte die Pförtnerin, »bloß eine bestimmte Dame soll ich auffordern näher zu treten und auf seine Rückkunft zu warten.« – »Diese Dame bin ich,« sagte die Unbekannte, »wehren Sie mir also den Zutritt nicht länger!« – »Sie müssen mir schon Ihren Namen sagen, meine Dame!« sagte die Pförtnerin, »denn nur wenn es der richtige ist, darf ich Sie vorlassen.« –

Betroffen antwortete die Dame: »Was? Er hätte Ihnen meinen Namen genannt? Ich hätte ihn für vorsichtiger gehalten.« Als sie aber sah, daß die Pförtnerin keine Anstalt machte, sie vorbeizulassen, entschloß sie sich, wenn auch nach einiger Zögerung, zu dem Bescheide, daß ihr Name Frau von Orbigny sei.

Rudolf fuhr zusammen, als sie den Namen der Stiefmutter der Marquise von Harville nannte . . . Statt im Schatten zu verweilen, trat er vor und erkannte im Doppellicht von Tag und Lampe ohne weiteres die ihm von Clemence wiederholt geschilderte Frau. Die Pförtnersfrau wiederholte: »So? Frau von Orbigny? Richtig, das ist der Name, den mir Bradamanti nannte . . . Bitte, gehen Sie hinauf, meine Dame!«

Frau von Harvilles Stiefmutter eilte geschwind an der Pförtnerstube vorbei, Frau Pipelet aber lachte hinter ihr her und flüsterte Rudolf triumphierend zu: »Sehen Sie: so kommt man dahinter, wer im Hause verkehrt! Nun weiß ich, wie die schöne Dame heißt, und alles weitere wird sich leicht finden . . . Was ist Ihnen denn aber, Herr Rudolf?« fragte sie, sich zu ihrem Logisherrn wendend. – »War die Frau schon einmal bei Bradamanti?« fragte dieser. – »Ja, gestern, und als sie weg war, ging auch er aus, sicher auf die Post, um sich einen Platz zu belegen, denn er hat mich schon angewiesen, seine sieben Sachen auf die Post zu schaffen. Er traut wohl dem lahmen Jungen nicht mehr, und deshalb treibts ihn fort.« – »Sie wissen nicht, wohin er zu reisen vorhat?« – »Meines Wissens in die Normandie,« versetzte die Pförtnerin, »nach Alençon zunächst.«


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