Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Sechstes Kapitel.

Ein Zusammentreffen.

Es war eine sternenhelle, kalte Nacht. Die Eule hatte sich mit Bakel, seinem Rate zufolge, in dem Hohlwege an eine Stelle begeben, die von dem Fußwege entfernter, dagegen näher dem an seinem Rande haltenden Wagen lag. Der Lahme war ein Stück nach der Pfarre gelaufen, weil er Marien durch die Bitte, seiner armen alten Mutter zu helfen, in den Hohlweg locken sollte. Aber kaum war er ein paar Schritte über den Hohlweg hinaus, als er auch den Schall der beiden Frauenstimmen hörte. Schnell hinkte er in den Hohlweg zurück, der Eule mitzuteilen, daß Marie nicht allein, sondern mit einer Frau zusammen käme.

»Soll ihr der Teufel den Hals umdrehen!« fluchte die Eule, während Bakel den Lahmen fragte, ob er wisse, wer mit dem Mädchen käme? – »Wahrscheinlich doch die Bäuerin, die mit dem Hunde eben durch den Hohlweg kam,« antwortete er, die Eule ansehend. – Diese sagte: »Nun, die Kleine könnte ich ja auf mich nehmen, aber die andere? Bakel ist blind, der Junge lahm . . . Was macht man da am besten? Sprich doch ein Wort, Mann!« fuhr sie den Räuber an; »du bist ja sonst so gescheit, oder hast du auch neben deinem Augenlicht die Sprache eingebüßt?«

Der Räuber versetzte: »Heut ist eben nichts zu machen, denn wenn die beiden Weibsleute schreien, bekommen wir das ganze Dorf auf den Hals.« – »Und auf die tausend Franks, die der Lange im Trauerkostüm uns zugesichert hat,« rief die Eule wütend, »wenn wir die Mamsell bringen, sollen wir verzichten? Das könnte mir passen! Dein Messer her! Mann, Dein Messer! Ich steche die Bäuerin nieder. Mit der Kleinen werden wir beide, der Junge und ich, schon fertig.«

»Nein,« versetzte der Räuber fest und bestimmt, »heute heißts: Hände weg! Morgen ist auch noch ein Tag.« –

Hundegebell erfüllte den Hohlweg. Türk hatte die im Hohlwege lauernden Menschen gewittert; er war fast nicht mehr zu halten . . . »Dein Messer!« rief die Eule mit drohender Stimme. – »Nimm's dir,« versetzte der Räuber, »gutwillig gebe ich es nicht, denn es wäre uns nicht zum Guten.«

Einen Augenblick lang lauschte die Eule aufmerksam; dann sagte sie: »Es ist vorbei. Es ist zu spät. Aber du sollst mir dafür büßen. Geh an den Galgen! Geh an den Galgen!« schrie sie wütend und ballte dem Räuber die Faust. »Tausend Franks habe ich durch deine Hundsfötterei verloren.« – »Und dreitausend haben wir vielleicht gewonnen,« rief der Schulmeister in überzeugtem Tone, »höre, was weiter geschehen soll! Das Mädel führt den Pfaffen alle Abend heim. Daß heut jemand mit ihr gegangen, ist ein Zufall. Morgen wird uns das Glück winken. Morgen kommst du mit dem Kutscher und dem Wagen wieder. Dagegen führt mich der Lahme heute in die Meierei, erzählt dort, wir hätten uns verlaufen, ich wäre sein Vater, ein armer blinder Mann, und bittet für die Nacht um ein Obdach. Das wird niemand geweigert. Der Lahme mag sich Türen und Fenster ansehen, mag die Ein- und Ausgänge mustern. Wenn die Pacht fällig wird, haben solche Leute immer Bargeld im Hause. Hab ich doch selbst einmal Güter mein eigen genannt,« setzte er verbittert hinzu, »weiß also, wie es bei solchen Leuten zugeht. Die Meierei liegt einsam. Sind wir erst einmal orientiert, dann können wir mit ein paar Bekannten wiederkommen.«

»Du bist wirklich ein Halunke,« sagte die Eule, die sich durch Bakels Worte hatte besänftigen lassen, »rede nur weiter, Mörderchen!«

»Morgen früh werde ich über Schmerzen klagen und mich stellen, als könnte ich nicht vom Flecke. Sollten mir die Leute nicht glauben wollen, so werde ich die Narbe zeigen, die ich noch vom Kettentragen an meinem Beine habe. Abends aber, sobald das Mädel mit dem Pfaffen aus dem Hause ist, werde ich sagen, daß es mir besser sei, und mich mit dem Lahmen nach dem Hohlwege auf den Weg machen. Das Mädel, das uns schon kennt, wird nicht mehr erschrecken, wenn sie unser ansichtig wird. Sie wird auf uns zutreten, und wenn ich sie mit den Armen erreichen kann, dann verlaß dich drauf, daß sie mir nicht mehr entrinnt. Ich bringe sie in Sicherheit, ohne daß sie sich muckst, und die tausend Franks sind unser! Und weiter: in ein paar Tagen machen wir mit unseren Kumpanen der Meierei unsre Visite und rauben drin, was nicht niet- und nagelfest ist.«

»Bakel, du bist ein großer Kerl,« rief die Eule, »und keiner nimmt's mit dir auf. Komm, laß dich umarmen! Also auf morgen!« – »Auf morgen!« wiederholte Bakel, und während das Weib zum Wagen zurückschlich, wanderten Bakel und der Lahme durch den Hohlweg zur Meierei; das aus den Fenstern blinkende Licht diente ihnen als Leitstern . . .

Auf solchem Wege führte das Schicksal Anselm Duresnel seiner Ehefrau zu, die er seit seiner Bagnohaft nicht mehr gesehen hatte.


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