Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Fünftes Kapitel.

Süßwasser-Piraterie

»Wenn Niklas und Martial heim sind,« sagte die Tochter, »dann möchten wir doch einmal das Holz im Stalle aufräumen, Mutter.« – »Ich fürchte,« versetzte die Mutter nach einer Weile, »daß wir auf den Niklas umsonst warten werden. Wer weiß, ob ihm nicht die Alte von heute früh, die mit jemand von Bradamanti auf ihn wartete, eine schlimme Suppe eingebrockt hat? Sie sah gar so duckmäuserisch aus und wollte gar nicht mit der Sprache heraus, weder sagen, wie sie heiße, noch Auskunft geben, woher sie komme.« – »Mutter,« erwiderte die Tochter, »du weißt doch, daß seit ein paar Tagen in Griffons Landhause ein alter Mann haust . . . ich meine das Haus, das dem Kalkofen gegenüber etwa hundert Schritte vom Ufer steht. Niklas meinte gestern, da sei vielleicht ein guter Fang zu machen. Ich habe spioniert und weiß, daß die Beute sicher wäre. Amandine sollte um das Haus herumschleichen. Sie könnte sich stellen, als ob sie beim Spiele sei. Da wird niemand auf sie achten. Sieht sie etwas, dann müßte sie herkommen und es erzählen. Du, Amandine, komm mal her!«

Zitternd sagte die Kleine: »Ja ja, Schwester, ich habe alles gehört und will hingehen und lauschen.« – »Duckmäuserin, mit dem Ja bist du immer bereit, tust aber nie, was dir geheißen wird. Erst letzthin habe ich dir gesagt, du solltest im Krämerladen in Asnières, während ich mit dem Manne in einer Ecke stand und schwatzte, ein Hundertsousstück aus der Ladenkasse nehmen, hasts aber nicht gemacht, trotzdem es ganz leicht und sicher war. Auf Kinder kommt niemand, wenn so etwas entdeckt wird. Warum hast du es nicht gemacht?« – »Ich hatte solche Angst, Schwester . . .« – »Es verbietet dir sicher jemand,« erwiderte die ältere, »gewiß der älteste von deinen Brüdern! Nicht wahr, du petzt ihm alles? Aber ich will dir was sagen, vorläufig kommandiert hier noch die Mutter, und wenn du es so weiter treibst, nimmts mit dir bei uns noch einmal ein schlimmes Ende! Meinst du, wir fürchten uns? Niklas ist fuchswild auf den Bruder, und ich auch! Warum hetzt er dich und Franz wider uns? Das kann nicht so weiter gehen.«

»Auf keinen Fall leide ich das länger,« setzte die Mutter hinzu. – »Seit die Wölfin im Stockhause sitzt,« nahm die Schwester wieder das Wort, »ist der Mensch schier wie aus dem Häuschen. Unsre Schuld ist's doch nicht, daß seine Liebste eingesperrt worden ist.«

Nach einer Weile fragte die Mutter: »So? Du meinst wirklich, daß drüben im Landhause ein guter Fund zu machen sei?« – »Ja doch, Mutter,« antwortete das Mädchen. – »Woher soll der Alte denn das Geld haben?« – »Als ich auf dem Postamte drüben in Asnières war, um nach einem Briefe aus Toulon zu fragen, kam der Alte auch hin und fragte, ob Briefe von Angers an den Grafen von Saint-Remy da seien. Ein Brief war da. Der Alte legitimierte sich durch einen Paß. Dann entrichtete er das Porto, und da sah ich, daß in seiner grünseidenen Börse Gold über Gold steckte. Wenigstens waren es an die 50 Louisdor.«

Ein Hund bellte heftig . . . »Aha, ein Boot kommt,« sagte sie, »entweder Martial oder Niklas kommt.«

Auf Amandinens Gesicht trat helle Freude, als sie den Namen Martial hörte. Zu ihrem Leidwesen trat aber nicht er, sondern Niklas in die Stube. Niklas war klein und mager, so daß man ihm nicht Kraft genug zugetraut hätte zu dem gefährlichen Handwerk, das er trieb, aber eine ungezähmte Energie ersetzte bei diesem Menschen die ihm fehlende Leibesstärke. Er warf beim Eintritt ein Stück Kupfer von der Schulter auf die Erde; dann rief er: »Guten Abend, Mutter, und gute Beute! Draußen liegen noch drei andere Stücke, ein Bündel Kleider, und dann habe ich auch eine Kiste hingestellt. Was drinnen ist, weiß ich nicht. Hoffentlich ist mir keine Nase damit gedreht worden?« Dann sah er sich um . . . »Wo ist denn der Franz? Der könnte mir doch beim Auspacken helfen.« – »Den hat die Mutter eben durchgebläut und eingesperrt. Er wird wohl hungrig zu Bett gehen müssen.« – »Meinetwegen,« versetzte Niklas, »aber wenn wir drei zufassen könnten, brächten wir alles auf einmal herein.«

Die Frau wies, ohne ein Wort zu sagen, nach der Decke hinauf; die Tochter verstand die Pantomime und ging hinauf, um Franz zu holen. Seitdem Niklas gekommen, hatte sich das Gesicht der Mutter aufgeheitert, denn Niklas war, da bei ihr die Liebe mit der Sündhaftigkeit wuchs, ihr Goldsohn, ebenso wie ihr anderer »in Toulon«, wie sie sich auszudrücken liebte.

»Wo warest du in der letzten Nacht?« fragte sie Niklas. – »Ich sah, als ich vom Billy-Kai zurückkam, wo ich die Unterredung mit dem Manne hatte, in der Nähe der Invalidenbrücke einen Kahn treiben. Da kein Licht drauf zu bemerken war, dachte ich, die Bootsleute müßten am Lande sein. Ich fahre heran, finde aber einen Wächter und verlange ein Stück Tau. Drin in der Kajüte kein Mensch! Da habe ich denn mitgenommen, was sich fortschaffen ließ: vom Verdeck, vier stattliche Stücke Kupfer, Kleider und eine Kiste . . . Aber da kommt ja die Schwester mit dem Franz . . . Na, nun schnell in den Kahn! Amandine, du hilfst auch mit tragen.«

Bald kamen die Kinder beladen zurück; das Kupfer, das Franz auf den Achseln trug, schien ihn zu Boden drücken zu wollen, und auch Amandine verschwand schier unter dem Haufen gestohlener Kleider, die sie auf dem Kopfe trug. Niklas kam mit der älteren Schwester zusammen; beide schleppten die ebenfalls schwere Kiste, auf deren Deckel das vierte Stück Kupfer gelegt war.

Ungeduldig forderte die Mutter, daß Niklas die Kiste öffne. Mit einem wuchtigen Schlage sprengte Niklas sie auf. Alle stürzten herbei, den Inhalt zu sehen. Sie enthielt allerlei Putz für das schwache Geschlecht, war also augenscheinlich aus einem der Pariser Modemagazine irgendwohin nach einer Uferstadt der Seine unterwegs gewesen. Nach eingehender Musterung des Inhalts meinte die Mutter: »Nun, an die 500 Franks bezahlt die Burette dafür unbesehen; aber es wird gut sein, alles wieder fürsorglich zusammenzupacken.« – »Bis auf den Schal,« rief die ältere Tochter, »den will' ich für mich behalten . . .« – »Oho,« rief Niklas, »wenn ich ihn dir gebe! Du willst immer bloß nehmen!«

Aber Niklas war heute bei freigebiger Laune, und so gab er nicht bloß der älteren Schwester, was sie forderte, sondern auch Franz und der jüngeren ein paar seidene Tücher, nach denen sie begehrliche Augen gemacht hatten . . . »Na, da nehmt nur!« rief er, »es wird euch Lust zum Stiebitzen machen! Schön ist's doch, umsonst allerhand schöne Dinge sich aneignen zu können? He? Aber nun schert euch zu Bett! Ich muß mit der Mutter ein paar Worte unter vier Augen reden. Das Essen sollt ihr hinaufkriegen.«

Kaum waren die Kinder gegangen, so brachten die beiden älteren Geschwister das gestohlene Gut in einen kleinen Keller wohin neben dem Herde ein paar Stufen führten.

»Nun aber was zu trinken, Mutter,« rief Niklas, »und einen guten Tropfen! Ich hab's redlich verdient . . . Du, Schwester, bring den Kleinen das Essen hinauf! Martial mag, wenn er kommt, die Knochen abknabbern. Für ihn sind Knochen noch übergenug . . . Und nun wollen wir uns über den Mann am Billy-Kai unterhalten, denn morgen oder übermorgen heißt's an die Arbeit gehen, wenn das versprochene Stück Geld in meine Tasche fließen soll.« – Von neuem klimperte er mit Geld. Dann warf er Mütze und Kittel auf den Tisch, setzte sich zu einer Schüssel Schöpsenfleisch mit Bohnen und aß hinterher kalten Kalbsbraten mit Salat.

»Du, höre mal,« sagte die Schwester, »der Franz hat im Stalle was gesehen!« – »So? Und was denn?« fragte Niklas weiter. – »Er sagt, ein Bein.« – »Von dem Manne also?« fragte Niklas weiter. – »Ja,« sagte die Mutter, noch ein Stück Fleisch dem Sohne auf den Teller legend. – »Komisch! Das Loch war aber doch tief genug,« meinte Niklas. – »Die Erde hat sich vielleicht gesenkt,« sagte die Schwester; »wir werden wohl gut tun, alles heut nacht in den Fluß zu versenken.« – »Sicherer wäre es,« sagte Niklas: »aber –«

»Rede fürs erste lieber von dem Mann am Billy-Kai,« drängte die Mutter. – »Na, ich hatte meinen Kahn festgebunden,« erzählte Niklas, ohne sich im Essen und Trinken stören zu lassen, »und ging auf den Kai. Es schlug gerade sieben, und man konnte keine drei Schritte weit sehen. Eine Viertelstunde lang war ich wohl am Ufer hin- und hergegangen. Da hörte ich Schritte hinter mir. Ich ging langsamer. Bald holte mich ein Mann, in einen Mantel gehüllt, ein; er blieb stehen, ich auch. Von seinem Gesicht war nicht viel zu sehen, denn der Mantel ließ gerade die Nase frei, und der Hut bedeckte die Augen . . .

»Bradamanti, sagte der Mann,« fuhr Niklas fort. »Das war das Wort, woran ich meinen Mann erkennen sollte, wie die Alte ausgemacht hatte. Flußpirat antwortete ich ihm, wie es ebenfalls ausgemacht worden. – ›Sie sind Martial?‹ fragte er mich. – ›Ja.‹ – ›Heute vormittag ist eine Frau bei Ihnen auf der Insel gewesen. Was hat sie Ihnen gesagt?‹ – ›Sie hätten im Auftrage eines Herrn Bradamanti mit mir zu reden.‹ – ›Haben Sie Lust, ein gutes Stück Geld zu verdienen?‹ – ›Allemal,‹ sagte ich, ›je mehr, je besser!‹ – ›Sie haben einen Kahn?‹ fragte er. – ›Nicht bloß einen, sondern vier! Gehören sie doch zu unserm Geschäfte!‹ – ›Nun, es kommt drauf an, ob Sie es über sich bringen können, jemand zufällig ertrinken zu sehen?‹ fragte der Mann. – ›So? Seine-Wasser soll also jemand schlucken? Es kommt drauf an, was für den Tropfen berappt wird.‹ – ›Was kostets, wenn einer Wasser schluckt, und was kostets, wenn es ihrer zweie tun?‹ – ›Also gleich doppelt gemoppelt?‹ fragte ich, lachend . . . ›Je nun, unter fünfhundert für den Kopf ist nichts zu machen, das merkt Euch!‹ – ›Also tausend zusammen?‹ – ›Ja, und je 200 Franks Draufgeld!‹ – ›Abgemacht,‹ sagte da der andere, ›hier habt Ihr die 400 Füchse. Morgen oder längstens übermorgen wird die Alte, die heute früh bei Euch war, wiederkommen in Gesellschaft eines jungen blonden Mägdeleins und wird Euch aufs andere Ufer hinüberwinken. Wie lange Fahrtzeit braucht Ihr von einem Ufer zum andern?‹ – ›Zwanzig Minuten,‹ antwortete ich. – ›Merken Sie auf!‹ sagte der Mann; ›in den Boden eines Ihrer Kähne machen Sie ein Leck, das Sie, wenn es soweit ist, aufklappen können, so daß der Kahn mit denen, die drinnen sitzen, im Nu unter Wasser geht. Sie müssen also mit zwei Kähnen fahren, verstanden? Damit Sie sich schnell in den andern begeben können, sobald der, worin das Mädchen mit der Alten sitzt, kippt. Auf diese Weise laufen Sie persönlich keine Gefahr, denn man wird meinen, der andere Kahn sei durch irgend einen unglücklichen Zufall, Altersschwäche oder dergleichen, unter Wasser gegangen. Wenn die Alte gleich mit verschwindet, desto besser!‹

›Wird die Alte nicht aber was merken?‹ – ›Nein. Wenn sie kommt, wird sie leise sagen: Wenns soweit ist, geben Sie mir einen Wink! Darauf sagen Sie ein paar Worte, die keinen Argwohn wecken.‹ – ›Während also die Alte meint, bloß die Kleine solle Wasser schlucken, soll die Alte selber gleich mit unter Wasser? Nun, das habt Ihr fein ausgedacht, das muß man sagen.‹ – Drauf sagte der Mann: ›Macht Eure Sache gut, ich kann Euch noch manch gutes Stück Arbeit zuweisen.‹ Darauf bin ich gegangen,« schloß Niklas seine Erzählung, »ging zu dem Boote zurück und nahm mit, was ich tragen konnte.«

Mutter und Tochter hatten dem Räuber aufmerksam zugehört, der während seines Berichtes weidlich getrunken hatte, so daß er ziemlich aufgeregt geworden war . . . »Ich habe aber noch etwas anderes eingefädelt, mit der Eule und mit Barbillon,« nahm er wieder das Wort, »eine sehr feine Sache! Eine Diamantenmäklerin soll ausgebeutelt werden, die nicht selten über 50 000 Franks Wertsachen in ihrem Strickbeutel bei sich trägt. Rotarm wird mitmachen. Auch ein geschickter Kerl! Um die Frau sicher zu machen, hat er ihr schon für 400 Franks Diamanten verschachert. Sie wird also ohne Arg zu ihm in die Elysäischen Felder kommen. Dort fällts ja nicht schwer, jemand verschwinden zu lassen, und wir halten uns in der Nähe versteckt. Rotarm hat den Plan fein ausgeklügelt.« – »Aber ich traue dem Kerl nicht,« sagte die Mutter. – »Nach der Geschichte in der Rue Montmartre haben sie deinen Bruder nach Toulon geschafft, während dem Rotarm kein Härchen gekrümmt wurde. Lieber ist mir schon das Geschäft mit den beiden Frauenzimmern. Wenn uns bloß Martial nicht im Wege ist wie gewöhnlich.«

»Will diesen Gauner denn der Teufel nimmer holen?« rief Niklas, sein langes Messer in den Tisch stoßend. – »Ich habe der Mutter auch schon gesagt, daß es in dieser Weise nicht mehr fortgehen könne,« meinte die Schwester. – »Der Bursche ist imstande, uns noch einmal der Polizei auszuliefern,« rief Niklas wütend, »warum hats auch damals nicht gehen dürfen, wie ich wollte? Da wäre alles anders, und wir brauchten uns nicht immer den Kopf mit solcher Furcht zu verdummen!« – »Es läßt sich auf andere Weise auch machen,« sagte die Mutter, »kommt er jetzt, dann fange Streit mit ihm an, treib es im Notfalle bis zu Tätlichkeiten, Niklas! Freilich ist er stark, aber du hast die Schwester auf deiner Seite, und wenn ihr beide seiner nicht Herr werdet, dann menge ich mich mit drein. Aber kein Messer, kein Blut! Bloß prügelt ihn ordentlich durch!«

»Und dann, Mutter?« fragte Niklas. – »Dann, na, dann wirds zu einer Auseinandersetzung kommen. Wir sagen ihm, er müsse die Insel räumen, wolle er nicht alle Tage den gleichen Krawall erleben. Ich weiß es, daß ihm der Unfriede den Aufenthalt hier verleidet. Wir haben ihn eben immer zuviel in Ruhe gelassen.«

Da ging die Tür auf, und Martial trat über die Schwelle. Draußen stürmte es so heftig, daß keiner das Gebell der Hunde gehört hatte, das die Ankunft des ältesten Sohnes der Frau meldete.


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