Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Achter Teil.

Erstes Kapitel.

Graf von Saint-Remy.

Vicomte von Saint-Remy wohnte in der Rue Chaillot, in einem schmucken kleinen Hause, das zwischen Hof und Garten stand. Der Stadtteil ist trotz der Nähe der Elysäischen Felder, der vornehmsten Promenade von Paris, doch verhältnismäßig still und einsam. Daß eine solche Wohnung für den jungen Elegant, der hauptsächlich auf sein Glück bei der Frauenwelt spekulierte, ihre besonderen Vorteile bot, braucht nicht erst gesagt zu werden, bemerkt sei nur, daß durch die Pforte des großen Gartens, die in ein völlig ödes, die Rue Chaillot mit der Rue Marboeuf verbindendes Gäßchen führte, jedermann unbemerkt zu ihm gelangen konnte.

Vicomte von Saint-Remy stand vor dem völligen Ruin. All seine Pferde und Equipagen hatte er bereits seinem Stallknecht, alles Mobiliar, alle Gemälde, wie auch die Einrichtung seines Hauses seinem Kammerdiener verpfändet. Sein Vater lebte zurückgezogen in Asnières und verkehrte mit seinem Sohne gar nicht. Das hing so zusammen: Seine Gemahlin hatte mit einem polnischen Grafen ein Liebesverhältnis unterhalten, und der Vicomte hatte triftigen Grund zu der Annahme, daß Florestan – so hieß der junge Vicomte – gar nicht sein Sohn sei. Diesen Galan seiner Frau hatte er in einem Duell erschossen; bald darauf war seine Frau verstorben und hatte ihrem Sohne eine Million vermacht, die dieser jedoch in kurzer Zeit vergeudet hatte.

Urplötzlich war nun der alte Vicomte in Paris aufgetaucht, um sich nach Frau von Fermont, über deren Unglück er unterrichtet worden war, zu erkundigen. Der verstorbene Gemahl dieser Frau hatte ihm bei jenem Duell mit dem polnischen Grafen als Sekundant gedient und war zeitlebens sein intimster Freund gewesen. Nun fühlte er sich um so mehr verpflichtet, seiner hinterbliebenen Frau in ihrer prekären Lage beizustehen, als er den Verdacht hegte, daß deren Bruder – derselbe Edelmann, der das gesamte Vermögen der Frau von Fermont, seiner Schwester, dem Notar Jakob Ferrand überantwortet hatte – keines natürlichen Todes gestorben, sondern ermordet worden sei. Durch die Herzogin von Lucenay, mit deren Vater, dem Fürsten von Noirmont, er gleichfalls befreundet war, hatte er erfahren, daß Frau Marquise von Harville die Spur der mit ihrer Tochter im tiefsten Elend lebenden Frau von Fermont gefunden habe; indessen war, wie der Leser ja weiß, Frau von Harville auf Rudolfs Rat zu ihrem Vater, dem Grafen von Orbigny, gereist, um einen dessen Leben drohenden Anschlag, den seine zweite Frau im Verein mit Bradamanti, alias Polidori, geschmiedet hatte, womöglich zu vereiteln. In dem alten Vicomte war zweifellos dem Notar Ferrand ein sehr gefährlicher Feind erstanden.

Der alte Vicomte begab sich zu seinem Sohne, dem jungen Vicomte Florestan. Als er dessen Palais betrat, bemerkte er an einer Tür die ihm von ihrer Jugend her bekannte Herzogin von Lucenay lauschend stehen. Die Worte, die gleich darauf zu seinen Ohren drangen, bestimmten ihn, an ihrer Seite zu bleiben und gleichfalls einem Gespräche zuzuhören, das im Nebenzimmer zwischen seinem Sohne Florestan und dessen Agenten Badinot stattfand. Badinot drohte dem jungen Vicomte, ihn wegen der Wechselfälschungen, die man entdeckt habe, auf die Galeeren zu bringen, wenn er nicht sofort den Betrag des letzten Darlehns von 25 000 Franks hinterlegte, und forderte ihn auf, sich noch einmal an Frau von Lucenay zu wenden, die als seine Geliebte doch sicher für ihn alles tun würde . . . Florestan erklärte darauf, daß damit nicht zu rechnen sei, da die Herzogin ihm bereits 100 000 Franks vorgestreckt habe, an deren Rückzahlung er nicht denken könne. Nach langem Hin und Her versprach er, den Versuch machen zu wollen, und Badinot entfernte sich . . .

Als die Tür sich hinter Badinot geschlossen hatte, fing Florestan zu jammern und zu wehklagen an. Augenscheinlich hatte ihn die höchste Verzweiflung befallen. Draußen hatten sowohl die Herzogin von Lucenay als der alte Vicomte diesem Gespräche zwischen dem Wucherer Badinot und dem jugendlichen Fälscher mit äußerster Spannung gelauscht, und beide waren aus tiefstem Herzen unglücklich darüber, daß der Mann, dem sie ihre Liebe geschenkt hatten, den Pfad der Ehrlosigkeit gewandelt war und jetzt vor der traurigsten Zukunft stand, wenn er sich nicht zu dem Entschlusse aufraffte, seinem Leben freiwillig ein Ziel zu setzen. Der alte Vicomte schien ganz zusammenbrechen zu wollen, und sein Anblick rührte die Herzogin auf das tiefste . . .

»Mut, Mut, mein lieber alter Freund,« sagte sie leise zu ihm, »ich weiß, was mir zu tun bleibt . . . für Sie sowohl als für Ihren Sohn, den lieben und doch so bösen, bösen Menschen.« –

Der alte Vicomte starrte sie an. Dann schien er sich aufzuraffen, sein Kopf schnellte in die Höhe, auf sein Gesicht trat ein Ausdruck unheimlichen Zornes . . . und vergessend, daß sein Sohn ihn hören mußte, rief er mit Stentorstimme: »Auch ich weiß, was mir um Ihret-, um seinet-, um meinetwillen zu tun bleibt!«

Außer sich vor Bestürzung, fragte Florestan, wer da sei. Die Herzogin, die eine Begegnung mit ihm in diesem Augenblicke fürchtete, verschwand durch eine Seitenpforte und lief eine versteckte Treppe hinunter. Noch einmal fragte Florestan, wer da sei, und da er keine Antwort erhielt, trat er in das Zimmer . . . wich aber erschrocken zurück, als er sich seinem Vater gegenüber sah, den er in der bescheidenen Kleidung, die er trug, fast nicht wiedererkannte, und der mit flammenden Blicken, mit Zornesröte auf der Stirn, das weiße Haar zu Berge stehend, die Arme über der Brust gekreuzt, ihn mit Blicken maß, als ob er ihn durchbohren wolle . . . »Vater!« rief Florestan mit bebender Stimme, »Vater! Sie hier?« – »Ja,« erwiderte der alte Vicomte, »und ich weiß, was du eben für Besuch hattest!« – »Sie haben alles gehört?« – »Alles! Alles!«

Florestan, über das unerwartete Erscheinen seines Vaters nicht sowohl verwundert als erschrocken, gedachte bald des Vorteils, den er aus solchem Zufall zu ziehen vermöchte . . . »Na, so scheint doch noch nicht alles verloren!« sprach er bei sich; »mein Vater wird seinen Namen nicht brandmarken lassen, sondern alle Hebel ansetzen, seinen Sohn vor der tiefsten Schande zu bewahren,« Mit heuchlerischer Miene trat er auf den Greis zu . . . »Wenn Sie das Gespräch mitangehört haben, das ich eben mit diesem Wucherer führte, so kennen Sie meine Situation genau . . . Nun denn, ich bekenne mich einer schimpflichen Aufführung schuldig, Vater, und mache keinen Versuch, sie zu beschönigen . . . Mir sind jetzt nur zwei Auswege noch offen, und zu beiden bin ich entschlossen: entweder bringe ich mich um, denn wenn ich nicht heute 25 000 Franks bezahle, dann klagt der Wicht von Badinot, und ich bin gebrandmarkt . . . oder ich werfe mich Ihnen in die Arme, Vater, und flehe Sie an, mich zu retten. Und wenn Sie es tun, wenn Sie mich aus diesem schrecklichen Dilemma erretten, dann gelobe ich Ihnen, morgen nach Algier mich einzuschiffen und mich dort in das Freiwilligenregiment einreihen zu lassen, um entweder vorm Feinde zu sterben oder dereinst als herrlicher, ruhmgekrönter Krieger in die Heimat zurückzukehren.«

Der alte Graf erhob sich . . . »Meinen Namen werde ich nicht brandmarken lassen,« sagte er kalt zu seinem Sohne; »gib mir Papier, Feder und Tinte!« – Er setzte sich an den Schreibtisch und schrieb mit fester Hand: »Ich verpflichte mich, bis heut abend um 10 Uhr die 25 000 Franks zu bezahlen, die mein Sohn zu bezahlen sich durch seine Unterschrift verpflichtet hat. Graf von Saint-Remy.« Dann herrschte er seinen Sohn an: »Du wirst mich heut abend hier erwarten. Um 10 Uhr bin ich mit der Summe zur Stelle. Der Mann, dem du das Geld schuldig bist, soll zur Stelle sein . . .« – »Gut, Vater, und übermorgen werde ich nach Algier unterwegs sein . . . Sie werden sehen, daß ich kein undankbarer Mensch bin; und vielleicht wenden Sie mir Ihre Liebe wieder zu, wenn ich ehrlich gebüßt habe?«

»Du bist mir keinen Dank schuldig,« versetzte der Graf, »ich habe gesagt, ich will nicht, daß mein Name entehrt werde, und das zu verhindern, werde ich tun, was ich tun muß!« Nach diesen Worten nahm der Graf seinen Stock und ging.

Florestan klatschte vergnügt in die Hände . . . »Gerettet, gerettet!« rief er, »wenigstens aus dem ärgsten Pech, in das ich geraten bin! . . . Vielleicht wärs das gescheiteste, ich gestünde ihm auch die andere Misere? Er ist nun einmal im Zuge, mir beizuspringen! Allem Anschein nach ist er so arm nicht, wie er sich immer stellt. Bei seiner bescheidenen Lebensweise muß er ja auch ganz hübsch noch gespart haben, der alte Herr Papa! Ich kann wirklich sagen, daß mir seine Ankunft gelegen kommt, als wenn er mir vom Himmel geschickt wäre!«

Er wollte gerade gehen, als an die Tür geklopft wurde . . . Auf sein Herein erschien ein Kammerdiener, mit einem silbernen Tellerchen in der Hand, auf dem ein ziemlich dickes, schwarz gesiegeltes Päckchen lag . . . Florestan erbrach das Siegel. In dem Päckchen lagen 25 000 Franks in Bankscheinen. Sonst weiter nichts . . . »Hurra!« rief er, »das war einmal ein Tag! Jetzt bin ich aus allen Schwulitäten! bin vollständig gerettet! Hurtig nun zum Juwelier! Aber – vielleicht ist's doch besser noch zu warten . . . Verdacht gegen mich kann man nicht haben . . . Fürs erste will ich die 25 000 Franks doch lieber noch behalten . . . Aber woher kommt mir das Geld in die Bude geschneit? Ich kenne die Handschrift ja nicht . . . aber das Siegel? N. und L. – Aha! Von Klotilden! Sie hat gewiß was läuten gehört . . . Aber daß sie kein Wort dazu schreibt, ist doch seltsam . . . Ei! Jetzt fällt mir ein, daß ich ihr zu heut früh ein Stelldichein versprochen hatte. Das ist mir über den Drohungen dieses Badinot ganz aus dem Gedächtnis gekommen . . . Sie hat gewiß auf mich gewartet und ist wieder weggegangen! . . . Heda, Jean!« rief er dem Lakaien zu, »wer hat dies Paket da gebracht?« – »Kanns nicht sagen, Herr Vicomte,« antwortete der Diener.


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