Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Zwölftes Kapitel.

Hochzeit

Gräfin Sarah Mac Gregor hatte, seit Rudolf ihr Marienblümchens Tod mitgeteilt, unter schweren Nervenanfällen gelitten, waren doch durch diese Nachricht all ihre Hoffnungen vernichtet, waren doch schreckliche Gewissensbisse in ihrem Herzen erwacht! Die kaum vernarbte Wunde war wieder aufgerissen worden. Eine lang andauernde Ohnmacht hielt sie umfangen, so daß man sie für tot gehalten hatte. Ihre starke Konstitution hielt sie aber auch diesmal noch aufrecht, und noch einmal flackerte die Lebensflamme in ihr auf.

Sarah, die vor unerträglicher Beklemmung nicht liegen konnte, sah in ihrem Sessel seit einiger Zeit in trübe, schwere Gedanken versunken, und wünschte sich fast den Tod, dem sie entgangen war. Da trat Thomas Seyton in das Zimmer, kaum imstande, eine gewaltige Aufregung zu verbergen, und winkte den beiden Kammermädchen, sich zu entfernen. Seine Schwester schien seine Anwesenheit kaum zu bemerken.

»Wie geht es dir?« fragte er. – »Es ist noch immer derselbe Zustand: ich fühle große Schwäche, bisweilen wird mir die Brust zum Ersticken zusammengeschnürt. Warum hat mich Gott nicht von dieser Welt hinweggenommen?« – »Sarah,« erwiderte Thomas Seyton nach kurzer Pause, »Du schwebst zwischen Leben und Tod. Eine starke Aufregung könnte Dir den Tod, vielleicht aber auch Rettung bringen.«

»Ich habe Aufregungen nicht mehr zu erwarten, Bruder, würde sogar bei Rudolfs Tode gleichgiltig bleiben – das Gespenst meiner ertränkten, durch meine Schuld ertränkten Tochter steht immer vor mir und verläßt mich nicht. – Das ist unerträgliche, unaufhörliche Gewissenspein. – Ich bin wirklich Mutter – seit ich kein Kind mehr habe.«

»Ich sähe lieber den kalten Ehrgeiz wieder an dir, indem du deine Tochter nur für ein Mittel hieltest, den Traum deines Lebens zu verwirklichen . . .« – »Die entsetzlichen Vorwürfe dieses Fürsten haben all meinen Ehrgeiz erstickt, – das Muttergefühl ist in mir erwacht bei der Schilderung der grausamen Leiden, die meine Tochter hat ertragen müssen –«

»Und,« fuhr Thomas Seyton zögernd, jedes Wort abwägend, fort, »wenn du durch einen Zufall – wir wollen einmal etwas Unmögliches annehmen, – durch ein Wunder erfahren solltest, deine Tochter lebe noch, – wie würdest du diese Nachricht ertragen?« – »Ich würde sterben vor Scham und Verzweiflung bei ihrem Anblicke,« – »Glaube doch das nicht, der Triumph deines Ehrgeizes würde dich zu sehr berauschen, – denn, wenn deine Tochter noch lebte, würde dir ja doch der Fürst, wie er zu dir sagte, seine Hand geben.«

»Wenn ich diesen unmöglichen Fall gelten lasse, so – würde ich kein Recht mehr am Leben haben, denn im Besitze der Hand des Fürsten würde mir die Pflicht erwachsen, ihn von einer Frau, die seiner nicht würdig, und meine Tochter von einer Mutter zu erlösen, deren sie sich schämen müßte.«

Thomas Seytons Verlegenheit steigerte sich mit jedem Augenblicke. Ihm war durch Rudolf, der sich im Nebenzimmer aufhielt, der Auftrag geworden, Sarah zu eröffnen, daß ihr Kind noch am Leben sei, und wußte nun nicht, wie er sich dieses Auftrages am besten erledigte. Das Leben seiner Schwester hing an einem sehr schwachen Faden und konnte jeden Augenblick verlöschen. Sollte ein Ehebund zwischen dem Fürsten und ihr noch geschlossen werden, so war jeder Verzug gefährlich. Um die traurige Handlung vollziehen zu lassen, hatte Fürst Rudolf durch den Baron von Graun einen Geistlichen herbescheiden lassen. Als Zeugen der Gräfin waren durch Seyton Herzog von Lucenay und Lord Douglas bestellt worden und hatten sich eben eingefunden.

Die Gewissensbisse, die jetzt bei Sarah an Stelle ihrer bisherigen Ehrsucht getreten waren, erschwerten Seyton seine Aufgabe außerordentlich. Jetzt beruhte all seine Hoffnung darauf, daß Sarah nicht bloß ihn, sondern auch sich selbst täusche, und daß ihr Stolz sich wieder regen würde, sobald sich ihr das so heiß ersehnte Diadem zeigte.

»Schwester,« sagte er mit feierlicher Betonung, »du siehst mich in einer höchst peinlichen Situation . . . ich wiederhole dir, ein Wort aus meinem Munde kann dir Leben oder Tod geben.« – »Und ich, Bruder, habe dir gesagt, daß es für mich keine Erregungen mehr geben kann.« – »Auch nicht, wenn es sich um deine – Tochter handeln sollte?« – »Meine Tochter?« wiederholte Sarah; »du weißt doch, daß sie nicht mehr unter den Lebenden weilt.« –

»Wer sagt es?« rief Seyton – »und nun angenommen, es wäre nicht der Fall, sondern deine Tochter noch am Leben?« – »Bruder, mehre nicht meine Gewissenspein noch! Sie ist ohnehin kaum zu ertragen.« – »Und doch muß ich dir sagen, Schwester, wir haben mit diesem Falle zu rechnen! Laß dir sagen, daß deine Tochter lebt! daß sie durch Rudolf dem Tode entrissen worden – und nun sage du mir, wie du dich in diesem Falle zu verhalten gedenkst.«

»Was faselst du, Tom? Das Mädchen, dem ich einst das Leben gab, weilt längst nicht mehr unter den Lebenden.« – »Und ich sage dir, Schwester, daß du im Irrtume bist . . . Draußen im andern Zimmer steht der Fürst, in Gesellschaft eines Geistlichen und zweier Freunde von mir. Ich versichere dich, du stehst der endlichen Erfüllung deines heißen Wunsches näher denn je! Die Prophezeiung, die dich so lange genarrt hat, soll sich erfüllen, Sarah! Du sollst zur Fürstin, zur Großherzogin erhoben werden!«

Während er dieses sagte, hatte er keinen Blick von seiner Schwester gelassen, hatte ängstlich gespäht nach irgend einem Zeichen einer ungewöhnlichen Erregung; zu seiner nicht geringen Verwunderung erlitten aber Sarahs Züge nicht die geringste Veränderung. Sie legte nur beide Hände auf die Herzgrube, lehnte sich in ihrem Sessel zurück, unterdrückte einen leichten Aufschrei, der ihm durch einen jähen starken Schmerz abgerungen zu werden schien . . . Dann aber gewann ihr Gesicht die alte Ruhe wieder . . .

»Schwester,« fragte er besorgt, »was ist dir?« – »O, nichts! nichts! Mich droht nur die jähe Freude, endlich das Ziel meines langen Sehnens zu erreichen, zu ersticken . . . Bruder, es ist zuviel, das zu ertragen.« – »So habe ich mich,« dachte Thomas bei sich, »doch nicht getäuscht; ihre Ehrsucht packt sie wieder, sie ist gerettet!« Dann trat er dicht vor sie hin und fragte: »Nun, Schwester, was soll ich ihm sagen?«

»Du hast recht gehabt, Tom,« antwortete sie, die Gedanken, die den Bruder beschlichen, erratend, mit herbem Lächeln: »Noch einmal hat Ehrsucht die Mutterliebe ertötet, die sich in meinem Herzen zu regen begann.« – »Du wirst leben, Sarah, und – lieben, wenigstens doch deine Tochter lieben!« – »Daß ich leben werde, Tom, daran zweifle ich nicht; sieh doch nur, wie ruhig ich bin.« – »Erzwungen ist diese Ruhe nicht?« fragte er lauernd. – »Wie sollte sie es sein? Traust du mir hierzu noch Kraft genug zu?« Nach einer Weile richtete sie sich in ihrem Bett auf . . . »Sprich, Tom, wo ist der Fürst?« –

»Im Zimmer nebenan,« antwortete Tom. »Soll ich ihn rufen?« – »Ja,« sagte sie leise, »vor der Zeremonie, von der du redest, möchte ich ihn unter vier Augen sprechen.« – »Im Ernst, Schwester?« – »Gewiß, im Ernst, Tom,« erwiderte sie, »und meine Tochter – weilt sie auch hier?« – »Nein! Doch sollst du sie später sehen.« – »Schön! Mir auch recht! Zeit bleibt ja noch,« antwortete Sarah, »so laß den Fürsten hereintreten!« – »Schwester, aber deine Miene . . .« – »O, verlangst du etwa, daß ich lachen solle? Meinst du, gesättigte Ehrsucht sähe sanft und rosig aus? Ich sage dir, laß ihn hereintreten, den Fürsten!«

Die eigentümliche Ruhe seiner Schwester machte Tom unruhig. Einen Augenblick war es ihm vorgekommen, als ob Tränen in ihren Augen flimmerten. Zögernd stand er eine Weile. Dann schritt er zur Tür zurück und verschwand.

»Jetzt bin ich zufrieden,« sprach Sarah bei sich, als sie allein war, »wenn es mir bloß vergönnt werden sollte, meine Tochter zu sehen und zu umarmen. Es wird wahrscheinlich seine Schwierigkeiten haben. Aber ich denke doch, daß Rudolf sich bestimmen lassen wird, mich dieser hohen Gunst teilhaftig werden zu lassen . . . O, ich wills an nichts fehlen lassen, ihn dazu zu bestimmen! . . . Doch still, da kommt er!«

Rudolf trat über die Schwelle und schloß die Tür hinter sich . . . »Sie haben aus Ihres Bruders Munde vernommen, um was es sich handelt?« fragte er kalt und schroff. – »Ja.« – »Ihr Ehrgeiz ist befriedigt?« – »Ja.« – »Nun, der Geistliche ist zur Stelle, und die Zeugen auch.« – »Ich weiß es.« – »Sollen die Herren eintreten?«

»Ein Wort vorher . . .« – »Nun?« – »Ich möchte meine Tochter einmal sehen.« – »Dieser Wunsch wird sich nicht erfüllen lassen.« – »Rudolf, ich bitte darum, bitte inständig darum!« – »Das Kind hat sich von den letzten Aufregungen, die auf sie eingestürmt sind, noch nicht erholt. Erst heute morgen hat sie wieder eine starke Gemütserregung gehabt, und eine solche Begegnung könnte für sie vom größten Verderben sein.«

»Sie wird doch ihrer Mutter einen Kuß geben dürfen?« – »Wozu das?« antwortete Rudolf, abweisend; »was fragt Ihr Herz danach, wenn es seinen Ehrgeiz befriedigt weiß?« – »Noch ist dies nicht der Fall,« versetzte Sarah, »sondern soll erst geschehen . . . und wird erst geschehen, wenn ich meine Tochter habe küssen dürfen.«

Rudolf maß die Gräfin mit einem Blicke hellster Verwunderung . . . »Wie? Sie stellten Mutterliebe der Ehrsucht voran?« fragte er. – »Erschreckt Sie das?« fragte Sarah. – »Zum wenigsten muß es mich wunder nehmen,« sagte er, »denn ich kannte Sie von dieser Seite noch nicht.« – »Antworten Sie mir kurz und bündig, Fürst: werde ich mein Kind sehen dürfen oder nicht?« – »Ich bin außer –«

»Sehen Sie sich vor, Fürst,« fiel Sarah ihm ins Wort, »die Augenblicke möchten gezählt sein. Mein Bruder sagte mir eben noch, solche Erregung könne mein Tod sein, könne mich vielleicht auch retten. Sie sehen, daß ich momentan all meine Kräfte zusammenraffe – und sie tun mir wahrlich not, um gegen die Gemütsbewegung anzukämpfen, die solche Entdeckung hervorrufen muß . . . Entweder ich darf meine Tochter sehen und küssen,« rief sie fest und bestimmt, »oder ich verzichte darauf, Ihnen angetraut zu werden. Im letzteren Falle bleibt auf Ihrem und meinem Kinde der Schimpf, ein Bastard zu sein, eben haften.«

»Das Kind ist nicht da,« erwiderte Rudolf, »ich müßte es also erst holen lassen . . .« – »Nun, dann lassen Sie sie holen! Auf der Stelle!« erwiderte Sarah, sich aufrichtend. »Sobald ich sie gesehen habe, werde ich in alles willigen, was Sie von mir begehren. Aber, wie schon einmal gesagt, die Augenblicke dürften gezählt sein, drum mag, während man meine Tochter abholt, die Vermählung vor sich gehen.«

»Obgleich dieses Gefühl bei Ihnen mich überrascht, will ich Ihnen doch zu Willen sein. Also gut! Sie sollen Marie sehen – ich werde ihr schreiben.« – »Hier, an dem Schreibtisch, bitte, wo ich verwundet wurde.« – Während Rudolf eilig ein paar Worte zu Papier brachte, trocknete die Gräfin die Stirn, auf der kalter Schweiß perlte. Ihre bis dahin starren Züge verrieten ein verborgnes, heftiges Leiden. Es sah aus, als wirke es beruhigend auf sie, daß sie sich nun keinen Zwang mehr anzutun brauchte.

Rudolf war mit dem Schreiben fertig, stand auf und sagte zu Sarah: »Ich lasse den Brief durch einen Adjutanten meiner Tochter bringen. In einer halben Stunde kann sie hier sein. Soll ich den Geistlichen und die Zeugen herbeirufen?« – »Meinetwegen – aber klingeln Sie doch lieber, statt mich allein zu lassen. Schicken Sie Sir Walter. Er kann ja den Pfarrer und die Zeugen holen.«

Rudolf klingelte. Eine Dienerin Sarahs erschien. »Mein Bruder soll Sir Walter Murph herschicken,« befahl die Gräfin. – die Dienerin ging. – »Solch eine Vermählung ist etwas Trauriges, Rudolf,« sagte die Gräfin bitter, »wenigstens für mich, Sie können ihr mit Ruhe entgegensehen.« – Der Fürst machte eine Handbewegung. – »Sie werden nachher so glücklich sein wie vorher,« fuhr die Gräfin fort, »denn ich werde die Trauung nicht überleben.«

Murph erschien. – »Lieber Freund,« sagte Rudolf zu ihm, »schicke doch gleich durch den Obersten den Brief hier an meine Tochter. Ich lasse bitten, daß er sie in meinem Wagen hierher bringe. Der Geistliche und die Zeugen sollen in das Nebenzimmer treten.«

»Ach, Gott im Himmel!« flüsterte Sarah, als wenn sie betete, »erhalte mir doch nur so viel Kraft noch, daß ich sie sehen kann. Laß mich nicht sterben, ehe sie kommt!« – »Warum sind Sie nicht allzeit eine so gute Mutter gewesen?« fragte Rudolf. – »Dank Ihnen fühle ich nun doch wenigstens Reue,« antwortete Sarah. »Ich habe dank Ihnen jetzt die Kraft, ein Opfer darzubringen. Ich habe durch Sie gelernt, mich selbst zu verleugnen. Eben, als mein Bruder mir sagte, unsere Tochter lebe – unsere Tochter! nicht lange mehr werde ich das sagen können! – da fühlte ich ein schreckliches Weh im Herzen, fühlte den Tod nahen, bezwang mich aber und fühle mich nun glücklich, nachdem ich es überwunden habe . . . Meine Tochter soll in die Rechte ihrer Geburt eingesetzt werden. Jetzt sterbe ich frohen Herzens.«

»Sprechen Sie doch nicht so!« – »O doch,« versetzte sie, »diesmal täusche ich mich nicht, Rudolf . . . Sie werden sehen! Sie werden sehen!« – »Und auch den alten Ehrgeiz so ganz überwunden?« fragte Rudolf; »warum kommt Ihre Reue so spät?« – »Wohl kommt sie spät,« antwortete Sarah, »aber sie ist auch tief und echt, wie Sie mir glauben dürfen . . . In diesem feierlichen Augenblicke danke ich meinem Schöpfer, daß er mich hinwegnimmt, weil Ihnen mein Leben zu einer so furchtbaren Last geworden ist.« –

»Sarah!« rief Rudolf. – »Eine letzte Bitte, Rudolf,« sagte Sarah, seine Hand nehmend. – Das Gesicht abwendend, ließ Rudolf ihr die Hand. Sie griff hastig zu und hielt die Hand fest umschlossen. – »O, wie kalt sind Ihre Hände!« rief Rudolf, von einem Schauder geschüttelt. – »Ja, Rudolf, der Tod naht sich mir, und vielleicht soll es meine Strafe sein, daß ich mein Kind nicht wiedersehe.«

»Gott – wird durch Ihre Reue – sich erweichen lassen,« sagte Rudolf stockend. – »Stimmt meine Reue Sie weicher?« fragte Sarah, »gewähren Sie mir Verzeihung? Werden Sie mir in Gegenwart meiner Tochter – vorausgesetzt, daß sie noch zurzeit kommen sollte – sagen, daß Sie mir verzeihen? oder wollen Sie es nicht tun, weil Sie befürchten, sie könnte dadurch erfahren, welch schwere Schuld ich auf mich geladen habe? Aber was kann es Ihnen ausmachen, ob sie mich haßt oder liebt, wenn ich nicht mehr unter den Lebenden weile?«

»Machen Sie sich keine unnützen Gedanken, Gräfin,« erwiderte Rudolf, »denn aus meinem Munde soll unser Kind nichts über seine Mutter erfahren.« – »So verzeihen Sie mir, Rudolf, verzeihen Sie mir!« bat Sarah, »bin ich nicht schon unglücklich genug? Sie können so unbarmherzig nicht sein!« – »Nun, denn, Sarah! Möge Gott Ihnen alles, was Sie an Ihrem Kinde Böses getan, verzeihen! Gleichwie ich Ihnen vergebe, was Sie mir getan, Sie – Unglückliche!«

Mit einer Regung von Freude und Dank drückte Sarah Rudolfs Hand an die zitternden Lippen und bat ihn, den Geistlichen und die Zeugen hereinzurufen, da sie sich am Ende ihrer Kräfte fühlte.

Nun folgte eine ergreifende Szene: Mit Murph und Graun, als Rudolfs Trauzeugen, erschien der Geistliche, während als Zeugen für Gräfin Sarah der Herzog von Lucenay und Lord Douglas erschienen. Als letzter folgte Thomas Seyton. Nun wurde durch Baron von Graun der Ehevertrag zwischen Seiner königlichen Hoheit Gustav Rudolf, regierendem Großherzog von Gerolstein, und Sarah Seyton von Halesbury, Gräfin Mac Gregor – zum Zwecke der Legitimation ihrer Tochter Marie – abgefaßt, vorgelesen und durch die beiden Gatten und ihre Zeugen unterschrieben.

So reuig auch Gräfin Sarah sich gestimmt fühlte, funkelte doch noch einmal brennender Stolz aus ihren Augen, als der Geistliche mit feierlicher Stimme an Rudolf die Frage richtete: »Wollen Ew. königliche Hoheit Madame Sarah Seyton von Halesbury, Gräfin Mac Gregor, als eheliches Gemahl annehmen?« und der Fürst mit lauter, fester Stimme sein »Ja!« sprach. Ein flüchtiger Ausdruck stolzen Triumphes zog über ihre Züge, – der letzte Blitz des Ehrgeizes, der mit ihr starb.

Während dieser traurigen und imposanten Zeremonie fiel zwischen den Anwesenden kein Wort. Als sie beendigt war, verbeugten sich die Zeugen Sarahs, Herzog von Lucenay und Lord Douglas, tief vor dem Fürsten und entfernten sich. Auf einen Wink Rudolfs folgten ihnen Murph und Baron von Graun . . . »Bruder,« sagte Sarah leise, »bitte den Geistlichen, dich in das Nebenzimmer zu begleiten und dort einen Augenblick zu verweilen!«

»Wie geht es dir, Schwester?« fragte Tom, »du bist recht bleich!« – »O, nun bleibe ich sicher noch am Leben!« erwiderte sie mit verbittertem Lächeln, »bin ich denn nun nicht Großherzogin von Gerolstein?« Und als sie mit Rudolf allein war, flüsterte sie mit ersterbender Stimme, während ihre Züge sich gräßlich veränderten: »Mit meinen – Kräften – gehts zur Neige – ich fühle, daß ich sterben muß – ich werde – mein Kind – nicht mehr sehen.«

»Sarah, fassen Sie sich! Sie werden Ihre Tochter doch noch – sehen,« antwortete Rudolf. – »Ich habe keine Hoffnung mehr,« antwortete Sarah, »meine Augen werden matt – O, es bedurfte einer – übermenschlichen Kraft, dies – alles – zu überwinden.« – »Raffen Sie sich auf, Sarah, in wenigen Minuten –« – »Nein, Rudolf,« antwortete sie, »Gott will mir – diesen – letzten Trost nicht – spenden!«

»Sarah!« rief Rudolf, »hören Sie doch! Ein Wagen fährt vor! Sie kommt, sie kommt, Ihre Tochter!« – Die Gräfin zitterte heftig . . . »Rudolf!« bat sie, »Sie – werden ihr – nicht sagen, welch böse, böse Mutter ich ihr war?« Sie sprach die Worte langsam, sehr langsam, und sprach sie leise, unzusammenhängend, und ihre Augen wurden immer starrer, immer glasiger . . . Rudolf beugte sich über sie, um ihre letzten Worte zu hören . . . »Meine Tochter soll – mir – verzeihen – wenn auch – sie mir nicht – vor Augen – treten kann – Verzeihen – nach dem Tode – meine Ehre – mein Rang er–«

Es waren ihre letzten Worte . . . Die fixe Idee, die sie ihr ganzes Leben geleitet hatte, fand sich bei ihr, all ihrer Reue ungeachtet, noch im Augenblick ihres Verscheidens wieder ein!

Da erschien Murph im Zimmer . »Königliche Hoheit,« meldete er, »die Prinzessin Marie . . .«

»Nein,« befahl Rudolf fest und bestimmt, »sie darf jetzt nicht eintreten! – Der Anblick eignet sich für ihr junges Herz nicht! – Murph, befiehl Seyton, den Geistlichen noch einmal zu holen!« – Und auf Sarahs todbleiches Gesicht zeigend, setzte er hinzu: »Gott versagt ihr den letzten Trost, ihr Kind zu sehen!«

Noch eine halbe Stunde gänzlicher Bewußtlosigkeit . . . dann hatte Gräfin Sarah Mac Gregor, im letzten Augenblick vorm Verscheiden zur Großherzogin von Gerolstein erhoben, zu leben aufgehört.



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