Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Zweites Kapitel.

Die Zusammenkunft

Das Palais Lucenay war eine jener wahrhaft königlichen Wohnungen der Vorstadt Saint-Germain, die wegen des darin verschwendeten Raumes eigentümlich großartig wirken. Im Treppenraume solchen Palastes fände recht wohl ein modernes Haus Unterkunft, und an der Stelle, wo sie stehen, könnte man eine ganze Straße anlegen . . . Vicomte von Saint-Remy hatte zunächst seinen Gläubiger von der Verpflichtung seines Vaters, mit dem Gelde um 10 Uhr bei ihm zu sein, unterrichtet, und dieser hatte sich einverstanden erklärt, bis zu dieser Zeit zu warten. Dann verfügte er sich zu der Herzogin von Lucenay, um ihr für den ihm abermals geleisteten Dienst seinen Dank abzustatten. Ein Lakai öffnete die beiden Flügeltüren und meldete ihn an. Die Herzogin, die der Meinung war, der Graf könne seinem Sohne nicht verschwiegen haben, daß sie mit ihm zusammen gelauscht, daß auch sie alles mitangehört habe, war nicht bloß erstaunt, den Vicomte bei sich zu sehen, sondern höchst unwillig darüber, daß er zu ihr kam . . . Mit den Worten: »Teure Klotilde! Wie gütig sind Sie!« trat er auf sie zu . . . Aber er konnte nicht weiter sprechen, denn die Herzogin maß ihn mit einem so kalten, verächtlichen Blicke, daß ihm aller Mut sank, daß er keinen Schritt weiter entgegenzugehen wagte. So hatte er sie noch nie gesehen und konnte kaum glauben, daß er derselben Frau gegenüberstände, die er so oft so zärtlich, so sanft, so liebevoll und unterwürfig gesehen hatte. Kaum war aber seine erste Ueberraschung verflogen, so schämte er sich seiner Schwäche, und seine gewöhnliche Keckheit gewann wieder die Oberhand . . . Einen Schritt näher zu der Herzogin tretend, wollte er ihre Hand ergreifen und begann im einschmeichelndsten Tone: »Aber, Klotilde! Was ist dir denn? So schön habe ich dich ja noch nie gesehen und doch . . .« – »Das geht doch zu weit!« rief die Herzogin empört und so weit zurückweichend, daß Florestan abermals wie niedergedonnert dastand . . . Langsam sammelte er sich aber und fragte: »Aber, wollen Sie mir nicht wenigstens sagen, woher diese jähe Wandlung kommt? Habe ich Ihnen denn etwas zu leide getan? Was begehren Sie?«

Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, maß ihn die Herzogin vom Kopf bis zu den Füßen mit einer so verletzenden Miene, daß Florestan die Zornesröte in die Wangen schoß und er ausrief: »Madame, daß Sie es zuweilen lieben, Verhältnisse jäh abzubrechen, weiß ich, aber ich hielt mich gefeit dagegen und frage Sie jetzt nur: Liegt Ihnen daran, unser Verhältnis abzubrechen?« – »Eine wunderliche Anmaßung!« erwiderte die Herzogin mit höhnischem Lachen, »bestiehlt mich ein Lakai, dann breche ich nicht ab mit ihm, sondern werfe ihn zum Hause hinaus!« – »Madame!« rief Vicomte. – »Machen wir ein Ende!« rief die Herzogin, noch immer in demselben beleidigenden Tone, »Ihre Gegenwart ist mir ein Greuel! Was wollen Sie noch hier? Haben Sie Ihr Geld nicht erhalten?« – »Also habe ich doch richtig geraten? Diese 25 000 Franks stammen von Ihnen?« – »Nun, Ihr letzter falscher Wechsel ist präsentiert worden, nicht wahr? Hoffentlich haben Sie ihn eingelöst und also die Ehre Ihres Namens, Ihrer Familie gerettet? . . . Nun aber gehen Sie!«

»Klotilde! Klotilde!«

»Nennen Sie mich nicht noch ein einziges Mal so!« rief die Herzogin empört: »schade um das schöne Geld! Wieviel rechtlichen Menschen hätte damit geholfen werden können! Aber es war notwendig, den Schimpf von Ihrem Vater zu nehmen, den Schimpf von mir zu nehmen!« – »Sie wissen also alles? Klotilde, alles? dann bleibt mir freilich nichts anderes übrig als der Tod . . .« – Die Herzogin ließ ein schrilles Lachen hören . . . »Ich hätte nicht geglaubt,« rief sie höhnisch, »daß Niederträchtigkeit sich so albern breitmachen könnte . . .« – Aus Florestans Zügen flammte wilde Wut . . . »Madame!« schrie er. – »Genug, genug!« rief die Herzogin, »auf der Stelle verlassen Sie meine Wohnung!«

Mit wutverzerrtem Gesicht drehte Saint-Remy sich auf dem Absatze herum und stürzte aus dem Zimmer . . . Im Hofe angelangt, herrschte er seinem Kutscher zu: »Nach Hause!« und war mit einem Satze im Wagen . . . Als er zu Hause ankam, meldete ihm der auf ihn wartende Lakai, daß sein Herr Vater bereits auf ihn warte . . .

»Es ist auch ein anderer Mann noch da, ein Herr Petit-Jean, den der Herr Vicomte heute abend um zehn hierher bestellt haben.«

»Gut!« rief der Vicomte und trat in sein Zimmer . . . »Ach, lieber Papa, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, daß ich Sie habe warten lassen . . .« – Der Graf fiel ihm mit strenger Stimme ins Wort: »Ist der Mann zur Stelle, der den gefälschten Wechsel in Händen hat?« – »Jawohl, Vater, er wartet unten.« – »So laß ihn heraufkommen!« – Florestan klingelte.

»O, Vater, Sie sind wirklich edel und voll Güte!« sagte er. – »Mein Name soll nicht entehrt werden und wird nicht entehrt werden, solange ich über ihn wachen kann,« versetzte der Graf und sah seinen Sohn mit seltsamem Blicke an . . .

»Herr Petit-Jean,« meldete der Kammerdiener, einen Menschen mit bauernschlauem Gesicht, auf dem deutlich die Gemeinheit zu lesen stand, in das Zimmer führend. – »Wo ist der Wechsel?« fragte der Graf. – »Hier, Herr Graf,« erwiderte Petit-Jean, der nichts anders war als der vorgeschobene Agent Jakob Ferrands – und behändigte dem Grafen den Wechsel. – »Ist das der richtige Wechsel?« fragte er den Sohn. – »Ja, Vater,« antwortete dieser. – Der Graf nahm aus seinem Portefeuille 25 Tausendfranks-Scheine und gab sie dem Sohne mit den Worten: »Da, nimm und bezahle!« –

Mit einem tiefen Seufzer übergab Florestan dem Agenten das Geld und nahm den Wechsel dafür entgegen. Petit-Jean überzählte das Geld genau und steckte es dann in seine Brieftasche. Während der Graf den Mann zur Tür hinaus begleitete, zerriß Florestan den Wechsel, bei sich denkend: »Auf diese Weise bleiben mir doch wenigstens die 25 000 Franks von Klotilden, das ist immerhin ein Trost! Aber wie sie mich behandelt hat, war geradezu schändlich . . . Was mag denn Papa draußen mit dem Wichte Petit-Jean reden?«

Da fuhr er unwillkürlich zusammen, denn er hörte, wie die Tür zweimal verschlossen wurde, und sah im andern Augenblicke den Vater vor sich stehen . . . »Mir war es doch, als wenn die Tür geschlossen würde, Vater.« – »Ganz recht. Ich habe sie geschlossen.« – »Und warum?« fragte Florestan verwundert. – »Du sollst es gleich hören,« antwortete der alte Graf mit der strengen Stimme von vorhin. »Heute früh beherrschte dich kein anderer Gedanke als: der Vater läßt solchen Makel nicht auf seinen Namen kommen und wird schon Geld schaffen, wenn ich ihn durch ein paar reuige Redensarten mürbe mache« . . . »Aber, Papa!« – »Still!« befahl der Graf, »unterbrich mich nicht! Aber ich habe mich durch dich nicht irre führen lassen! Du kennst weder Reue noch Scham, denn du bist bis ins Mark verdorben und hast nie einen rechtschaffenen Gedanken gehabt. Erst hast du mir, um deine Launen zu befriedigen, Geld aus dem Kasten gestohlen; dann kamen andere unsaubere Dinge, Gemeinheiten, erbärmliche Streiche, zuletzt wurdest du zum Verbrecher, zum Fälscher . . . Aber das ist nur der erste Abschnitt deiner Laufbahn, hast du dir schon gesagt, wie der zweite verlaufen wird? Ich mag ihn dir nicht ausmalen; aber das Ende will ich dir sagen: es wird das Schafott sein, das dem Mörder winkt! – Noch komme ich zurecht, meinen Namen vor dem äußersten Schimpfe zu bewahren. Das Verhältnis zu dir muß ein Ende nehmen!«

Florestan fuhr vor dem starren Ausdruck, den das Gesicht seines Vaters annahm, entsetzt zusammen und stotterte: »Ein Ende nehmen? Vater! Was meinen Sie mit diesen Reden?«

Da wurde heftig an die Tür geklopft . . . Florestan wollte hinstürzen; aber der alte Graf packte ihn mit eiserner Faust am Handgelenk und hielt ihn zurück . . . »Wer begehrt Einlaß?« fragte er. – »Ich bin Polizeikommissar und soll Haussuchung halten. Ein Herr von Saint-Remy ist angeschuldigt, Diamanten gestohlen zu haben. Juwelier Baudoin hat die Anzeige erstattet. Wird nicht geöffnet, muß ich Gewalt brauchen.« – »Also schon beim Spitzbuben angelangt?« rief der Graf leise, aber mit markdurchdringender Stimme; »ich habe mich also nicht getäuscht.« Er trat einen Schritt näher zu dem Sohne heran . . . »Es ist der Schande genug. Kommen wir zum Abschluß! Du wirst dir auf der Stelle eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn du nicht zum Mörder an mir werden willst. Denn weigerst du dich, es zu tun, so schieße ich mich vor deinen Augen nieder!«

Er gab seinem Sohne ein Pistol in die Hand, das er kaltblütig aus der Tasche genommen hatte. Totenbleich wich Florestan vor dem Greise zurück, der ihn noch immer an der Hand hielt. Aus dem Blicke seines Vaters konnte er ersehen, daß er auf kein Mitleid rechnen durfte . . . Ein verzweifelter Entschluß beseelte ihn, er leistete dem Vater keinen Widerstand mehr, sondern rief mit Festigkeit und Ergebung: »Sie haben recht, Vater, geben Sie die Waffe her! Mein Name ist entehrt. Ich habe ein schlimmes Leben zu erwarten, das der Mühe, es zu erhalten, nicht lohnt . . . Her die Waffe! Ich will Ihnen zeigen, daß ich kein Feigling bin!«

Draußen krachte die Tür und brach in Trümmer . . . »Vater, sie kommen . . . Ja, ich fühle, der Tod wird mir eine Wohltat sein . . . Gehen Sie den Leuten entgegen, damit kein Verdacht wider Sie aufkomme! Brächen sie herein, dann möchten sie mich an der Tat hindern . . .«

Schritte klangen aus dem Vorzimmer. Florestan setzte das Pistol aufs Herz. In demselben Moment knallte der Schuß, als der Graf, dem gräßlichen Anblicke zu entgehen, das Gesicht abwendend, aus dem Zimmer eilte . . .

Als der Kommissar den Knall hörte und des alten Grafen entsetztes Gesicht sah, blieb er einen Moment auf der Schwelle stehen und winkte seinen Leuten, nicht weiter zu gehen . . . »Herr Graf,« wandte er sich zu dem alten Saint-Remy, »ersparen Sie sich einen schmerzlichen Anblick und gehen Sie aus diesem Hause . . . Mir liegt jetzt eine traurigere Pflicht ob, als die mich herführte!« – »Sie haben recht,« versetzte der Graf . . . »wie hoch beläuft sich die Summe, um die der Juwelier bestohlen worden?« – »Auf 30 000 Franks,« antwortete der Polizeikommissar, »die Person, die sie kaufte und durch die der Diebstahl an den Tag kam, hat diese Summe an – Ihren Sohn dafür bezahlt.« – »Nun, den Betrag zu decken, wird mein Vermögen gerade noch reichen. Sagen Sie dem Bestohlenen, er möge sich zum Bankier Dupont bemühen; er wird die nötigen Weisungen dort vorfinden.«

Der Kommissar verbeugte sich, und der Graf ging. Im andern Augenblick ging die Tür zum Kabinett auf, und ein Beamter trat herein . . . »Der Patron ist auf und davon!« rief er; »so hat uns noch keiner genasführt!« – »Was?« rief der Kommissar, in das Zimmer stürzend, worin nicht die geringste Spur von dem tragischen Ereignis wahrzunehmen war, unter dessen vermeintlichem Eindrucke der alte Graf eben das Haus verlassen hatte . . . Im Nu gewahrte er die Tapetentür und riß sie auf . . . »Also auf diesem Wege ist er entflohen?« rief er. »Wer hätte solcher Finte sich versehen!«

Vor des Vaters Augen hatte der Vicomte wohl das Pistol abgeschossen, aber nicht aufs Herz, sondern zwischen dem Arme hindurch gezielt und war, durch den Rauch verhüllt, im selben Augenblicke durch die Tapetentür entwischt, als sein Vater den Polizisten entgegenging. Vom Boudoir aus hatte er das Treibhaus, von da das Gäßchen gewonnen und den Weg nach den elysäischen Feldern genommen.


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