Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Mittwoch, den 20. Juli 1831*

Nach Tisch ein halbes Stündchen bei Goethe, den ich sehr heiterer milder Stimmung fand. Wir sprachen über allerlei Dinge, zuletzt auch über Karlsbad, und er scherzte über die mancherlei Herzensabenteuer, die er daselbst erlebt. »Eine kleine Liebschaft«, sagte er, »ist das einzige, was uns einen Badeaufenthalt erträglich machen kann; sonst stirbt man vor Langerweile. Auch war ich fast jedesmal so glücklich, dort irgendeine kleine Wahlverwandtschaft zu finden, die mir während der wenigen Wochen einige Unterhaltung gab. Besonders erinnere ich mich eines Falles, der mir noch jetzt Vergnügen macht.

Ich besuchte nämlich eines Tages Frau von der Recke. Nachdem wir uns eine Weile nicht sonderlich unterhalten und ich wieder Abschied genommen hatte, begegnete mir im Hinausgehen eine Dame mit zwei sehr hübschen jungen Mädchen. ›Wer war der Herr, der soeben von Ihnen ging?‹ fragte die Dame. ›Es war Goethe‹, antwortete Frau von Recke. ›O wie leid tut es mir,‹ erwiderte die Dame, ›daß er nicht geblieben ist, und daß ich nicht das Glück gehabt habe, seine Bekanntschaft zu machen!‹ – ›O, daran haben Sie durchaus nichts verloren, meine Liebe‹, sagte die Recke. ›Er ist sehr langweilig unter Damen, es sei denn, daß sie hübsch genug wären, ihm einiges Interesse einzuflößen. Frauen unseres Alters dürfen nicht daran denken, ihn beredt und liebenswürdig zu machen.‹

Als die beiden Mädchen mit ihrer Mutter nach Hause gingen, gedachten sie der Worte der Frau von Recke. ›Wir sind jung, wir sind hübsch,‹ sagten sie, ›laßt doch sehen, ob es uns nicht gelingt, jenen berühmten Wilden einzufangen und zu zähmen!‹ Am anderen Morgen auf der Promenade am Sprudel machten sie mir im Vorübergehen wiederholt die graziösesten lieblichsten Verbeugungen, worauf ich denn nicht unterlassen konnte, mich gelegentlich ihnen zu nähern und sie anzureden. Sie waren scharmant! Ich sprach sie wieder und wieder, sie führten mich zu ihrer Mutter, und so war ich denn gefangen. Von nun an sahen wir uns täglich, ja wir verlebten ganze Tage miteinander. Um unser Verhältnis noch inniger zu machen, ereignete es sich, daß der Verlobte der einen ankam, worauf ich mich denn um so ungeteilter an die andere schloß. Auch gegen die Mutter war ich, wie man denken kann, sehr liebenswürdig. Genug, wir waren alle miteinander überaus zufrieden, und ich verlebte mit dieser Familie so glückliche Tage, daß sie mir noch jetzt eine höchst angenehme Erinnerung sind. Die beiden Mädchen erzählten mir sehr bald die Unterredung zwischen ihrer Mutter und Frau von Recke, und welche Verschwörung sie zu meiner Eroberung angezettelt und zu glücklicher Ausführung gebracht.«

Hiebei fällt mir eine Anekdote anderer Art ein, die Goethe mir früher erzählte und die hier einen Platz finden mag.

»Ich ging«, sagte er mir, »mit einem guten Bekannten einst in einem Schloßgarten gegen Abend spazieren, als wir unerwartet am Ende der Allee zwei andere Personen unseres Kreises bemerkten, die in ruhigen Gesprächen aneinander hingingen. Ich kann Ihnen so wenig den Herrn als die Dame nennen, aber es tut nichts zur Sache. Sie unterhielten sich also und schienen an nichts zu denken, als mit einem Mal ihre Köpfe sich gegeneinander neigten und sie sich gegenseitig einen herzhaften Kuß gaben. Sie schlugen darauf ihre erste Richtung wieder ein und setzten sehr ernst ihre Unterhaltung fort, als ob nichts passiert wäre. ›Haben Sie es gesehen?‹ rief mein Freund voll Erstaunen ›darf ich meinen Augen trauen?‹ Ich habe es gesehen, erwiderte ich ganz ruhig – aber ich glaube es nicht!«


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