Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Dienstag, den 14. April 1829

Als ich diesen Mittag hereintrat, saß Goethe mit Hofrat Meyer schon bei Tisch, in Gesprächen über Italien und Gegenstände der Kunst. Goethe ließ einen Band Claude Lorrain vorlegen, worin Meyer uns diejenige Landschaft aussuchte und zeigte, von der die Zeitungen gemeldet, daß Peel sich das Original für viertausend Pfund angeeignet. Man mußte gestehen, daß es ein schönes Stück sei, und daß Herr Peel keinen schlechten Kauf getan. An der rechten Seite des Bildes fiel der Blick auf eine Gruppe sitzender und stehender Menschen. Ein Hirte bückt sich zu einem Mädchen, das er zu unterrichten scheint, wie man die Schalmei blasen müsse. Mitten sah man auf einen See im Glanz der Sonne, und an der linken Seite des Bildes gewahrte man weidendes Vieh im Schatten eines Gehölzes. Beide Gruppen balancierten sich auf das beste, und der Zauber der Beleuchtung wirkte mächtig, nach gewohnter Art des Meisters. Es war die Rede, wo das Original sich seither befunden, und in wessen Besitz Meyer es in Italien gesehen.

Das Gespräch lenkte sich sodann auf das neue Besitztum des Königs von Bayern in Rom. »Ich kenne die Villa sehr gut,« sagte Meyer, »ich bin oft darin gewesen und gedenke der schönen Lage mit Vergnügen. Es ist ein mäßiges Schloß, das der König nicht fehlen wird sich auszuschmücken und nach seinem Sinne höchst anmutig zu machen. Zu meiner Zeit wohnte die Herzogin Amalie darin und Herder in dem Nebengebäude. Später bewohnte es der Herzog von Sussex und der Graf Münster. Fremde hohe Herrschaften haben es immer wegen der gesunden Lage und herrlichen Aussicht besonders geliebt.«

Ich fragte Hofrat Meyer, wie weit es von der Villa di Malta bis zum Vatikan sei.« Von Trinità di Monte, in der Nähe der Villa,« sagte Meyer, »wo wir Künstler wohnten, ist es bis zum Vatikan eine gute halbe Stunde. Wir machten täglich den Weg, und oft mehr als einmal.«

»Der Weg über die Brücke«, sagte ich, »scheint etwas um zu sein; ich dächte, man käme näher, wenn man sich über die Tiber setzen ließe und durch das Feld ginge.«

»Es ist nicht so,« sagte Meyer, »aber wir hatten auch diesen Glauben und ließen uns sehr oft übersetzen. Ich erinnere mich einer solchen Überfahrt, wo wir in einer schönen Nacht bei hellem Mondschein vom Vatikan zurückkamen. Von Bekannten waren Bury, Hirt und Lips unter uns, und es hatte sich der gewöhnliche Streit entsponnen, wer größer sei, Raffael oder Michel Angelo. So bestiegen wir die Fähre. Als wir das andere Ufer erreicht hatten und der Streit noch in vollem Gange war, schlug ein lustiger Vogel, ich glaube es war Bury, vor, das Wasser nicht eher zu verlassen, als bis der Streit völlig abgetan sei und die Parteien sich vereiniget hätten. Der Vorschlag wurde angenommen, der Fährmann mußte wieder abstoßen und zurückfahren. Aber nun wurde das Disputieren erst recht lebhaft, und wenn wir das Ufer erreicht hatten, mußten wir immer wieder zurück, denn der Streit war nicht entschieden. So fuhren wir stundenlang hinüber und herüber, wobei niemand sich besser stand als der Schiffer, dem sich die Bajokks bei jeder Überfahrt vermehrten. Er hatte einen zwölfjährigen Knaben bei sich, der ihm half und dem die Sache endlich gar zu wunderlich erscheinen mochte. ›Vater‹, sagte er, ›was haben denn die Männer, daß sie nicht ans Land wollen, und daß wir immer wieder zurück müssen, wenn wir sie ans Ufer gebracht?‹ – ›Ich weiß nicht, mein Sohn,‹ antwortete der Schiffer, ›aber ich glaube, sie sind toll.‹ Endlich, um nicht die ganze Nacht hin und her zu fahren, vereinigte man sich notdürftig, und wir gingen zu Lande.«

Wir freuten uns und lachten über diese anmutige Anekdote von künstlerischer Verrücktheit. Hofrat Meyer war in der besten Laune, er fuhr fort, uns von Rom zu erzählen, und Goethe und ich hatten Genuß, ihn zu hören.

»Der Streit über Raffael und Michel Angelo«, sagte Meyer, »war an der Ordnung und wurde täglich geführt, wo genugsame Künstler zusammentrafen, so daß von beiden Parteien sich einige anwesend fanden. In einer Osterie, wo man sehr billigen und guten Wein trank, pflegte er sich zu entspinnen; man berief sich auf Gemälde, auf einzelne Teile derselben, und wenn die Gegenpartei widerstritt und dies und jenes nicht zugeben wollte, entstand das Bedürfnis der unmittelbaren Anschauung der Bilder. Streitend verließ man die Osterie und ging raschen Schrittes zur Sixtinischen Kapelle, wozu ein Schuster den Schlüssel hatte, der immer für vier Groschen aufschloß. Hier, vor den Bildern, ging es nun an Demonstrationen, und wenn man lange genug gestritten, kehrte man in die Osterie zurück, um bei einer Flasche Wein sich zu versöhnen und alle Kontroversen zu vergessen. So ging es jeden Tag, und der Schuster an der Sixtinischen Kapelle erhielt manche vier Groschen.«

Bei dieser heiteren Gelegenheit erinnerte man sich eines anderen Schusters, der auf einem antiken Marmorkopf gewöhnlich sein Leder geklopft. »Es war das Porträt eines römischen Kaisers,« sagte Meyer; »die Antike stand vor des Schusters Türe und wir haben ihn sehr oft in dieser löblichen Beschäftigung gesehen, wenn wir vorbeigingen.«


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