Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Dienstag, den 15. Februar 1831

Mit Goethe zu Tisch. Ich erzähle ihm vom Theater; er lobt das gestrige Stück, ›Heinrich der Dritte‹ von Dumas, als ganz vortrefflich, findet jedoch natürlich, daß es für das Publikum nicht die rechte Speise gewesen. »Ich hätte es unter meiner Direktion nicht zu bringen gewagt,« sagte er, »denn ich erinnere mich noch gar wohl, was wir mit dem ›Standhaften Prinzen‹ für Not gehabt, um ihn beim Publikum einzuschwärzen, der doch noch weit menschlicher und poetischer ist und im Grunde weit näher liegt als ›Heinrich der Dritte‹.«

Ich rede vom ›Groß-Cophta‹, den ich in diesen Tagen abermals gelesen. Ich gehe die einzelnen Szenen gesprächsweise durch und schließe mit dem Wunsch, es einmal auf der Bühne zu sehen.

»Es ist mir lieb«, sagte Goethe, »daß Ihnen das Stück gefällt, und daß Sie herausfinden, was ich hineingearbeitet habe. Es war im Grunde keine geringe Operation, ein ganz reales Faktum erst poetisch und dann theatralisch zu machen. Und doch werden Sie zugeben, daß das Ganze recht eigentlich für die Bühne gedacht ist. Schiller war auch sehr für das Stück, und wir haben es einmal gegeben, wo es sich denn für höhere Menschen wirklich brillant machte. Für das Publikum im allgemeinen jedoch ist es nicht; die behandelten Verbrechen behalten immer etwas Apprehensives, wobei es den Leuten nicht heimlich ist. Es fällt, seinem verwegenen Charakter nach, ganz in den Kreis der ›Clara Gazul‹, und der französische Dichter könnte mich wirklich beneiden, daß ich ihm ein so gutes Sujet vorweggenommen. Ich sage ein so gutes Sujet, denn im Grunde ist es nicht bloß von sittlicher, sondern auch von großer historischer Bedeutung; das Faktum geht der Französischen Revolution unmittelbar voran und ist davon gewissermaßen das Fundament. Die Königin, der fatalen Halsbandsgeschichte so nahe verflochten, verlor ihre Würde, ja ihre Achtung, und so hatte sie denn in der Meinung des Volkes den Standpunkt verloren, um unantastbar zu sein. Der Haß schadet niemanden, aber die Verachtung ist es, was den Menschen stürzet. Kotzebue wurde lange gehaßt, aber damit der Dolch des Studenten sich an ihn wagen konnte, mußten ihn gewisse Journale erst verächtlich machen.«


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