Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Sonnabend, den 26. Februar 1831

Ich las heute viel in Goethes ›Farbenlehre‹ und freute mich, zu bemerken, daß ich diese Jahre her, durch vielfache Übung mit den Phänomenen, in das Werk so hineingewachsen, um jetzt seine großen Verdienste mit einiger Klarheit empfinden zu können. Ich bewundere, was es gekostet hat, ein solches Werk zusammenzubringen, indem mir nicht bloß die letzten Resultate erscheinen, sondern indem ich tiefer blicke, was alles durchgemacht worden, um zu festen Resultaten zu gelangen.

Nur ein Mensch von großer moralischer Kraft konnte das durchführen, und wer es ihm nachtun wollte, müßte sich daran sehr hoch hinaufbringen. Alles Unzarte, Unwahre, Egoistische würde aus der Seele verschwinden müssen, oder die reine wahre Natur würde ihn verschmähen. Bedächten dieses die Menschen, so würden sie gern einige Jahre ihres Lebens daran wenden und den Kreis einer solchen Wissenschaft auf solche Weise durchmachen, um daran Sinne, Geist und Charakter zu prüfen und zu erbauen. Sie würden Respekt vor dem Gesetzlichen gewinnen und dem Göttlichen so nahe treten, als es einem irdischen Geiste überall nur möglich.

Dagegen beschäftiget man sich viel zu viel mit Poesie und übersinnlichen Mysterien, welche subjektive nachgiebige Dinge sind, die an den Menschen weiter keine Anforderungen machen, sondern ihm schmeicheln und im günstigen Fall ihn lassen, wie er ist.

In der Poesie ist nur das wahrhaft Große und Reine förderlich, was wiederum wie eine zweite Natur dasteht und uns entweder zu sich heraufhebt oder uns verschmäht. Eine mangelhafte Poesie hingegen entwickelt unsere Fehler, indem wir die ansteckenden Schwächen des Poeten in uns aufnehmen. Und zwar in uns aufnehmen, ohne es zu wissen, weil wir das unserer Natur Zusagende nicht für mangelhaft erkennen.

Um aber in der Poesie aus Gutem wie aus Schlechtem einigen Vorteil zu ziehen, müßte man bereits auf einer sehr hohen Stufe stehen und ein solches Fundament besitzen um dergleichen Dinge als außer uns liegende Gegenstände zu betrachten.

Deshalb lobe ich mir den Verkehr mit der Natur, die unsere Schwächen auf keine Weise begünstigt, und die entweder etwas aus uns macht, oder überall nichts mit uns zu tun hat.


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