Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Sonntag, den 22. Februar 1824

Zu Tisch mit Goethe und seinem Sohn, welcher letztere uns manches heitere Geschichtchen aus seiner Studentenzeit, namentlich aus seinem Aufenthalt in Heidelberg erzählte. Er hatte mit seinen Freunden in den Ferien manchen Ausflug am Rhein gemacht, wo ihm besonders ein Wirt in gutem Andenken geblieben war, bei dem er einst mit zehn andern Studenten übernachtet und welcher unentgeltlich den Wein hergegeben, bloß damit er einmal seine Freude an einem sogenannten Kommersch haben möge.

Nach Tisch legte Goethe uns kolorierte Zeichnungen italienischer Gegenden vor, besonders des nördlichen Italiens mit den Gebirgen der angrenzenden Schweiz und dem Lago Maggiore. Die Borromäischen Inseln spiegelten sich im Wasser, man sah am Ufer Fahrzeuge und Fischergerät, wobei Goethe bemerklich machte, daß dies der See aus seinen ›Wanderjahren‹ sei. Nordwestlich, in der Richtung nach dem Monte Rosa stand das den See begrenzende Vorgebirge in dunkelen blauschwarzen Massen, so wie es kurz nach Sonnenuntergange zu sein pflegt.

Ich machte die Bemerkung, daß mir, als einem in der Ebene Geborenen, die düstere Erhabenheit solcher Massen ein unheimliches Gefühl errege und daß ich keineswegs Lust verspüre, in solchen Schluchten zu wandern.

»Dieses Gefühl«, sagte Goethe, »ist in der Ordnung. Denn im Grunde ist dem Menschen nur der Zustand gemäß, worin und wofür er geboren worden. Wen nicht große Zwecke in die Fremde treiben, der bleibt weit glücklicher zu Hause. Die Schweiz machte anfänglich auf mich so großen Eindruck, daß ich dadurch verwirrt und beunruhigt wurde; erst bei wiederholtem Aufenthalt, erst in späteren Jahren, wo ich die Gebirge bloß in mineralogischer Hinsicht betrachtete, konnte ich mich ruhig mit ihnen befassen.«

Wir besahen darauf eine große Folge von Kupferstichen nach Gemälden neuer Künstler aus einer französischen Galerie. Die Erfindung in diesen Bildern war fast durchgehende schwach, so daß wir unter vierzig Stücken kaum vier bis fünf gute fanden. Diese guten waren: ein Mädchen, das sich einen Liebesbrief schreiben läßt; eine Frau in einem maison à vendre, das niemand kaufen will; ein Fischfang; Musikanten vor einem Muttergottesbilde. Auch eine Landschaft in Poussins Manier war nicht übel, wobei Goethe sich folgendermaßen äußerte: »Solche Künstler«, sagte er, »haben den allgemeinen Begriff von Poussins Landschaften aufgefaßt, und mit diesem Begriff wirken sie fort. Man kann ihre Bilder nicht gut und nicht schlecht nennen. Sie sind nicht schlecht, weil überall ein tüchtiges Muster hindurchblickt; aber man kann sie nicht gut heißen, weil den Künstlern gewöhnlich Poussins große Persönlichkeit fehlt. Es ist unter den Poeten nicht anders, und es gibt deren, die sich z. B. in Shakespeares großer Manier sehr unzulänglich ausnehmen würden.«

Zum Schluß Rauchs Modell zu Goethes Statue, für Frankfurt bestimmt, lange betrachtet und besprochen.


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