Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Dienstag, den 3. Dezember 1822*

Bei Goethe in einer Abendgesellschaft. Die Herren Riemer, Coudray, Meyer, Goethes Sohn und Frau von Goethe waren unter den Anwesenden.

Die Studenten zu Jena sind in Aufstand begriffen; man hat eine Kompagnie Artillerie hingeschickt, um sie zu beruhigen. Riemer las eine Sammlung von Liedern, die man ihnen verboten und die dadurch Anlaß oder Vorwand der Revolte geworden. Alle diese Lieder erhielten beim Vorlesen entschiedenen Beifall, besonders wegen des Talentes, das darin sichtbar; Goethe selbst fand sie gut und versprach sie mir zur ruhigen Durchsicht.

Nachdem wir darauf eine Zeitlang Kupferstiche und kostbare Bücher betrachtet hatten, machte Goethe uns die Freude, das Gedicht ›Charon‹ zu lesen. Die klare, deutliche und energische Art mußte ich bewundern, womit Goethe das Gedicht vortrug. Nie habe ich eine so schöne Deklamation gehört. Welches Feuer! Welche Blicke! Und welche Stimme! abwechselnd donnernd und dann wieder sanft und milde. Vielleicht entwickelte er an einigen Stellen zu viele Kraft für den kleinen Raum, in dem wir uns befanden; aber doch war in seinem Vortrage nichts, was man hätte hinwegwünschen mögen.

Goethe sprach darauf über Literatur und seine Werke, sowie über Frau von Staël und Verwandtes. Er beschäftigt sich gegenwärtig mit der Übersetzung und Zusammenstellung der Fragmente vom ›Phaëton‹ des Euripides. Er hat diese Arbeit bereits vor einem Jahre angefangen und in diesen Tagen wieder vorgenommen.


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