Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Donnerstag, den 19. [?] Juni 1823

Ich wollte heute eigentlich schon in Jena sein, Goethe sagte aber gestern wünschend und bittend, daß ich doch noch bis Sonntag bleiben und dann mit der Post fahren möchte. Er gab mir gestern die Empfehlungsbriefe und auch einen für die Familie Frommann. »Es wird Ihnen in diesem Kreise gefallen,« sagte er, »Ich habe dort schöne Abende verlebt. Auch Jean Paul, Tieck, die Schlegel, und was in Deutschland sonst Namen hat, ist dort gewesen und hat dort gerne verkehrt, und noch jetzt ist es der Vereinigungspunkt vieler Gelehrter und Künstler und sonst angesehener Personen. In einigen Wochen schreiben Sie mir nach Marienbad, damit ich erfahre, wie es Ihnen geht und wie es Ihnen in Jena gefällt. Auch habe ich meinem Sohn gesagt, daß er Sie während meiner Abwesenheit drüben einmal besuche.«

Ich fühlte mich Goethen für so viel Sorgfalt sehr dankbar, und es tat mir wohl, aus allem zu sehen, daß er mich zu den Seinigen zählt und mich als solchen will gehalten haben.

 

Sonnabend, den 21. Juni, nahm ich sodann von Goethe Abschied und fuhr des andern Tages nach Jena hinüber und richtete mich in einer Gartenwohnung ein bei sehr guten, redlichen Leuten. In den Familien des Herrn von Knebel und Frommann fand ich auf Goethes Empfehlung eine freundliche Aufnahme und einen sehr belehrenden Umgang. In den mitgenommenen Arbeiten schritt ich auf das beste vor, und überdies hatte ich bald die Freude, einen Brief von Herrn von Cotta zu erhalten, worin er sich nicht allein zum Verlage meines ihm zugegangenen Manuskriptes sehr bereit erklärte, sondern mir auch ein ansehnliches Honorar zusicherte und den Druck in Jena unter meinen Augen geschehen ließ.

So war nun meine Existenz wenigstens auf ein Jahr gedeckt, und ich fühlte den lebhaften Trieb, in dieser Zeit etwas Neues hervorzubringen und dadurch mein ferneres Glück als Autor zu begründen. Die theoretische und kritische Richtung hoffte ich durch die Aufsätze meiner ›Beiträge zur Poesie‹ ein für allemal hinter mir zu haben; ich hatte mich dadurch über die vorzüglichsten Gesetze aufzuklären gesucht, und meine ganze innere Natur drängte mich nun zur praktischen Ausübung. Ich hatte Pläne zu unzähligen Gedichten, größeren und kleineren, auch zu dramatischen Gegenständen verschiedener Art, und es handelte sich nach meinem Gefühl jetzt bloß darum, wohin ich mich wenden sollte, um mit einigem Behagen eins nach dein andern ruhig ans Licht zu bringen.

In Jena gefiel es mir auf die Länge nicht; es war mir zu stille und einförmig. Ich verlangte nach einer großen Stadt, die nicht allein ein vorzügliches Theater besitze, sondern wo sich auch ein freies großes Volksleben entwickele, damit ich bedeutende Lebenselemente in mich aufzunehmen und meine innere Kultur auf das rascheste zu steigern vermöge. In einer solchen Stadt hoffte ich zugleich ganz unbemerkt leben und mich zu jeder Zeit zu einer ganz ungestörten Produktion isolieren zu können.

Ich hatte indessen das von Goethe gewünschte Inhaltsverzeichnis der ersten vier Bände von ›Kunst und Altertum‹ entworfen und sendete es ihm mit einem Brief nach Marienbad, worin ich meine Wünsche und Pläne ganz offen aussprach. Ich erhielt darauf alsobald die folgenden Zeilen:

 

»Das Inhaltsverzeichnis ist mir zur rechten Zeit gekommen und entspricht ganz meinen Wünschen und Zwecken. Lassen Sie mich die Frankfurter Rezensionen bei meiner Rückkehr auf gleiche Weise redigiert finden, so zolle den besten Dank, welchen ich vorläufig schon im stillen entrichte, indem ich Ihre Gesinnungen, Zustände, Wünsche, Zwecke und Pläne mit mir teilnehmend herumtrage, um bei meiner Rückkunft mich über Ihr Wohl desto gründlicher besprechen zu können. Mehr sag ich heute nicht. Der Abschied von Marienbad gibt mancherlei zu denken und zu tun, während man ein allzu kurzes Verweilen mit vorzüglichen Menschen gar schmerzlich empfindet.

Möge ich Sie in stiller Tätigkeit antreffen, aus der denn doch zuletzt am sichersten und reinsten Weltumsicht und Erfahrung hervorgeht. Leben Sie wohl; freue mich auf ein längeres und engeres Zusammensein.

Marienbad, den 14. August 1823.

Goethe.«

 

Durch solche Zeilen Goethes, deren Empfang mich im hohen Grade beglückte, fühlte ich mich nun vorläufig wieder beruhigt. Ich ward dadurch entschieden, keinen eigenmächtigen Schritt zu tun, sondern mich ganz seinem Rat und Willen zu überlassen. Ich schrieb indes einige kleine Gedichte, beendigte die Redaktion der Frankfurter Rezensionen und sprach meine Ansicht darüber in einer kurzen Abhandlung aus, die ich für Goethe bestimmte. Seiner Zurückkunft aus Marienbad sah ich mit Sehnsucht entgegen, indem auch der Druck meiner ›Beiträge zur Poesie‹ sich zu Ende neigte, und ich auf alle Fälle zu einiger Erfrischung noch diesen Herbst eine kurze Ausflucht von wenigen Wochen an den Rhein zu machen wünschte.


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