Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Sonntag, den 27. März 1831

Das heiterste Frühlingswetter ist nach langem Erwarten endlich eingetreten; am durchaus blauen Himmel schwebt nur hin und wieder ein weißes Wölkchen, und es ist warm genug, um wieder in Sommerkleidern zu gehen.

Goethe ließ in einem Pavillon am Garten decken, und so aßen wir denn heute wieder im Freien. Wir sprachen über die Großfürstin, wie sie im stillen überall hinwirke und Gutes tue und sich die Herzen aller Untertanen zu eigen mache.

»Die Großherzogin«, sagte Goethe, »hat so viel Geist und Güte als guten Willen; sie ist ein wahrer Segen für das Land. Und wie nun der Mensch überhaupt bald empfindet, woher ihm Gutes kommt, und wie er die Sonne verehrt und die übrigen wohltätigen Elemente, so wundert es mich auch nicht, daß alle Herzen sich ihr mit Liebe zuwenden und daß sie schnell erkannt wird, wie sie es verdient.«

Ich sagte, daß ich mit dem Prinzen ›Minna von Barnhelm‹ angefangen, und wie vortrefflich mir dieses Stück erscheine. »Man hat von Lessing behauptet,« sagte ich, »er sei ein kalter Verstandesmensch; ich finde aber in diesem Stück so viel Gemüt, liebenswürdige Natürlichkeit, Herz und freie Weltbildung eines heiteren frischen Lebemenschen, als man nur wünschen kann.«

»Sie mögen denken,« sagte Goethe, »wie das Stück auf uns jungen Leute wirkte, als es in jener dunkelen Zeit hervortrat! Es war wirklich ein glänzendes Meteor. Es machte uns aufmerksam, daß noch etwas Höheres existiere, als wovon die damalige schwache literarische Epoche einen Begriff hatte. Die beiden ersten Akte sind wirklich ein Meisterstück von Exposition, wovon man viel lernte und wovon man noch immer lernen kann.

Heutzutage will freilich niemand mehr etwas von Exposition wissen; die Wirkung, die man sonst im dritten Akt erwartete, will man jetzt schon in der ersten Szene haben, und man bedenkt nicht, daß es mit der Poesie wie mit dem Seefahren ist, wo man erst vom Ufer stoßen und erst auf einer gewissen Höhe sein muß, bevor man mit vollen Segeln gehen kann.«

Goethe ließ etwas trefflichen Rheinwein kommen, womit Frankfurter Freunde ihm zu seinem letzten Geburtstag ein Geschenk gemacht. Er erzählte mir dabei einige Anekdoten von Merck, der dem verstorbenen Großherzog nicht habe verzeihen können, daß er in der Ruhl bei Eisenach eines Tages einen mittelmäßigen Wein vortrefflich gefunden.

»Merck und ich«, fuhr Goethe fort, »waren immer miteinander wie Faust und Mephistopheles. So mokierte er sich über einen Brief meines Vaters aus Italien, worin dieser sich über die schlechte Lebensweise, das ungewohnte Essen, den schweren Wein und die Moskitos beklagt, und er konnte ihm nicht verzeihen, daß in dem herrlichen Lande und der prächtigen Umgebung ihn so kleine Dinge wie Essen, Trinken und Fliegen hätten inkommodieren können.

Alle solche Neckereien gingen bei Merck unstreitig aus dem Fundament einer hohen Kultur hervor; allein da er nicht produktiv war, sondern im Gegenteil eine entschieden negative Richtung hatte, so war er immer weniger zum Lobe bereit, als zum Tadel, und er suchte unwillkürlich alles hervor, um solchem Kitzel zu genügen.«

Wir sprachen über Vogel und seine administrativen Talente, sowie über Gille und dessen Persönlichkeit. »Gille«, sagte Goethe, »ist ein Mann für sich, den man mit keinem andern vergleichen kann. Er war der einzige, der mit mir gegen den Unfug der Preßfreiheit stimmte; er steht fest, man kann sich an ihm halten, er wird immer auf der Seite des Gesetzlichen sein.«

Wir gingen nach Tisch ein wenig im Garten auf und ab und hatten unsere Freude an den blühenden weißen Schneeglöckchen und gelben Krokus. Auch die Tulpen kamen hervor, und wir sprachen über die Pracht und Kostbarkeit der holländischen Gewächse solcher Art. »Ein großer Blumenmaler«, sagte Goethe, »ist gar nicht mehr denkbar; es wird jetzt zu große wissenschaftliche Wahrheit verlangt und der Botaniker zählt dem Künstler die Staubfäden nach, während er für malerische Gruppierung und Beleuchtung kein Auge hat.«


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