Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Dienstag, den 30. November 1830

Goethe setzte uns vorigen Freitag in nicht geringe Sorge, indem er in der Nacht von einem heftigen Blutsturz überfallen wurde und den ganzen Tag nicht weit vom Tode war. Er verlor, einen Aderlaß mit eingerechnet, sechs Pfund Blut, welches bei seinem achtzigjährigen Alter viel sagen will. Die große Geschicklichkeit seines Arztes, des Hofrats Vogel, verbunden mit seiner unvergleichlichen Natur, haben jedoch auch diesmal gesiegt, so daß er mit raschen Schritten seiner Genesung entgegengeht, schon wieder den besten Appetit zeigt und auch die ganze Nacht wieder schläft. Es darf niemand zu ihm, das Reden ist ihm verboten, doch sein ewig reger Geist kann nicht ruhen, er denkt schon wieder an seine Arbeiten. Diesen Morgen erhielt ich von ihm folgendes Billett, das er mit der Bleifeder im Bette geschrieben:

»Haben Sie die Güte, mein bester Doktor, beikommende schon bekannte Gedichte nochmals durchzugehen und die voranliegenden neuen einzuordnen, damit es sich zum Ganzen schicke. ›Faust‹ folgt hierauf!

W., d. 30. Nov. 1830

Ein frohes Wiedersehen!
Goethe.«

 

Nach Goethes rasch erfolgender völligen Genesung wendete er sein ganzes Interesse auf den vierten Akt des ›Faust‹, sowie auf die Vollendung des vierten Bandes von ›Wahrheit und Dichtung‹.

Mir empfahl er die Redaktion seiner kleinen bis dahin ungedruckten Schriften, desgleichen eine Durchsicht seiner Tagebücher und abgegangenen Briefe, damit es uns klar werden möchte, wie damit bei künftiger Herausgabe zu verfahren.

An eine Redaktion meiner Gespräche mit ihm war nicht mehr zu denken; auch hielt ich es für vernünftiger, anstatt mich mit dem bereits Geschriebenen zu befassen, den Vorrat ferner durch Neues zu vermehren, so lange ein gütiges Geschick geneigt sein wolle, es mir zu vergönnen.


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