Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Sonntag, den 31. Januar 1830*

Besuch bei Goethe in Begleitung des Prinzen. Er empfing uns in seinem Arbeitszimmer.

Wir sprachen über die verschiedenen Ausgaben seiner Werke, wobei es mir auffallend war, von ihm zu hören, daß er den größten Teil seiner Editionen selber nicht besitze. Auch die erste Ausgabe seines ›Römischen Karnevals‹, mit Kupfern nach eigenen Originalzeichnungen, besitze er nicht. Er habe, sagte er, in einer Auktion sechs Taler dafür geboten, ohne sie zu erhalten.

Er zeigte uns darauf das erste Manuskript seines ›Götz von Berlichingen‹, ganz in der ursprünglichen Gestalt, wie er es vor länger als funfzig Jahren auf Anregung seiner Schwester in wenigen Wochen geschrieben. Die schlanken Züge der Handschrift trugen schon ganz den freien klaren Charakter, wie ihn seine deutsche Schrift später immer behalten und auch noch jetzt hat. Das Manuskript war sehr reinlich, man las ganze Seiten ohne die geringste Korrektur, so daß man es eher für eine Kopie, als für einen ersten raschen Entwurf hätte halten sollen.

Seine frühesten Werke hat Goethe, wie er uns sagte, alle mit eigener Hand geschrieben, auch seinen ›Werther‹; doch ist das Manuskript verloren gegangen. In späterer Zeit dagegen hat er fast alles diktiert, und nur Gedichte und flüchtig notierte Pläne finden sich von seiner eigenen Hand. Sehr oft hat er nicht daran gedacht, von einem neuen Produkt eine Abschrift nehmen zu lassen; vielmehr hat er häufig die kostbarste Dichtung dem Zufall preisgegeben, indem er öfter als einmal das einzige Exemplar, das er besaß, nach Stuttgart in die Druckerei schickte.

Nachdem wir das Manuskript des ›Berlichingen‹ genugsam betrachtet, zeigte Goethe uns das Original seiner ›Italienischen Reise‹. In diesen täglich niedergeschriebenen Beobachtungen und Bemerkungen finden sich in bezug auf die Handschrift dieselbigen guten Eigenschaften wie bei seinem ›Götz‹. Alles ist entschieden, fest und sicher, nichts ist korrigiert, und man sieht, daß dem Schreibenden das Detail seiner augenblicklichen Notizen immer frisch und klar vor der Seele stand. Nichts ist veränderlich und wandelbar, ausgenommen das Papier, das in jeder Stadt, wo der Reisende sich aufhielt, in Format und Farbe stets ein anderes wurde.

Gegen das Ende dieses Manuskripts fand sich eine geistreich hingeworfene Federzeichnung von Goethe, nämlich die Abbildung eines italienischen Advokaten, wie er in seiner großen Amtskleidung vor Gericht eine Rede hält. Es war die merkwürdigste Figur, die man sich denken konnte, und sein Anzug so auffallend, daß man hätte glauben sollen, er habe ihn gewählt, um auf eine Maskerade zu gehen. Und doch war alles nur eine treue Darstellung nach dem wirklichen Leben. Den Zeigefinger auf die Spitze des Daumens und die übrigen Finger ausgestreckt haltend, stand der dicke Redner behaglich da, und diese wenige Bewegung paßte recht gut zu der großen Perücke, womit er sich behängt hatte.


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