Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Mittwoch, den 8. Oktober 1828

Tieck mit Gemahlin und Töchtern und Gräfin Finkenstein, von seiner Rheinreise zurückkommend, wurde heute bei Goethe zu Tisch erwartet. Ich traf in den Vorzimmern mit ihnen zusammen. Tieck sah sehr wohl aus, die Rheinbäder schienen eine gute Wirkung auf ihn gehabt zu haben. Ich erzählte ihm, daß ich in der Zwischenzeit den ersten Roman von Walter Scott gelesen, und welche Freude ich über dieses außerordentliche Talent empfunden. »Ich zweifle,« sagte Tieck, »daß dieser neueste Roman, den ich noch nicht kenne, das Beste sei, was Walter Scott geschrieben; allein dieser Schriftsteller ist so bedeutend, daß das erste, was man von ihm lieset, immer in Erstaunen setzet, man mag zu ihm gelangen, von welcher Seite man wolle.«

Professor Göttling trat herein, von seiner italienischen Reise ganz frisch zurückgekehrt. Ich hatte große Freude ihn wiederzusehen und zog ihn an ein Fenster, daß er mir erzählen möchte. »Nach Rom,« sagte er, »nach Rom müssen Sie, um etwas zu werden! Das ist eine Stadt! das ist ein Leben! das ist eine Welt! Alles, was in unserer Natur Kleines ist, kann in Deutschland nicht herausgebracht werden; aber sobald wir in Rom eintreten, geht eine Umwandlung mit uns vor, und wir fühlen uns groß wie die Umgebung.« – »Warum sind Sie nicht länger dort geblieben?« fragte ich. – »Geld und Urlaub«, entgegnete er, »waren zu Ende. Aber es ward mir wunderlich zumute, als ich das schöne Italien im Rücken, den Fuß wieder über die Alpen setzte.«

Goethe kam und begrüßte die Anwesenden. Er sprach verschiedenes mit Tieck und den Seinigen und bot sodann der Gräfin den Arm, um sie zu Tisch zu führen. Wir andern folgten und machten, indem wir uns setzten, bunte Reihe. Die Unterhaltung war lebhaft und ungeniert; von dem jedoch, was gesprochen worden, weiß ich mich wenig zu erinnern.

Nach aufgehobener Tafel ließen sich die Prinzen von Oldenburg melden. Wir gingen alle hinauf in die Zimmer der Frau von Goethe, wo Fräulein Agnes Tieck sich zum Flügel setzte und das schöne Lied ›Im Felde schleich ich still und wild‹ usw. mit einer trefflichen Altstimme so im Geiste der Situation vortrug, daß es einen Eindruck ganz eigener unvergeßlicher Art machte.


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