Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Donnerstag den 24. [Mittwoch, den 23.] März 1825

Bei Goethe zu Tisch. Der Verlust des Theaters bildete fast den ausschließlichen Gegenstand des Gesprächs. Frau von Goethe und Fräulein Ulrike lebten in Erinnerung glücklicher Stunden, die sie in dem alten Hause genossen. Sie hatten sich aus dem Schutt einige Reliquien gesucht, die sie für unschätzbar hielten; es war aber am Ende weiter nichts als einige Steine und angebrannte Stücke einer Tapete. Aber diese Stücke sollten gerade von der Stelle sein, wo sie auf dem Balkon ihre Plätze gehabt!

»Die Hauptsache ist,« sagte Goethe, »daß man sich schnell fasse und sich so schnell als möglich wieder einrichte. – Ich würde schon in nächster Woche wieder spielen lassen. Im Fürstenhause, oder im großen Saale des Stadthauses, gleichviel. Nur darf keine zu lange Pause eintreten, damit das Publikum für seine langweiligen Abende sich nicht erst andere Ressourcen suche.«

»Aber von Dekorationen ist ja so gut wie gar nichts gerettet!« bemerkte man.

»Es bedarf keiner vielen Dekorationen«, erwiderte Goethe. »Auch bedarf es keiner großen Stücke. Auch ist gar nicht nötig, daß man ein Ganzes gebe, noch weniger ein großes Ganze. Die Hauptsache ist, daß man Sachen wähle, bei denen kein großer Ortswechsel stattfindet. Irgendein einaktiges Lustspiel, oder eine einaktige Posse oder Operette. Dann irgendeine Arie, irgendein Duett, irgendein Finale einer beliebten Oper – und ihr werdet schon ganz passabel zufrieden sein. Es ist nur, daß der April leidlich vorübergehe, im Mai habt ihr schon die Sänger des Waldes.

Indessen«, fuhr Goethe fort, »werdet ihr das Schauspiel haben, im Laufe der Sommermonate ein neues Haus hervorsteigen zu sehen. Dieser Brand ist mir sehr merkwürdig. Ich will euch nur verraten, daß ich die langen Abendstunden des Winters mich mit Coudray beschäftigt habe, den Riß eines für Weimar passenden neuen sehr schönen Theaters zu machen. Wir hatten uns von einigen der vorzüglichsten deutschen Theater Grund- und Durchschnittsrisse kommen lassen, und indem wir daraus das Beste benutzten und das uns fehlerhaft Scheinende vermieden, haben wir einen Riß zustande gebracht, der sich wird können sehen lassen. Sobald der Großherzog ihn genehmigt, kann mit dem Bau begonnen werden, und es ist keine Kleinigkeit, daß dieses Unheil uns sehr merkwürdigerweise so durchaus vorbereitet findet.«

Wir begrüßten diese Nachricht Goethes mit großer Freude.

»In dem alten Hause«, fuhr Goethe fort, »war für den Adel gesorgt durch den Balkon, und für die dienende Klasse und jungen Handwerker durch die Galerie. Die große Zahl des wohlhabenden und vornehmen Mittelstandes aber war oft übel daran; denn wenn bei gewissen Stücken das Parterre durch die Studenten eingenommen war, so wußten jene nicht wohin. Die paar kleinen Logen hinter dem Parterre und die wenigen Bänke des Parkett waren nicht hinreichend. Jetzt haben wir besser gesorgt. Wir lassen eine ganze Reihe Logen um das Parterre laufen und bringen zwischen Balkon und Galerie noch eine Reihe Logen zweiten Ranges. Dadurch gewinnen wir sehr viel Platz, ohne das Haus sonderlich zu vergrößern.«

Wir freuten uns dieser Nachricht und lobten Goethe, daß er es so gut mit dem Theater und Publikum im Sinne habe.

Um auch meinerseits für das hübsche künftige Theater etwas zu tun, ging ich nach Tisch mit meinem Freunde Robert Doolan nach Oberweimar, wo wir in der dortigen Schenke bei einer Tasse Kaffee anfingen, nach der ›Issipile‹ des Metastasio einen Operntext zu bilden. Unser erstes war, vor allen Dingen den Komödienzettel zu schreiben und das Stück mit den beliebtesten Sängern und Sängerinnen des Weimarischen Theaters zu besetzen. Große Freude machte uns dies. Es war fast, als säßen wir schon wieder vor dem Orchester. Dann fingen wir wirklich in allem Ernste an und vollendeten einen großen Teil des ersten Aktes.


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