Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Sonntag, den 14. Februar 1830

Diesen Mittag auf meinem Wege zu Goethe, der mich zu Tisch eingeladen hatte, traf mich die Nachricht von dem soeben erfolgten Tode der Großherzogin-Mutter. Wie wird das bei seinem hohen Alter auf Goethe wirken! war mein erster Gedanke, und so betrat ich mit einiger Apprehension das Haus. Die Dienerschaft sagte mir, daß seine Schwiegertochter soeben zu ihm gegangen sei, um ihm die betrübende Botschaft mitzuteilen. Seit länger als funfzig Jahren, sagte ich mir, ist er dieser Fürstin verbunden gewesen, er hat ihrer besonderen Huld und Gnade sich zu erfreuen gehabt, ihr Tod muß ihn tief berühren. Mit solchen Gedanken trat ich zu ihm ins Zimmer; allein ich war nicht wenig überrascht, ihn vollkommen heiter und kräftig mit seiner Schwiegertochter und seinen Enkeln am Tisch sitzen und seine Suppe essen zu sehen, als ob eben nichts passiert wäre. Wir sprachen ganz heiter fort über gleichgültige Dinge. Nun fingen alle Glocken der Stadt an zu läuten; Frau von Goethe blickte mich an, und wir redeten lauter, damit die Töne der Todesglocken sein Inneres nicht berühren und erschüttern möchten denn wir dachten, er empfände wie wir. Er empfand aber nicht wie wir, es stand in seinem Innern gänzlich anders. Er saß vor uns, gleich einem Wesen höherer Art, von irdischen Leiden unberührbar. Hofrat Vogel ließ sich melden; er setzte sich zu uns und erzählte die einzelnen Umstände von dem Hinscheiden der hohen Verewigten, welches Goethe in seiner bisherigen vollkommensten Ruhe und Fassung aufnahm. Vogel ging wieder, und wir setzten unser Mittagessen und Gespräche fort. Auch vom ›Chaos‹ war viel die Rede, und Goethe pries die ›Betrachtungen über das Spiel‹ in der letzten Nummer als ganz vorzüglich. Als Frau von Goethe mit ihren Söhnen hinaufgegangen war, blieb ich mit Goethe allein. Er erzählte mir von seiner ›Klassischen Walpurgisnacht‹ daß er damit jeden Tag weiter komme und daß ihm wunderbare Dinge über die Erwartung gelängen. Dann zeigte er mir einen Brief des Königs von Bayern, den er heute erhalten und den ich mit großem Interesse las. Die edle treue Gesinnung des Königs sprach sich in jeder Zeile aus, und Goethen schien es besonders wohl zu tun, daß der König gegen ihn sich fortwährend so gleich bleibe. Hofrat Soret ließ sich melden und setzte sich zu uns. Er kam mit beruhigenden Trostesworten der kaiserlichen Hoheit an Goethe, die dazu beitrugen, dessen heiter gefaßte Stimmung noch zu erhöhen. Goethe setzt seine Gespräche fort; er erwähnt die berühmte Ninon de Lenclos, die in ihrem sechzehnten Jahre bei großer Schönheit dem Tode nahe gewesen und die Umstehenden in völliger Fassung mit den Worten getröstet habe: ›Was ists denn weiter? Lasse ich doch lauter Sterbliche zurück!‹ Übrigens habe sie fortgelebt und sei neunzig Jahr alt geworden, nachdem sie bis in ihr achtzigstes Hunderte von Liebhabern beglückt und zur Verzweiflung gebracht.

Goethe spricht darauf über Gozzi und dessen Theater zu Venedig, wobei die improvisierenden Schauspieler bloß die Sujets erhielten. Gozzi habe die Meinung gehabt, es gebe nur sechsunddreißig tragische Situationen; Schiller habe geglaubt, es gebe mehr, allein es sei ihm nicht einmal gelungen, nur so viele zu finden.

Sodann manches Interessante über Grimm, dessen Geist und Charakter und sehr geringes Vertrauen zum Papiergelde.


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