Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Montag, den 2. Juni 1823*

Der Kanzler, Riemer und Meyer waren bei Goethe. Man sprach über die Gedichte von Béranger, und Goethe kommentierte und paraphrasierte einige derselben mit großer Originalität und guter Laune.

Sodann war von Physik und Meteorologie die Rede. Goethe ist im Begriff, die Theorie einer Witterungslehre auszuarbeiten, wobei er das Steigen und Fallen des Barometers gänzlich den Wirkungen des Erdballes und dessen Anziehung und Entlassung der Atmosphäre zuschreiben wird.

»Die Herren Gelehrten und namentlich die Herren Mathematiker«, fuhr Goethe fort, »werden nicht verfehlen, meine Ideen durchaus lächerlich zu finden; oder auch, sie werden noch besser tun, sie werden sie vornehmerweise völlig ignorieren. Wissen Sie aber warum? Weil sie sagen, ich sei kein Mann vom Fache.«

»Der Kastengeist der Gelehrten«, erwiderte ich, »wäre wohl zu verzeihen. Wenn sich in ihre Theorien einige Irrtümer eingeschlichen haben und darin fortgeschleppt werden, so muß man die Ursache darin suchen, daß sie dergleichen zu einer Zeit als Dogmen überliefert bekommen haben, wo sie selber noch auf den Schulbänken saßen.«

»Das ists eben!« rief Goethe. »Eure Gelehrten machen es wie unsere weimarischen Buchbinder. Das Meisterstück, das man von ihnen verlangt, um in die Gilde aufgenommen zu werden, ist keineswegs ein hübscher Einband nach dem neuesten Geschmack. Nein, weit entfernt! Es muß noch immer eine dicke Bibel in Folio geliefert werden, ganz wie sie vor zwei bis drei Jahrhunderten Mode war, mit plumpen Deckeln und in starkem Leder. Die Aufgabe ist eine Absurdität. Aber es würde dem armen Handwerker schlecht gehen, wenn er behaupten wollte, seine Examinatoren wären dumme Leute.«


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