Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Dienstag, den 14. Oktober 1823

Diesen Abend war ich bei Goethe das erste Mal zu einem großen Tee. Ich war der erste am Platz und freute mich über die hellerleuchteten Zimmer, die bei offenen Türen eins ins andere führten. In einem der letzten fand ich Goethe, der mir sehr heiter entgegenkam. Er trug auf schwarzem Anzug seinen Stern, welches ihn so wohl kleidete. Wir waren noch eine Weile allein und gingen in das sogenannte Deckenzimmer, wo das über einem roten Kanapee hängende Gemälde der Aldobrandinischen Hochzeit mich besonders anzog. Das Bild war, bei zur Seite geschobenen grünen Vorhängen, in voller Beleuchtung mir vor Augen, und ich freute mich, es in Ruhe zu betrachten.

»Ja,« sagte Goethe, »die Alten hatten nicht allein große Intentionen, sondern es kam bei ihnen auch zur Erscheinung. Dagegen haben wir Neueren auch wohl große Intentionen, allein wir sind selten fähig, es so kräftig und lebensfrisch hervorzubringen, als wir es uns dachten.«

Nun kam auch Riemer und Meyer, auch der Kanzler von Müller und mehrere andere angesehene Herren und Damen von Hofe. Auch Goethes Sohn trat herein und Frau von Goethe, deren Bekanntschaft ich hier zuerst machte. Die Zimmer füllten sich nach und nach, und es ward in allen sehr munter und lebendig. Auch einige hübsche junge Ausländer waren gegenwärtig, mit denen Goethe französisch sprach.

Die Gesellschaft gefiel mir, es war alles so frei und ungezwungen, man stand, man saß, man scherzte, man lachte und sprach mit diesem und jenem, alles nach freier Neigung. Ich sprach mit dem jungen Goethe sehr lebendig über das ›Bild‹ von Houwald, welches vor einigen Tagen gegeben worden. Wir waren über das Stück einer Meinung, und ich freute mich, wie der junge Goethe die Verhältnisse mit so vielem Geist und Feuer auseinander zu setzen wußte.

Goethe selbst erschien in der Gesellschaft sehr liebenswürdig. Er ging bald zu diesem und zu jenem und schien immer lieber zu hören und seine Gäste reden zu lassen, als selber viel zu reden. Frau von Goethe kam oft und hängte und schmiegte sich an ihn und küßte ihn. Ich hatte ihm vor kurzem gesagt, daß mir das Theater so große Freude mache und daß es mich sehr aufheitere, indem ich mich bloß dem Eindruck der Stücke hingebe, ohne darüber viel zu denken. Dies schien ihm recht und für meinen gegenwärtigen Zustand passend zu sein.

Er trat mit Frau von Goethe zu mir heran. »Das ist meine Schwiegertochter,« sagte er; »kennt ihr beiden euch schon?« Wir sagten ihm, daß wir soeben unsere Bekanntschaft gemacht. »Das ist auch so ein Theaterkind wie du, Ottilie«, sagte er dann, und wir freuten uns miteinander über unsere beiderseitige Neigung. »Meine Tochter«, fügte er hinzu, »versäumt keinen Abend.« – »Solange gute heitere Stücke gegeben werden,« erwiderte ich, »lasse ich es gelten, allein bei schlechten Stücken muß man auch etwas aushalten.« – »Das ist eben recht,«erwiderte Goethe, »daß man nicht fort kann und gezwungen ist auch das Schlechte zu hören und zu sehen. Da wird man recht von Haß gegen das Schlechte durchdrungen und kommt dadurch zu einer desto besseren Einsicht des Guten. Beim Lesen ist das nicht so, da wirft man das Buch aus den Händen, wenn es einem nicht gefällt, aber im Theater muß man aushalten.« Ich gab ihm recht und dachte, der Alte sagt auch gelegentlich immer etwas Gutes.

Wir trennten uns und mischten uns unter die übrigen, die sich um uns herum und in diesem und jenem Zimmer laut und lustig unterhielten. Goethe begab sich zu den Damen; ich gesellte mich zu Riemer und Meyer, die uns viel von Italien erzählten.

Regierungsrat Schmidt setzte sich später zum Flügel und trug Beethovensche Sachen vor, welche die Anwesenden mit innigem Anteil aufzunehmen schienen. Eine geistreiche Dame erzählte darauf viel Interessantes von Beethovens Persönlichkeit. Und so ward es nach und nach zehn Uhr, und es war mir der Abend im hohen Grade angenehm vergangen.


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