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Das Schilderhaus am Rhein

Ein französisches Kriegsgericht hat ein dummes, herausforderndes Urteil gefällt. Ein Urteil, das nur ungenügend qualifiziert wird, wenn man es einen nationalistischen Tendenzakt nennt. Gegen Angehörige einer andern Nation hätten die Herren Offiziersrichter zur Not noch eine Degenspitze Objektivität aufgebracht. Aber Die neben Rouzier auf der Anklagebank saßen, waren nicht nur Deutsche, sondern, schlimmer noch, Wesen von einem andern Planeten, nämlich: Zivilisten. Man kann in solchem Fall nicht von den Militärs eine Entscheidung contre cour erwarten.

Die französische Regierung hat anerkennenswert schnell den Schaden zu reparieren versucht: sie hat die Verurteilten in Freiheit gesetzt. General Guillaumat, den die Pariser Linksblätter für den Spruch verantwortlich machen, hat selbst die Begnadigung befürwortet. Auf höhere Weisung? Was amtlich zu tun war, ist geschehn.

Die Herren des Kabinetts Poincaré sind durchaus nicht lauter exemplarische Demokraten und Pazifisten. Aber sie wissen, daß die Verständigung mit Deutschland ein Hauptstück ihres Programms bildet. Sie selbst werden über das Urteil von Landau am heftigsten erschrocken gewesen sein, denn sie mußten darin mit Recht eine ernste Störung ihrer Politik erblicken. Man darf ihnen zutraun, daß sie sich nicht anders verhalten hätten, auch wenn der deutsche Proteststurm weniger präzis ausgebrochen wäre. Denn politisches Interesse begegnet sich hier mit dem guten demokratischen Instinkt der französischen Linken, die aus eigner Erfahrung weiß, was Urteile der Militärjustiz bedeuten.

Aber der Proteststurm? Die selbstverständliche Empörung darf nicht eine kritische Betrachtung der geräuschvollsten Entrüster hindern. Dabei soll der Fortschritt gegen früher nicht verkannt und gern zugegeben werden, daß sich dies Mal wenigstens der größre Teil der Linkspresse schneller als sonst der Entrüstungs-Regie entzogen und Wert darauf gelegt hat, sich in der Tonart von der ›Deutschen Tageszeitung‹ zu unterscheiden. Daß Hugenberg sofort seine tarnopolitanische Musterbrigade ins Treffen führte und diese Braven so unerhört drauflos logen, als gelte es, nicht einen kleinen Dreitage-Konflikt, sondern gleich einen richtigen Weltkrieg zu arrangieren, braucht nicht zu verwundern. Bemerkenswerter ist schon die durchschnittliche mittelparteiliche Presse, die seit Locarno auf höhern Befehl im Europäerviertel logiert und sich jetzt mit unbändigem Appetit auf den lang entbehrten Stoff wirft, wie ein beklagenswerter Zwangsvegetarier, dem der Arzt für den Sonntag Roastbeef gestattet. Wann hätte man sich bei uns jemals so intensiv über militaristische Exzesse aufgeregt? Viel Firnis ist in diesen Tagen abgefallen, und aus vielen heiligen Verwahrungen keift der ganz profane Neid. Daß wir Das nicht mehr haben, nicht mehr dürfen! Daß sich unsre Rouziers seit 1918 nur noch innerhalb der Grenzen ausleben dürfen. Hans Paasche und die Gemeuchelten der Revolution legen Zeugnis ab von deren Tatendrang. Und von dem Fehlen einer Instanz, die, wenn sie schon das Verbrechen nicht zu sühnen vermag, doch wenigstens, wie die französische Regierung, die Ehre des Landes zu retten trachtet.

Übrigens wird gegen die Okkupation selbst noch eifervoller demonstriert als gegen die Herren Militärrichter. Ein reichlich unkluges Beginnen, auch wenn es sich etwa um eine Parole aus der Wilhelm-Straße handeln sollte. Denn die Besetzung ist kein Sturmobjekt mehr: sie trägt ein hippokratisches Gesicht, wird vielleicht bald ohne großes Aufsehn verlöschen, und diese mehr breite als starke Attacke ist eher geeignet, die Tatenlust der entgegenstrebenden französischen Kräfte nochmals aufzustacheln als die natürliche Entwicklung zu beschleunigen. Das müßten grade die realpolitischen Spitzentänzer der verpflichteten und freiwilligen Stresemannschaft spüren, die sich sonst so viel Mühe geben, den Ungläubigen Respekt vor den dreimal geheiligten Imponderabilien beizubringen. Es ist nun einmal eine tragische Sache um Deutsche und Franzosen. Diese beiden Völker, in Vielem so gründlich konträr, teilen in der Politik den gleichen romantischen Irrtum, die überlieferten Ausdrucksformen der Macht für die Macht selbst zu halten. Weil ein Schilderhaus am Rhein steht, mit einem horizontblau angestrichnen Proletarier davor, der die Aufgabe hat, andersfarbenen Proletariern zu imponieren, deshalb glauben die Franzosen Garantien für alle Zukunft in der Tasche zu haben, Garantien gegen Rüstungen, Garantien für die Aufrechterhaltung des Weltbildes von Versailles, – aus dem gleichen Grunde aber bilden die Deutschen sich ein, wirklich und wahrhaftig unterdrückt zu sein.

Romantik. Das Schilderhaus am Rhein hat Deutschland nicht gehindert, wieder in die Reihe der Großstaaten einzurücken, hat Frankreich nicht vor Verlusten an Gütern und Prestige bewahren können. Was auch die Zukunft bringen mag, in den Kasernen und Arsenalen residiert die Macht nicht mehr. Ironie des Zufalls will, daß grade dort am Rhein, wo die Franzosen exerzieren, jene modernen Industrie-Imperien beginnen, die das Fatum unsrer Zeit verkörpern, und sich so hoch über die Institutionen der welkenden Nationalstaaten erheben, wie die Feueressen ihrer Werke über die Wachtstuben und Kasematten zwergenhaft gewordener Autoritäten.

Die Entwicklung ist an den Garnisonen vorbei geeilt, ohne den Herren Generalen die vorschriftsmäßige Ehrenbezeugung zu erweisen. Das zu verstehen, wäre für Deutsche wie Franzosen gleich nützlich. Seit dem Dawes-Pakt ist Deutschland in ein weltumspannendes kapitalistisches System fest eingefügt, das sich nicht um Grenzen, nicht um altverbriefte Herrschaftsansprüche bekümmert. Wenn die Franzosen einmal abgezogen sind, sollte man die blau-weiß-roten Schilderhäuschen stehen lassen. Als Museumsstücke zur Erbauung der Enkel. Als Attrappen und leere Hülsen versunkener Gewalt. Sie sind es heute schon.

Die Weltbühne, 28. Dezember 1926


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