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Walter Mehrings »Trollatische Geschichten«

Ernst Rowohlts Balzac-Kollektion – die handliche Schmiegsamkeit dieser kleinen, zum Bersten vollen Bändchen bezeichnet nach der sybaritischen Opulenz des »schönen Buches« die Wiederkehr des liebenswürdigen Buches – ist seit kurzem erweitert durch die zwei Bände der »Contes drôlatiques«. Sie treten diesmal vor den Leser als »Trollatische Geschichten«. Walter Mehring stellt sich als »Eynteutscher« vor.

Balzac und Mehring, wie mögen sie sich eigentlich gefunden haben, der Tourainer mit der feisten Gestalt des Silen und der naiven und unbeugsamen Seele des Herkules und der kleine, schmalschultrige Berliner, der um alle Geheimnisse des Großstadtpflasters weiß und dessen Verse so böse schrillen können wie Gassenjungenpfiffe? Mag die Literaturgeschichte die Frage ins Reservefach kommender Dissertationen legen, uns genügt es festzustellen, daß die Vereinigung unter glücklichen Zeichen erfolgte, daß der Himmel dazu lächelte und auch die Hölle auf ihre Kosten kommt.

Vor aller anderen Würdigung zunächst eines: hier wurde eine kolossale Arbeitsleistung vollbracht. Hier ist mehr als ein großartiger Anlauf, hier hat Einer von A bis Z durchgehalten, gearbeitet und wieder gearbeitet, bis er dem Andern als Gleicher gegenüberstand, bis er mit freier Maëstria das Band des Wortlautes abstreifend zum Sinn vorstoßen konnte.

Balzacs »Contes drôlatiques« gehören zu den wenigen Dokumenten französischer Romantik von 1830, die heute noch leben. Hugo ist uns nicht viel mehr als ein lärmender Ausverkauf von Motiven und Stilen, Gautiers bunte Maskenwelt hat den aus Parfüm und Mottenpulver gemischten fatalen Duft einer alten Theatergarderobe, ganz zu schweigen von Lamartines rollenden Deklamationen, von Dumas' unbedenklichen Verkleidungsscherzen. Zwei, drei Jahrzehnte war Walter Scott europäische Mode. Man wandte den Blick zurück, durchschnüffelte die vergessensten Winkel der Geschichte nach »Stoffen«. Nichts ist geblieben von dieser geschriebenen Historienmalerei. Balzacs dreißig Geschichten aus der französischen Renaissance haben sich erhalten wie sehr edles Schnitz- oder Schmiedewerk in einem grämlichen Kramladen.

Denn Balzac versuchte nicht mit dialektischen Kniffen den Geist vergangener Tage zu rekonstruieren. Er kam auch nicht in die Versuchung, in Kostüme, nach alten Vorlagen geschneidert, die Pariser von 1830 zu stecken, so wie Scott seine Engländer Ludwig XI. oder Leicester taufte. Balzac hielt sich nicht an den trügerischen, unter den Fingern des Experimentators verdunstenden Geist, sondern an den immer wiederkehrenden Leib. So packte er das Säkulum der pompösen Beilager, der unerhörten Freß- und Sauforgien in seiner Körperfülle. Und da er selbst ein guter Sohn der üppigen Touraine war, so umschwebten seinen Schreibtisch nicht die magern Schatten des Historismus. Nein, der große Rabelais selbst wird wieder Fleisch und Bein, rotnasig, breitmäulig, mit bekleckerter, branntweinduftender Kutte pflanzt er sich neben dem Autor hin und erzählt bocksbärtig feixend die Schnurren vom Bruder Amador im Raubritternest, von der Grundsteinlegung des Schlosses Azay und, ernster werdend, den gräßlichen Hexenprozeß, denn er war nicht nur der Possenreißer, sondern auch der Freigeist des Jahrhunderts. Und wie er eine Pause macht und die dicke Nase schneuzt, tritt in weitem Reifrock, mit steifer spanischer Halskrause gar züchtig die Königin von Navarra ein, nimmt zur anderen Seite des Autors Platz und beginnt mit einem mißbilligenden Blick auf den Herrn Pfarrer von Meudon die Geschichten von glühenden Frauen, die furchtbar büßen um eine Stunde des Vergessens, von guten Eheweibern, die lieber ins ewige Dunkel sinken als ihren Leib Unholden preisgeben, und von kecken Mädchen, die eben noch ehrbar zum Ziel kommen. Sie erzählt diese traurigen und heiteren Geschichten wie eine Dame der großen Welt, wie eine Dame, die weiß, was sich schickt (aber auch, was eine Harke ist). Sie streichelt mit feinen, schmalen Fingern wehmütig den Glanz der starren Seidenrobe, ihr Blick ruht freundlich auf dem korpulenten Herrn am Schreibtisch, dessen Phantasie sie diese Stunde auf der alten Erde verdankt, und schnell huscht der brokatene Schuh unter den steifen Rocksaum zurück, wenn sich die Pupille des Herrn Pfarrers allzu lästerlich weitet. Zwischen dem vagabundierenden Kleriker und der königlichen Prinzessin dieses Weltkind des neunzehnten Jahrhunderts, das die ersten Gaslaternen und Eisenbahnen und Daguerreotypien erlebt, das nun dasitzt, schreibend wie im Fieber, Tag und Nacht, bildend aus der Vision. So wurden die drei Zehent dieser Geschichten voll Lachen, Wollust und Qual; ein Besessener mußte sich von fremdem, eingesogenem Seelengut lösen.

Das nun in eine fremde Sprache zu gießen, es ist ein cyklopisches Unterfangen. Wer weiß, wie lange Walter Mehring getastet und versucht hat, schließlich muß er die Magie des Meisters erkannt haben. Und da folgt er ihm einfach. Er begnügt sich nicht mit billig archaisierendem Aufputz. Er beginnt wie Balzac mit einer Geisterbeschwörung. Er spricht die Beschwörungsformel in der vergessenen Sprache Fischarts und Murners, und er wiederholt sie immer dringlicher, immer klangvoller, bis schließlich die Geister der Citation folgen und in längst verstummten Zungen antworten. Nach fast vierzig Dezennien erprobt sich die alte Freundschaft zwischen Fischart und Rabelais neu. Endlich wird auch der fleißige Schüler völlig frei: er redet wie des Arno Holz berühmbter Schäffer Dafnis Sprachen, die nie gesprochen wurden, nie gesprochen werden. Er paraphrasiert in köstlicher Ungebundenheit, er findet für jede heitere und triste Nuance die eigene, die charakteristische Farbe, es entsteht zuweilen ein unglaublich charmantes Kauderwelsch, ein Abrakadabra zum Verlieben (das hoffentlich ein paar amtlich geeichte Germanisten zum Platzen bringt), und zum Schluß, als Krönung, fährt die linguistische Raserei selbst in den Verleger, wie denn Titelblatt vermeldet:

Verlegt unnd in Trukk geben durch
Ernnst Rowohlt zu Berlin und Mömpelgard
                            anno 1924.

(Viel Spaß an Ihrer neuen Filiale, Herr Rowohlt!)

 

Es sollte hier nicht Textkrittelei betrieben werden. Es sollte hier nur verwiesen werden auf eine Quelle unversiegbarer Lust. Die Ehrlichkeit gebietet einzugestehen, daß in mindestens einem Drittel der Geschichten das Schwein absolut guberniert. Was macht es? Über diesem Schwein blaut der Himmel Arkadiens. Und es bleibt immer wieder zu preisen die gigantische Arbeitsleistung des »Eynteutschers«, der plötzlich mit einem verwegenen Sprung aus dem Ressort »Chanson« geflitzt – – mitten in die Weltliteratur hinein.

Das Tage-Buch, 4. April 1925


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