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Eröffnung des Kommunisten-Kongresses
Die K.P.D. vor der taktischen Schwenkung

Berlin, 12. Juli Vor dem Landtagsgebäude tummeln sich Jungen in weißer russischer Tunika mit roten Aufschlägen. Auf der Freitreppe steht ein halbwüchsiger Schillerkragen; er scheint als Kommandeur des friedlich spielenden Jungsturms zu fungieren.

In den Wandelgängen Ausstellung revolutionärer Plakate. In allen Sprachen. Flammende Proklamationen an »Arbeiter, Soldaten und Bauern«; grelle Fratzen, diabolische Verzerrungen: die bürgerliche Gesellschaft und ihre Sachwalter. (Der George Grosz-Stil wird international.)

Der Plenarsaal füllt sich langsam. Der Raum ist den Zwecken des Tages entsprechend dekoriert. Über dem Präsidentenplatz ein transparentes Leninbild, die Rednertribüne von zwei Büsten, Marx und Engels, flankiert; bärtige Kirchenväter, Orthodoxe, frei von Zweifeln, seltsame Gäste auf diesem Konzil ihrer schon längst kritisch gewordenen Jünger. An den Wänden rote, golddurchwirkte Banner; Tribüne und Emporen mit rotem Tuch drapiert. Man glaubt gar nicht, daß es so viel Rot in Deutschland gibt ...

Unter den Delegierten fallen zahlreiche fremdländische Typen auf. Besonders Ostasien scheint gut vertreten zu sein. Man sieht zahlreiche Chinesen.

Und das ist kein Wunder, seitdem Herr Sinowjew die in Mitteleuropa versackende Weltrevolution nach dem fernen Osten strafversetzt hat. Ob die gelben Genossen hier in diesem Konvent viel Revolution lernen werden? Die Mehrheit der deutschen Delegierten besteht aus jenem etwas trocken behäbigen Funktionärstyp, den man auf allen Gewerkschaftskongressen sehen kann. Hier im Saal verschwinden die Russenkittel in der Menge bourgeoiser Sakkos und Cuts. Die Stimmung ist gedämpft, wenn nicht gedrückt. Die K.P.D. ist trotz der lauten Sprache ihrer Presse und Propagandisten eine Partei auf dem Abstieg. Diese Versammlung wird wohl in vielfacher Hinsicht entscheidend sein. Die bisherige »revolutionäre« Taktik hat Bankerott gemacht. Wie und wo bietet sich nun die Möglichkeit einer neuen Taktik, ohne den Bankerott weiterzutreiben? Nur zu deutlich ist auf den indifferenten Gesichtern der Delegierten zu lesen, daß in den öffentlichen Verhandlungen nicht das Schwergewicht der Tagung ruht. Die Entscheidung wird hinter verschlossenen Türen fallen, in Kommissionen, vielleicht Konventikeln. Geschäftig eilt Frau Ruth Fischer von einer Gruppe zur andern.

Nirgends schwingt eine Erregung mit. Herr Thälmann eröffnet mit einer trockenen Allerweltsansprache. Er spricht ohne Salz und Pfeffer, sogar ohne stimmlichen Aufwand. Er spricht über alles. Über Deutschland, Rußland, Dawesplan, Stabilisierung, passive Handelsbilanz, Zankoff und Abd el Krim. Die Trostlosigkeit des Vortrags, das knarrende Organ verleitet, wenn man einen Moment die Augen schließt, zu der Vorstellung, es wäre nicht Herr Thälmann, der hier spricht, von den Affichen der Präsidentschaftskampagne als der revolutionäre Musterarbeiter bekannt, sondern Herr Stegerwald, der Erfinder der Volksgemeinschaft und der Sonntagsangelegenheit.

Dann übernimmt Herr Geschke den Vorsitz und verliest die obligaten Begrüßungstelegramme. Plötzlich kommt Leben in den verschlafenen Sonntagmittag-Konvent, als der Vorsitzende dem Vertreter der Executive das Wort erteilt.

Auf der Tribüne, zwischen Marx und Engels, steht der Parolenträger Moskaus. Der Namenlose, der Sprecher eines Bundes Namenloser, an deren Drähten immerhin heute etliche Millionenvölker zappeln. Ein schönes, gebräuntes Männerantlitz mit Augen von Feuer und Intelligenz blitzend.

Die Delegierten haben sich erhoben und singen stehend die Internationale.

Dann beginnt der Redner in klingendem Französisch ein Anathema der Sozialdemokratie aller Länder.

Wieder legt sich die große Langeweile auf die Geister. Was kommt es hier auf das öffentlich Gesprochene an?

Der alte Kampfchoral der proletarischen Revolution ist verhallt. Auf diesem Kongreß wird nur vor den Kulissen gesungen ...

Montag Morgen, 13. Juli 1925


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