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Leo Perutz

Ein Romancier, der es wagt, in einer Soldatengeschichte aus der Zeit Napoleons in einem spanischen Städtchen den ewigen Juden auftreten zu lassen, muß über die Fähigkeit verfügen, ungewöhnliche Elemente der Spannung zu entwickeln, soll es ihm gelingen, die Opposition des Lesers niederzukämpfen. Leo Perutz gelingt es. Er ist ein Dichter mit der Fähigkeit, ungewöhnlich fesselnde Romane zu schreiben. Ich betone: ein Dichter.

Er bekennt sich kouragiert zur Kraft der Phantasie und einer gediegenen epischen Technik. Er steht trotz gewissen Erfolgen ein wenig im Schatten. Seine Bücher »Das Mangobaumwunder« (zusammen mit Paul Frank), »Zwischen neun und neun«, »Die dritte Kugel«, der »Marques de Bolibar«, »Der Meister des jüngsten Tages«, »Turlupin« und »Die Geburt des Antichrist« (bis auf letzteres sämtlich bei Albert Langen erschienen) sind bei einem ansehnlichen Anfangserfolg alle nicht ganz durchgedrungen. Denn der Deutsche holt spannende Bücher vornehmlich aus dem Ausland. Der Deutsche erwartet von vornherein nicht von seinen Autoren, daß sie Dichter sein und zugleich unterhaltsam schreiben können. Der typische deutsche Roman ist entweder der 800seitige Entwicklungsroman mit seiner episch verkleideten Lyrik oder der die Handlung bagatellisierende psychologische Roman. In dem Wiener Perutz steckt unendlich viel ungebrochene Erzählerfreude. Er kennt noch die naive Lust am Ersinnen einer Fabel, an der kunstreichen Verwirrung und Lösung der Fäden, am effektvollen Intermezzo, an der sorgfältig vorbereiteten großen Szene. Er beherrscht die Mechanik der Spannung in hohem Maße. Er kennt den geheimen Wunsch des Lesers, von einer spielend sichern Hand durch ein Labyrinth geführt zu werden. Er weiß um die Sehnsucht nach dem nächsten Kapitel, wenn schließlich spät in der Nacht das Buch doch einmal zugeklappt werden muß. Er holt sich seine Themen aus dem Unwahrscheinlichen, aus jenem Grenzbezirk, in dem die stärkste Phantasieleistung so nahe neben der billigsten Wirkungshascherei wohnt. (Hier waren Balzac und Dostojewskij gern zu Gast, aber Eugène Sue und Karl May zu Hause): Der schwachsinnige Knabe Turlupin greift in das Rad der Geschichte und entscheidet für mehr als ein Säkulum Frankreichs Schicksal. Der rheinische Condottiere Grumbach, der Held der »Dritten Kugel«, landet vor Cortez in Mexico und kämpft mit Montezuma gegen die Spanier. Oder er schildert im »Marques de Bolibar«, wie ein hessisches Regiment Napoleons spanischen Freischärlern zum Opfer fällt; die Truppe wird von ihrem eigenen Offizierkorps in frenetischer Verblendung ins Verderben gejagt. In »Zwischen neun und neun« muß ein junger, bei einem Diebstahl ertappter Student, der Polizei entflohen, für einen Tag seiner Umgebung die Handschellen verbergen, und ein Sprung in die Tiefe endet seine Qualen. Das ist erzählt mit der Vehemenz und drückenden Schwere eines Fiebertraumes. Im »Meister des jüngsten Tages« geht es um Verlauf und Ende einer Selbstmord-Epidemie. In einem alten Schmöker steckt ein Rezept für einen narkotischen Rausch, der eine Vision des jüngsten Gerichtes herbeiführt; aber dies Rezept enthält eine höllische Falle: es gibt keinen Rückweg mehr, das wunderbare Gesicht führt in Wahnsinn und Tod.

Aber nicht die Fabel, erst die Ausführung zeigt Perutz in seiner vollen künstlerischen Atemkraft. Je romantischer die Handlung sich verwickelt, desto prächtiger leuchten seine Farben. Je raffinierter die Situation wird, desto lebendiger werden die Figuren. Das Konstruktive verschwindet hinter den Charakteren, die lenkende Hand wird unsichtbar, der Mensch steht voran. Die Technik, in den Expositionen oft spürbar, ist überwunden. Das Dichterische hat gesiegt.

Ist dieser Punkt erreicht, dann blüht seine Sprache unerhört auf. Dann kommen kleine, entzückend aquarellierte Episoden, wie die Erzählung des Sergeanten Thiele im »Marques de Bolibar«:

»›Die Nachtpickete‹, berichtete mir Thiele im Gehen, ›haben schon ein Scharmützel gehabt. Drei gefangene Guerillas haben sie mit ihrem Rapport in die Stadt vorausgeschickt. Die drei sahen aus, als kämen sie geradewegs aus Noahs Arche. Wie kommt es nur, daß alle diese Guerillas die Gesichter von Affen, Mauleseln oder Ziegenböcken haben ...‹ ›Wahrscheinlich kommt es daher‹, meinte er, ›weil sie am liebsten Maiskörner und Eichelmus fressen. Dinge, mit denen man bei uns daheim das Vieh füttert. Jetzt sind sie ruhig, aber vor einer Stunde hätten Sie sie jämmerlich plärren hören können. Sie standen im Kreise um ihre Offiziere und sangen ihr Morgengebet, ich mein', es war ein Hymnus an den Teufel Behemot, der der Schutzpatron allen Unflats und des viehischen Fraßes ist.‹«

So kann Perutz schreiben. Wenn ein Romancier von so viel gestaltender Phantasie und kultivierter Stilkunst Engländer wäre und seine Bücher bei Tauchnitz herauskämen, in Hunderttausenden von Exemplaren wären sie über den ganzen Erdball verbreitet.

Das Tage-Buch, 31. Oktober 1925


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