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Unsere Polizei

Am vergangenen Sonntag wurde ein einzelner Passant auf dem Kurfürstendamm, weil er ein Abzeichen in den Reichsfarben trug, von zwei Dutzend völkischer Rowdies überfallen und mißhandelt. Er machte in der Abwehr von der Waffe Gebrauch und tötete einen der Angreifer.

An jedem der darauffolgenden Tage der Woche gab es irgend einen Hakenkreuzler-Tumult. Die Polizei stand untätig. Die Raufbolde fühlen sich favorisiert. Einem in der Hardenbergstraße Mißhandelten rief ein Polizeioffizier zu, daß er noch lange nicht genug bekommen habe. Am Verfassungstag selbst wurden am Potsdamer und Anhalter Bahnhof, in Berlins belebtester Gegend also, Fahnen der Republik heruntergeholt und zerfetzt. Die Täter entwichen ...

Dann kam der Erlaß des Polizeipräsidenten. Zunächst vorübergehende Besserung im Westen. Dann, am Donnerstag, Zusammenstöße mit demonstrierenden Kommunisten im Norden und Osten. Zum erstenmal in dieser dramatisch bewegten Woche macht die Polizei von der Waffe Gebrauch.

Wir wollen hier nicht die Schuldfrage erörtern. Wir wollen hier nicht das ausführliche Exposé des Polizeipräsidenten untersuchen. Aber es ist ein peinlicher Zufall, daß nach vier Tagen unerhört dummdreister Provokationen von rechts die ersten Kugeln nach links flogen. Die Rechts-Demonstrationen wurden von der Polizei noch geduldet, als sie bereits keine Demonstration mehr, sondern bereits ein Angriffskrieg waren; Links-Demonstrationen wurden in Blut unterdrückt, obwohl selbst die Polizei nicht behaupten kann, daß irgend eine Belästigung Unbeteiligter vorgekommen sei. Für die angerempelte Bevölkerung taten die Polizeiorgane nichts; sie traten erst in Aktion, als angeblich sie selbst angerempelt wurden.

Niemand wird von den Polizeibeamten verlangen, daß sie, durchdrungen von tolstoianischer Ethik, die rechte Wange hinhalten, wenn die linke getroffen. Aber hätten die Herren Offiziere, die an der Gedächtniskirche das Kommando führten, den gleichen ... sagen wir: spontanen Abwehrwillen gehabt, wie ihre Kameraden in der Badstraße, dann wären die völkischen Ausschreitungen in den Anfängen erstickt worden. Dann wäre es höchst wahrscheinlich auch gar nicht zu der blutigen Kollision im Norden gekommen. Denn die Straflosigkeit der Rechtsradikalen wirkte gefährlich einheizend auf die Anhänger der radikalen Linken.

Der Polizeipräsident hat sich in einem warnenden Erlaß an die Berliner Bevölkerung gewandt. Das ist gut. Besser wäre noch eine rücksichtslose Durchsiebung der Polizei. So gern wir stets die tatkräftige Energie der neuen Leitung des Polizeipräsidiums anerkannt haben, diese letzten Tage waren allzu reich an deprimierenden Bildern, um den Umfang dessen zu verkennen, was noch zu leisten ist. Wenn ein Mißhandelter, wie dies vor wenigen Tagen im Bezirk Tiergarten vorgekommen ist, sich vergeblich um Schutz an eine Polizeidirektion wendet, wenn ihm dort mit kalter Frechheit gesagt wird, er solle doch zu Severing gehen, so bleibt das nicht ein isolierter Zwischenfall, sondern deutet leider auf eine Fronde innerhalb der Berliner Polizei hin.

Noch ist die Zeit zum festen Zugreifen, noch besteht die Möglichkeit für das Präsidium, das Instrument wieder in die Hand zu bekommen. Man merkt ja trotz Steuer- und Zollkämpfen nichts von politischer Siedehitze. Im Gegenteil, die öffentliche Gleichgültigkeit kann durch nichts überboten werden. Die Extremen sind überall eine kärgliche Minderheit. Begegnet man ihnen ohne Unterschied der Partei, mit gleicher Strenge, wird so bald kein Blut mehr das Berliner Pflaster röten.

Montag Morgen, 17. August 1925


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