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Harlekin als Präzeptor

Sonntag vormittag im Plenarsaal des einstigen Herrenhauses. Der »Ring« hat eingeladen. Der »Ring«, des Herrn Eduard Stadtler Gründung, der auch das »Gewissen« herausgibt, ist ein Institut zur Züchtung von Führerpersönlichkeiten für die »nationale Bewegung«. Es sind ein paar vereinzelte Köpfe dabei, ziemlich viel Phantasten und dem ... was man heute so »national« nennt.

Oben auf der Estrade Prinz Joachim, umgeben von einer Korona Potsdamer Gesichter, landluftgerötet, zerhackt. Unten im Saal assessorale Fassaden, höhere Bureaukratie, am ansprechendsten noch ein paar frische, straffe Offiziere. Dazwischen Damen, die eine Schau sämtlicher Hutmodelle zwischen Aufgang und Niedergang der wilhelminischen Pracht repräsentieren.

Neue Führerschaft, meine Herren vom »Ring«? Schlägt Ihr Gewissen nicht angesichts dieser Exhibition von Inzucht ...?

Aber da erscheint oben auf der Rednertribüne eine in diesem Milieu skurrile Gestalt. Ein furios aussehender Greis, breit, untersetzt, mit den Jahren etwas windschief geworden. Auf der Nase ein altmodischer Zwicker. Quadrillenschwenker von Anno Toback, verschobene schwarze Krawatte. Der erste Eindruck ist sympathisch. Ein Stück Charakter in dieser Korpsstudenten-Monotonie rings herum. Etwa wie ein alter Herrschaftskutscher im Sonntagsstaat oder ein braver pommerscher Landkantor. Ulkige Kruke, denkt man; mit dem famosen alten Knopp möchtest du Pferde stehlen gehen.

Dennoch, er würde über die Zumutung empört sein. Denn du erfährst sofort, daß diese Figur wie aus Auerbachs Keller, von glühnasigen Genien freundlich umschwebt, der Professor Gustav Roethe ist, akademische Kapazität von vielen Graden, Zierde der Germanistik an der Universität Berlin, Präsident der Goethe-Gesellschaft, Großsiegelbewahrer der Weimarer Klassik.

Wenn er den Mund auftut, ist die erste günstige Impression verflogen. Man hat, nach allem, was man von ihm weiß, einen robusten Polterer erwartet, der in hand- und maulfester Kapuzinermanier eine Zeit verwünscht, die ihm nicht mehr gefällt. Statt dessen zetert einer mit dünner Greisenstimme wie ein altes Fischweib, ohne Ziel, ohne Niveau.

Eine Verbeugung nach der prinzlichen Seite hin: »Königliche Hoheit ... hochgeehrte Versammlung!« Das Antlitz nimmt einen devoten Ausdruck an, die Stimme wird weinerlich. Ein origineller konservativer Preuße, heute versunkener Art? Nein, ein kleiner vordringlicher Lyzealtyrann, ein provinzieller Schulrat, mit unsichtbaren Lakaientressen auf dem schwarzen Bratenrock – ein wissenschaftlicher Leibgardist der Hohenzollern.

Daß der Herr Professor die Republik nicht liebt, ist seine Sache. Als Bürger dieser Republik ist ihm das Recht zu freier Meinungsäußerung gewährleistet. Wie er es tut, das ist eine Sache, die die Würde der deutschen Wissenschaft berührt.

Welch ein dummer, kläglicher, serviler Sermon! Ein tiefer Bückling vor der »Aristokratie der Geburt«. Die Stimme macht einen Hofknix.

Dann Kernstellen, wie: »In der Monarchie offenbart sich die Sehnsucht des Volkes nach dem Höheren ...«

Oder: »Die Freiheit, die mit Demokratie nichts zu tun hat, ist die Freiheit, sich selbst Gesetze zu geben«.

Oder: »Von Freiheit ist in der Republik keine Rede: System Metternich ist ein Waisenknabe dagegen«. (Das sagt ein Profiteur republikanischer Energielosigkeit!)

»Das Nationalgefühl ist bisher ein Vorrecht der Gebildeten gewesen.« (Ja, die vaterlandslosen Gesellen durften im Schützengraben verbluten, was weiß auch die »Masse« vom Nationalgefühl Herrn Roethes?!)

Dazwischen läppische Verunglimpfungen des republikanischen Staates. Nicht in männlichem, mutigem Angriff, sondern heimtückisch, unmotiviert, sinn- und zusammenhanglos, z.B.: »Die Verfassung, halb aus dem Westen, halb aus dem Osten geholt.«

Das ist weder Sprache noch Art eines kuragierten, wenn auch verschrobenen Bekenners. Man muß in dieses breite Eitelkeit ausstrahlende Antlitz sehen, um entsetzt zurückzufahren vor der Plattheit dieses salbadernden, wissenschaftlich galonierten Schranzentums.

Herr Roethe, ein Präzeptor des deutschen Vaterlandes? Ein Verwalter Goetheschen Geistes? Was ist ihm Goethe? Eine Hausapotheke, für gemütsverstopfte Generalsfamilien, seelisch-sittliches Laxierkonfekt für Landbunddamen im gefährlichen Alter. Niemals hat der fleißige Germanist, der so opulent Goethe-Zitate in seine Rede streut, mit Goethe gerungen. Niemals hat sich ihm Goethe offenbart. Wollte es dem Olympier in heiterer Götterlaune einfallen, sich diesem korpulenten Schulmeister zu manifestieren, er würde ihn vielleicht andonnern: »Du gleichst dem Geist, den du begreifst ...!«

Aber vielleicht, wahrscheinlicher – Götz von Berlichingen, dritter Akt.

Montag Morgen, 23. Februar 1925


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