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Thoiry und Geßler

Ist die Übereinkunft von Thoiry ernsthaft gefährdet? Nicht so sehr die Quertreibereien französischer Nationalisten wie vielmehr die Schönfärbereien deutscher Demokratenblätter lassen an bitterböse Schwierigkeiten glauben. Die Kommunikation stockt, seit der Zauber der ersten Begegnung verflogen. Über die Inhaltlosigkeit der Zwiesprachen zwischen Briand und Hoesch täuschen die freundlichen Bulletins mit der Beteuerung des guten Willens auf beiden Seiten nicht hinweg. Am Frühstückstisch sah das Alles viel einfacher aus. Wohl war die Idee eines deutsch-französischen Wirtschafts-Konkordats brauchbar und sympathisch besonders für das unterm Inflations-Alb ächzende Frankreich. Aber was dann allzu früh und mit allzu voreilig einsetzender Claque an die Öffentlichkeit gelangte, das war noch im empfindlichsten Stadium der ersten Entwicklung und mußte unter kritischen Blicken erfrieren. Schon ist die angeregte Teilmobilisierung der Dawes-Obligationen am Widerspruch Amerikas gescheitert. Nichts ändert daran die treuherzige Verlautbarung der Wilhelm-Straße, man nehme es uns in Amerika nicht übel, an so etwas überhaupt gedacht zu haben. Briand und Stresemann, die so reich bepackt nach Hause gekommen schienen, stehen plötzlich vor einem Vacuum.

Auch in der deutschen Wirtschaft findet man heute den noch kurz zuvor laut bejubelten Plan, die besetzten Gebiete »loszukaufen«, weniger ansprechend. Die Bankettreden sind längst verhallt; was sich zwischen Fisch und Braten unbeschwert heraussagen ließ, erscheint jetzt riskant und voll geheimer Fallen. Die Herren von Bank und Industrie sind sehr bedenklich geworden, und ihre Presse setzt hinter Stresemanns schallendes Ja mürrische Fragezeichen. Das Tempo hat nachgelassen; eine jener Pausen ist eingetreten, wo die Skepsis sich wieder Geltung verschafft. In Paris hat der Senator Henri de Jouvenel in seinen viel zitierten ›Matin‹-Artikeln das Thema noch mehr kompliziert, indem er die Frage der Unveränderlichkeit der deutschen Ostgrenzen in die Debatte warf. Es läßt sich annehmen, daß Herr de Jouvenel hier durchaus die persönliche Auffassung Poincarés wiedergibt. Und obgleich die spitze Diktion dieser Artikel grade in diesem Augenblick der Stockung doppelt erkältend wirkt, so kann nicht geleugnet werden, daß das angeschnittene Problem hier wichtiger ist als die wenig freundliche Form, und daß doch wohl notwendig ist, auch die deutsch-polnischen Beziehungen einer reinigenden Besichtigung zu unterziehen, wenn schon einmal alles Deutschland und Frankreich Trennende diskutiert werden soll. Denn der gefährlichste Zündstoff lagert im Osten, nicht mehr am Rhein. Darüber muß gesprochen werden, wenn die deutsch-französische Verständigung mehr sein soll als eine festliche Kulisse für Paradetage.

Aber dies Alles wäre nicht so schlimm, wenn nicht Briand und Stresemann die Idee von Thoiry sogleich in ein falsches Klima verpflanzt hätten. Indem sie die deutsch-französische Versöhnung zu einer rein geschäftlichen Transaktion machten, schnitten sie der Idee die Flügel ab, verzichteten sie auf den Elan der friedengewillten Volkskräfte. Die Arbeiterschaft, abseits, sieht mit Mißtrauen aus dem schönen Gerede von Locarno bis Genf einen internationalen Industrie-Akkord wachsen, sieht, hilflos, wie immer in großen Entscheidungen, den proletarischen Löwengedanken des über die Grenzen fassenden Zusammenschlusses von den Kapitalisten usurpiert. Dieser kapitalistische Völkerfrühling aus dem Kalkül der Kohle- und Eisen-Kontore unterscheidet sich von dem, den wir ersehnen, vornehmlich dadurch, daß er jederzeit abgeblasen werden kann, wenn das Geschäft nicht klappt. Die Kettenhunde der Industrie-Presse, die vor ein paar Wochen noch Arien von Liebe und Treue winselten, beginnen schon wieder zu knurren. Eine kleine Verstimmung noch, und sie werden losgekoppelt. Zum Pazifismus gehört nun einmal eine Dosis Idealität und ein wenig Glaube. Ein Nationalist, der anti-nationalistische Politik machen sollte: das wäre der Sprung übern Schatten.

 

Botschaftsrat Dufour ist zum deutschen Unter-Generalsekretär in Genf gewählt worden. Man hätte sich für dieses hohe repräsentative Amt eine Persönlichkeit gewünscht, die schon zu einer Zeit für eine deutsche Völkerbund-Politik eingetreten ist, wo dergleichen auch in den Parteien der Weimarer Koalition noch sehr unpopulär war. Wir kennen indessen die Wunder unsrer neuen Personalpolitik, müssen also zufrieden sein, daß Herr Dufour sich wenigstens niemals als dezidierter Gegner des Völkerbundes bekannt hat. Auch hieße es das Auswärtige Amt verkehrt einschätzen, dort nach so großen politischen Maßstäben zu suchen. Die ehernen Gesetze der Ochsentour geben den Ausschlag.

Aber tendenzlos ist die Ernennung des Herrn Dufour keineswegs. Der war jahrelang Berater des Botschafters Sthamer in London, damit einer der Dirigenten jenes unsäglichen angeblich anglophilen Kurses, der die deutsche Außenpolitik von einer Niederlage in die andre getrieben und stets die direkte Aussprache mit Frankreich durchkreuzt hat. (Grade in diesen Tagen wissen französische Blätter wieder von einer Abfuhr Sthamers bei Chamberlain zu melden; der deutsche Botschafter soll gebeten haben, auf die Kontrollkommission mäßigend einzuwirken.) Vielleicht wird Herr Dufour in Genf seine persönliche Eignung glanzvoll erweisen; aber mindestens für Paris ist er englisch gestempelt, und grade seine Wahl muß auf die Neigung Deutschlands hindeuten, auch im Völkerbund mit England durch Dick und Dünn zu gehen.

Diesem amtlichen Anglophilentum stehen einige Francophile von besonderer Artung gegenüber, die nur dank ihrer Einflußlosigkeit bisher noch kein Unheil anrichten konnten. Es gibt Kreise, die sich bemühen, den sehr verdienten Herrn v. Hoesch von seinem Pariser Posten zu beißen und durch Arnold Rechberg zu ersetzen. Dessen publizistische Meriten um die Aufstöberung der diplomatischen Buffonerien des Herrn Oberst Nicolai in Moskau sollen keineswegs verkleinert werden. Aber auch Herr Rechberg träumt, wie sein Protégé Marauhn, wie der General Hoffmann Brest-Litowsker Angedenkens, von einem Kreuzzug gegen den Bolschewismus und verkörpert deshalb im Kampf gegen eine rechtsradikale Absurdität nicht die Vernunft, sondern nur die andre Absurdität.

 

Femeprozeß in Landsberg. Spaltenlange Berichte in der republikanischen Presse. In Schlagzeilen werden die Angeklagten als Bestien und Banditen qualifiziert. Wir brauchen in der ›Weltbühne‹ das Prozeßthema nicht zu rekapitulieren; für die Leser unsrer meisten Linksblätter ist es allerdings neu. Es hat also doch eine Schwarze Reichswehr gegeben? Die Leute, die darüber geschrieben haben, waren also doch nicht alle Landesverräter, Lügengeister, von der Entente besoldet? Wenn die verehrten Republikaner über Gedächtnis verfügten: sie würden ihre Leibblätter jetzt mit Briefen bombardieren.

An der Verurteilung der Angeklagten ist nach dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen wohl kaum zu zweifeln. Zum ersten Mal sind die Burschen an ein Gericht geraten, das nicht in Heldenverehrung erstirbt, sondern Mord eben Mord nennt. Aber soll das Alles sein? Es ist in Landsberg von der Verteidigerbank gefragt worden, ob denn Herr Geßler 1922 und 1923 seine Pflicht getan oder die Landesverteidigung an den Oberleutnant Schulz verpachtet habe? Das hat der Rechtsanwalt Sack gesagt, und es ist trotzdem wahr. Darum, verehrte Demokraten, dreht es sich. Nur darum. Das ist das treffende Wort, das müßte, wie der arabische Märchenerzähler sagt, mit glühenden Nadelspitzen in die Augenwinkel gekritzelt werden. Daß das Pack aus den Küstriner Forts endlich justifiziert wird, ist notwendig. Wichtiger: die stete Betonung der politischen Verantwortlichkeiten für die Bildung dieser Mörder-Legion.

Es sind in einem gewissen kritischen Zeitpunkt geheime Kadres aufgestellt worden, »Arbeitskommandos« genannt, angeblich zum Zweck der Waffensammlung. Herr Severing, das ist nicht fortzuwaschen, hat darum gewußt, wahrscheinlich geglaubt, es handle sich um Trupps zur Abwehr polnischer Insurgenten. Die Reichsregierung glaubte im Besitz englischer Genehmigung, also gedeckt zu sein gegen etwelche französische Repressalien. Lord d'Abernon, der Schlaufuchs, hat selbstverständlich nicht die bewaffnete Auseinandersetzung mit Polen forcieren wollen, wohl aber eine zuverlässige Schutztruppe gegen den Kommunismus gewünscht. Die politische Verantwortung für die Bildung der »Arbeitskommandos« teilt sich demnach; aber daß diese schwarzen Formationen so und nicht anders ausgesehen haben, dafür sind Reichswehr-Ministerium und Heeresleitung zu gleichen Teilen zu belasten.

Niemals, außer in der trübsten Vergangenheit der Balkanstaaten, ist mit einer solchen Leichtfertigkeit rekrutiert worden. Daß ausschließlich die republikfeindlichen Verbände die Mannschaften stellen durften, ist schlimm genug; daß auch die legale Reichswehr aus schwarz-weiß-roten Reservoiren gespeist wird. (Paul Löbe hat jetzt endlich die Anregung zur Änderung des Wehrgesetzes gegeben.) Der Pakt mit den Verbänden aber wird fast harmlos neben dem katastrophalen Versagen der Kontrolle durch Ministerium und Oberkommando.

Was wäre eigentlich geschehen, wenn etwa der Kommandant von Küstrin sich im entscheidenden Moment auf die Seite der Meuterer geschlagen hätte, oder wenn es Buchrucker oder Hertzer gelungen wäre, die Kommandantur zu besetzen? Dann wäre die schaurige Unterwelt der Kasematten plötzlich lebendig geworden und hätte sich übers Land ergossen. Und vor den Toren Berlins hätten sich Szenen abgespielt, würdig der tollsten Foltergeschichten aus dem Dreißigjährigen Kriege. Mannschaften, die den Revolver gegen ihre Offiziere richten und sie auch ohne Revolver beherrschen, weil sie von ihren Waffenschiebungen wissen – gefriert nicht noch nachträglich Herrn Geßlers joviales Lächeln bei dem Gedanken an diese seine Elite-Truppe? Ein in letzter Stunde im ›Berliner Tageblatt‹ von ihm unternommener Rechtfertigungsversuch zeigt seine Unbelehrbarkeit. Denn er versucht noch immer darzulegen, es habe im amtlichen Sinne niemals eine Schwarze Reichswehr gegeben. Aber daß es kein Journal mit der Aufschrift ›Schwarze Reichswehr‹ gegeben hat, des braucht Herr Geßler nicht zu erzählen.

Wenn der Herr Minister im Reichstage über das Thema Schwarze Reichswehr befragt wurde – es ist allzu selten und allzu schüchtern geschehen –, dann ließ er alle Register seiner balkenbiegenden Rhetorik spielen. Interpellationen außerhalb des Reichstags beantwortete er dagegen kurz und knapp mit Landesverratsverfahren. Noch vor ein paar Wochen hatten Vertreter des Reichswehrministeriums die Stirn, auf der Polizei-Ausstellung das Wort »Fememorde« zu beanstanden. Alles, was Herr Geßler früher geltend machte: die angeblichen Interessen der Landesverteidigung, die Rücksicht auf das Ausland – das Alles ist erledigt, seit das Schwurgericht von Landsberg sich für volle Öffentlichkeit entschieden und der Staatsanwalt selbst solche Argumentation als kindlich abgetan hat. Das Geheimnis von 1923 besteht nicht mehr. Der Herr Reichswehr-Minister mag sich damals eine Art von Scharnhorst-Rolle vorgegaukelt haben. Heute werden selbst seine letzten Verteidiger unter den Demokraten zugeben müssen, daß kein Vaterlandsbefreier jemals seltsamere Soldaten gefunden hat. Geßler rief, und alle Klapproths kamen.

Es wird eine kleine Geschichte kolportiert: bei der Abreise der Locarno-Delegation stand Geßler mit den Herren plaudernd auf dem Bahnsteig. Als ein Pressephotograph die Gruppe knipsen wollte, wehrte er lachend ab: »Ich gehe bei Seite – meine Gegenwart könnte kompromittieren.« Ein harmloser Scherz, der immerhin bedeutet, daß auch Herr Geßler besserer Einsicht fähig ist. Es wird Zeit für ihn, endgültig aus dem Bilde zu treten.

Die Weltbühne. 2. November 1926


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