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Marine-Epilog

Berlin, 24. Januar.

Während eine erregte Epoche europäischer Nachkriegszeit ihrem Ende entgegengeht und Ausblick auf freundlichere Zeiten zum erstenmal gestattet ist, wird im Untersuchungsausschuß des Reichstages wieder einmal ein Stück Vergangenheit beschworen. Was einst schmerzvoll erlebt und allzu schnell vergessen wurde, wird wieder lebendig: das Alltags-Inferno der deutschen Kriegsflotte in Kiel, dieses zermürbende Existieren, jahraus, jahrein in »Ruhe« und doch in steter Spannung, in Erwartung, ob nicht der Tag, der anbricht, der »Tag« ist, auf den die Offiziere in Herrn Lissauers Haßgedicht freudig bewegt das Glas heben. Schließlich ist es doch nicht zu der großen Marine-Tragödie gekommen. In Scapa Flow sanken leere Schiffe ...

Und alles das lebte in der Rede des Abg. Dittmann wieder auf: der Dienst, die vielen großen und kleinen Schikanen, die krassen Ungerechtigkeiten, die Verseuchung nicht mit sozialistischer, wohl aber mit alldeutscher Politik. Vorgänge, bisher noch im Dunkel, werden durchsichtig. Blutschuld an einem Menschenopfer wird offenbar. Die Erschießung zweier Matrosen, losgelöst aus der Meutereilegende, zeigt sich als bewußter politischer Terrorakt; Blutschuld, die eine lange Kette von Menschen belastet, vom Kommandanten der Hochseeflotte angefangen, der die in den Rechtsgutachten geltend gemachten Bedenken anerkennt und trotzdem zu dem Urteil steht, bis hinunter zu den Drahtziehern der traurigen Spitzelpuppen Adams und Calmus.

Soll nun über all das der Mantel des Verzeihens gebreitet werden? Vergangene Dinge? Noch immer schaffen einige der an dem amtlichen Mord Beteiligten in Rüstigkeit und mit der Bestallung der Republik in der Tasche unter uns. Da ist z.B. der Herr Kriegsgerichtsrat Dr. Dobring, heute Richter in Berlin. Jener Herr Dr. Dobring, der ein »Programm« der U.S.P. sich aus den Fingern sog, damit eingeschüchterte Kulis ins Bockshorn jagte, mit dem heutigen Oberregierungsrat in Elberfeld Dr. Loesch die ganze Lockspitzelwirtschaft erst organisierte und sich dabei so auszeichnete, daß selbst das Urteil von seinen windigen Konstruktionen teilweise beschämt abrückte, ist dieser Herr zu einem Richteramt im republikanischen Staat geeignet? Wir haben uns seitdem an peinliche Kriminalprozesse um Bagatellen gewöhnt. Über Bayerns besten Demokraten, den Oberbürgermeister von Nürnberg, wird um einen Mantel und ein Messer ein schmähliches Meineidsverfahren verhängt. Sind ein paar Menschenleben weniger wert? Herr Dobring ist noch immer Richter. Wieviele kleinere Dobringe mögen noch heute die Bänke der Justitia drücken und die Pestilenz jener Tage in unsere Zeit verschleppen? Auch Herr Haß, der Münchener Richter, erlernte seine schwarze Kunst auf einer Spionage-Abwehrstelle.

Es handelt sich nicht allein darum zu enthüllen, und es damit gut sein zu lassen, sondern erst recht, die Bemakelten zur Rechenschaft zu ziehen. Gerade bei Behandlung vergangener Dinge hat der Reichstag mehr als einmal Temperament gezeigt und dramatische Szenen erlebt. Es geht jedoch darum, aus dem zeitlich Vergangenen das Unverjährbare zu schälen, aus Mitleid und Ablehnen zur politischen Aktion zu kommen. Mit der Dolchstoßlüge sollte die Republik erschlagen werden; gelingt es ihr, diese Lüge für immer auszublasen, ist auch die Reaktion ihres verheerendsten Seelengiftes beraubt. Es ist kein Zufall, daß auch diesmal eine gewisse Instanz den Arm packt, der sich heben will. Diese Instanz ist das Reichswehrministerium. Die rebellierenden Admirale, die pflichtvergessenen Offiziere, die gewissenlosen Militärjuristen finden glühende Verteidiger in den Herrn Vertretern des Reichswehrministers. Vor eine der schimpflichsten Episoden des kaiserlichen Deutschlands treten schirmend Geßlers Offiziere. Es war schlimm genug, daß das Ministerium sich überhaupt bemüßigt fühlte, den Angeschuldigten gleichsam Offizialverteidiger zu stellen – mit gleichem Recht könnte das Auswärtige Amt für die Unbeflecktheit des Herrn von Holstein eine Lanze brechen – wie das geschah, das ist ein Skandal ohnegleichen. Herr Canaris gebärdete sich, wie ein Anklagevertreter in einem kaiserlichen Kriegsgericht. Sein Auftreten war ein unerhörter Affront für das deutsche Parlament.

Mit ihm ist noch ein anderer Herr gekommen, als »Sonderkommissar«, der Admiral von Trotha. Der hat nicht nur als Sachverständiger Coßmanns im Münchener Prozeß den Befähigungsnachweis für diese Mission erbracht, er ist auch der gleiche Offizier, den Noske in der Nacht vom 12. auf den 13. März 1920 nach Döberitz zur Brigade Ehrhardt entsandte, um zu erkunden, ob die Alarmmeldungen wahr seien. Herr von Trotha zurückgekommen, berichtete treuherzig, daß in Döberitz alles ruhig sei. Selbst ein Mann von solcher Offiziersgläubigkeit wie Noske konnte nicht umhin, sich im Jagow-Prozeß in bitterster Weise über diese Täuschung Am Freitag stand Dittmanns Vortrag im Mittelpunkt. Am Sonnabend schon hatte sich das Bild verschoben. Dank Herrn Kapitän Canaris. Eine Jahre zurückliegende Tragödie hat sich jäh aktualisiert, indem Vertreter einer Reichsbehörde sich mit den Gesetzesbrechern von damals identifizieren. Es geht nicht mehr um die einstigen Marineherren, die Capelle, Scheer usw., sondern um ihre freiwilligen Rechtsnachfolger in der Bendlerstraße und ihren sozusagen demokratischen Nährvater. Der Fall Dobring, das gehört zum Thema Justizkrise, ist in den Einzelheiten abscheulich, aber überrascht nach allem Erlebten mit Bewersdorff, Haß, Niedner usw. kaum. Seit gestern jedoch, wir ahnten es längst, wissen wir's, daß wir mitten in der deutschen Militärkrise stehen.

Montag Morgen, 25. Januar 1926


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