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Firnis

Der Herr Minister Dr. Becker war ein Schmuckstück, ein Kabinettstück sozusagen, unter heutiger Ministergarnitur. Ein Wissenschaftler von Ruf, ein ästhetischer gebildeter Mann, dessen urbane Formen man gern betonte, wenn man an seiner Energie gelegentlich einiges auszusetzen hatte. Beim Fall Lessing z.B. hätte man härtere Hand gewünscht.

Nun haben wir es gesehen, daß auch Herr Dr. Becker handeln kann. Er ist gar nicht so schüchtern. Er kann auch wettern und dreinschlagen. Die Energie, die er vor randalierenden Studenten nicht fand, er fand sie vor Herrn von Schillings. O, er hat nicht nur die Sammetpfötchen erlesenster Kultur, er hat auch Pranke.

Man kann dem Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Unterricht nicht mehr nachsagen, er kämpfe mit dem Galanteriedegen. Nein, er kämpft nicht galant. Oder ist es galant, wenn er, wie er es in seiner Rede an die Presse tat, zu sagen, daß Barbara Kemp, die Gattin des hinausgesetzten Intendanten, heute nicht mehr ganz auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit stünde? Das ist weder Höflichkeit des Geistes noch des Herzens. Und ist nicht einmal wahr.

Aber was nun, wenn Frau Kemp nun ihrerseits kündigt, nachdem sie ihr oberster Chef vor aller Öffentlichkeit in dieser Art zensurierte? Ist es nicht seltsam, daß plötzlich die Stimme einer gefeierten Sängerin gelitten haben soll, einer Künstlerin, die bisher als Zierde der Staatsoper galt, nur weil ihr Gatte dem Herrn Minister nicht mehr gefällt?

Doch der Fall Schillings ist der Fall Becker. Und es ist ein häufiger Fall. Leider. So geht es uns. »Im Deutschen lügt man, wenn man höflich.« Haben wir schon einen, den wir als Weltmann schätzen, und dem die Journale zuerkennen, daß er ein Kulturfaktor ist, und kommt es einmal zur ersten Probe, flugs fällt der Lack ab, der ästhetische Firnis ist futsch und es bleibt nichts übrig als ein eifernder machthungriger Bürokrat und Buchstabenmensch. Herr Becker wäre der Ästhet, für den man ihn hielt, wenn er geschwiegen hätte. Denn für unsere kleinen deutschen Talleyrands ist die Sprache nicht dazu da, die Gedanken, sondern die Bildung zu verbergen.

Das Schriftstück, das Hau weitere sieben Monate Zuchthaus zudiktiert und ihm die Schriftstellerei untersagt, trägt die denkwürdige Unterschrift des Herrn Dr. Hellpach. Auch Herr Hellpach ist ein Kulturfaktor. Auch seine Vorzüge liegen, so sagte man uns, vornehmlich auf geistigem, nicht auf politischem Gebiet. Bei der ersten Probe aufs Exempel aber beweist Herr Hellpach, daß der Politiker in ihm stärker als der geistige Mensch. Womit beileibe nicht behauptet sein möchte, er wäre ein starker Politiker.

Was Herrn Dr. Becker anbetrifft, so rief ihm nach der Konferenz am Freitagnachmittag ein Kollege von der Presse zum Abschied zu: »Vergnügten Landtag, Herr Minister!«

Wir haben dem nichts hinzuzufügen.

Montag Morgen. 30. November 1925


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