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Bürgerblock

Die Wege der Diktatoren sind wunderbar; Mussolini arbeitet mit Gesten und Flausen, verschärft gelegentlich durch Ricinus und Meuchelmord; der dicke Primo mit der Zensur; Pilsudski ...läßt Alles wie es war.

In Deutschland schreibt man Briefe.

 

Am Tage nach dem Volksentscheid war ganz Deutschland (inklusive Regierung) überzeugt, daß das Abfindungsgesetz mit diesem Reichstag nicht mehr zu machen, Auflösung unvermeidlich sei. Da begingen die Sozialdemokraten einen ernsthaften taktischen Fehler: sie beteiligten sich eifrig an den Beratungen im Rechtsausschuß und erweckten Hoffnungen, schließlich doch noch das Kompromiß zu schlucken.

Da wurde die eben noch schlotternde Regierung plötzlich sehr fest. Sie begann an ihre eigne Existenz zu glauben. Zum ersten Mal. Marx dekretierte: Wenn die Sozis mit den Mittelparteien zusammen das Kompromiß gegen Rechts mitmachen, wird aufgelöst, wird großer Koalitions-Wahlkampf gegen die Deutschnationalen gemacht; lehnen sie dagegen ab, so wird ... nicht aufgelöst, das Sperrgesetz nicht mehr verlängert, die ganze Abfindungsfrage wieder den Gerichten überlassen.

Vor eine so unwürdige Entscheidung wird die größte Partei des Deutschen Reichstages gestellt: sie soll gekettet werden an eine kleinliche, klägliche Kompromißformel, die die Regierungsparteien selber nur mit halbem Glauben verteidigen; andernfalls wird die Vorlage fallen gelassen und zum Gaudium der Deutschnationalen Alles bleiben, wie es war.

Nur in Köpfen von knochenlosen Mittelparteilern ohne Gesinnung und ohne Programm und ohne Achtung vor Gesinnungen Andrer kann sich ein solcher Plan entwickeln. Krieg mit auswechselbaren Fronten, wie es halt so trifft. Die Zumutung an die Sozialdemokratie, das Geschäft mitzumachen, war eine Beleidigung, mußte so empfunden werden. Weil die Partei schließlich absagte, wirft man ihr jetzt Kapitulation vor der Straße und Mangel an Verantwortungsgefühl vor.

Eines kann man der Fraktion freilich vorwerfen: sie hätte sich in so klarer Situation nicht acht Tage in Gewissenskrämpfen zu winden brauchen.

 

Am Dienstag sprach Külz im Reichstag die furchtbare Drohung aus, daß die Regierung die Konsequenzen ziehen werde, falls man nicht zu einer Einigung käme.

Die Konsequenzen? Großes Rätselraten. Demission des Kabinetts, weiß man, führt nicht weiter. Bleibt nur Auflösung des Parlaments. Darauf aber, das weiß man auch, wartet ein nicht unbeträchtlicher Teil der Sozialdemokratie sehnsüchtig. Was wird also geschehen?

Am Freitag in den Nachmittagsstunden ist das große Mysterium enthüllt. Marx hat einen Brief von Allerhöchst in der Hand, ein Schreiben milde und großväterlich im Ton. Jetzt hat es Marx Schwarz auf Weiß: die Regierung ist unabkömmlich; erst mal Ferien bis zum November, – dann werden wir weiter sehen.

Ein Testimonium aus der Präsidentenkanzlei ist mehr wert als die Konstitution. Die Parteien atmen erleichtert auf: vier Monate Zeit zum Verschnaufen. Gesegnet sei die Hand, die bis tief in den Herbst über die deutsche Innenpolitik den Ferienzustand verhängt!

 

Die italienische Diktatur schmeckt nach Ricinus, die deutsche nach Tinte. Der Effekt ist ziemlich der gleiche.

Soll man zur Ehre – oder zur Unehre – der Herren Marx und Külz annehmen, daß sie nichts von der Gefährlichkeit der Prozedur geahnt haben? Der Hindenburgbrief an Loebell, so dachten sie wohl, hat eine höchst fatale Affäre entfesselt. Warum kann eine an sich bedenkliche Macht nicht einmal zum Guten angespannt werden? Weiße Magie, wähnten sie.

Marx und Külz als Hexenmeister. Marx und Külz im Laboratorium, die Augen zerbeizt von ungewohnten Dämpfen, Beschwörungsformeln brabbelnd. Wirklich, eine Szene von umwerfender Komik, höchst melancholisch jedoch im Regierungstheater.

Jetzt wissen wir, daß zur Erzielung eines Ausnahmezustandes nicht erst der Artikel 48 entkapselt zu werden braucht. Eine Regierung ohne Mehrheit, von Rechts und Links verlassen und bekämpft, läßt sich ganz einfach vom Staatsoberhaupt ihre Unentbehrlichkeit bescheinigen; die Streitfragen selber werden vertagt.

Es ist wie im Halbabsolutismus der kaiserlichen Ära. Nach sieben Jahren Republik ist das parlamentarische Regime noch längst nicht erkämpft. Die Superklugheit des Herrn Marx hat einen Präzedenzfall geschaffen, an dem wir noch lange zu knabbern haben.

 

Die Mittelparteien, die den Brief an Loebell gröblich überschätzt haben, ignorieren den Brief an Marx und dreschen auf die Sozialdemokratie los.

Eigentlich müßte man sich im Volksblock, im Reichsbanner, in vergangener Koalitionskameradschaft besser kennen gelernt haben. Die demokratische Presse, die sich doch sonst überall ›einfühlen‹ kann, die für jede Seelenregung zwischen Sowjetstern und Hakenkreuz sonst eine Deutung findet, bleibt diesmal verlassen von allem Tastgefühl und ergeht sich in plumpen Schimpfereien. Etwas mehr Verständnis müßte man schon für eine oft bewährte Nachbarin aufbringen.

Zugegeben, daß die sozialdemokratische Absage schließlich überrumpelnd kam. Noch vor einer Woche schien die Zustimmung, wenn auch im letzten Augenblick, sicher zu sein. Die Führer schwankten. Aus der Provinz liefen Berichte ein über die Stimmung in den Parteivereinen, alle nur mit dem einen Kehrreim: Ein Ja zum Kompromiß müsse nach der Siedehitze der Kämpfe um den Volksentscheid schwersten Schaden bringen, würde nirgends verstanden werden. Diese Berichte siegten über opportunistische Wallungen. Die Provinz trieb vorwärts.

Die Demokratenblätter höhnen: die sozialistischen Fraktionsführer sind, wider bessere Einsicht, radikalen Phrasen gewichen, haben vor unausgegorenen Massengefühlen kapituliert.

Torheit über Torheit! Was wäre die Folge einer Zustimmung gewesen? Tiefe Unzufriedenheit in der Wählerschaft, Erschütterung der Organisationen, erregende Diskussionen zwischen Rechts und Links (mögliche Ausdehnung des sächsischen Zwistes auf die Gesamtpartei), Abwanderungen zu den Kommunisten.

Popularitätshascherei, zetern die Demokraten. Nur in Deutschland, dem klassischen Sitz volksfremder Parteimandarine, ist es denkbar, daß einer demokratisch-sozialistischen Partei, weil sie sich um Orientierung an der Stimmung der Arbeitermassen bemüht, daraus ein Tadel gedreht werden kann. Den Kontakt mit den Scharen der Wähler zu bewahren, nicht vor jedem Versammlungsgesabber ewiger Malkontenter die Segel zu streichen, wohl aber die Vitalität einer Strömung zu erkennen, das ist von altersher das Geheimnis aller echten Demokratien. Davon hat es bei uns eher zu wenig als zuviel gegeben.

Begreifen denn die demokratischen Splitterrichter nicht, daß eine intakte Sozialdemokratie in Opposition wertvoller ist als eine sich innerlich zerreibende, in einer bürgerlichen Regierung oder an bürgerliche Parteien gekoppelt? Wohin das führt, mag das sächsische Beispiel belegen: sozialdemokratische Minister zwar in der Großen Koalition, aber schon längst ohne Partei. Die ist dank Ausharrens dieser Fanatiker oder Märtyrer der Koalitionspolitik zerfallen, existiert eigentlich gar nicht mehr. Ladet das so sehr zur Nachahmung ein?

Wer oft mit der Sozialdemokratie haderte, muß es ihr bestätigen, daß sie diesmal nicht anders handeln konnte, wenn sie nicht Rücksichtnahme auf die Kümmernisse der Nachbarparteien bis zur Selbstentäußerung treiben wollte. Sie mußte um so mehr einen Strich durch die Rechnung machen, als die Regierung und ihre Parteien entschlossen waren, im Schatten des Fürstenkompromisses hübsch unauffällig eine neue Erhöhung der Lebensmittelzölle mit durchzuschmuggeln. Diese Zollvorlage wird von der bürgerlichen Presse klugerweise übersehen.

 

Im politischen Vokabularium Neudeutschlands prangt in Fettdruck ein leicht zu mißbrauchendes Wort: ›Verantwortungsbewußtsein‹. Wenn Partei A etwas Unverantwortliches begeht, verlangt sie von Partei B entweder mitzumachen oder wenigstens nicht zu stören. Aus Verantwortungsbewußtsein. Dieses Gesetz der Mitverantwortung wird nach still geübtem Brauch auch auf die Opposition ausgedehnt. Weil die Sozialdemokraten, die mindestens seit der Zuspitzung der Abfindungsaffäre zum Kabinett Marx in Opposition stehen, sich weigern, mit den Regierungsparteien ein faules Kompromiß zu schließen, deshalb werden sie als ›verantwortungslos‹ stigmatisiert. Man stelle sich vor: Herr Baldwin, der mit den Bergarbeitern neuerdings einige Unannehmlichkeiten hat, bezichtigt Herrn MacDonald, das Haupt der Opposition, mangelnden Verantwortungsgefühls, weil er sich weigert, den Arbeitern gut zuzureden. Wenn Herr Baldwin das versuchen wollte, ein Höllengelächter würde ihn schnell in die englische Wirklichkeit zurückrufen. In Deutschland aber scheint eine moralische Verpflichtung der Opposition zu bestehen, der Regierung aus selbst verschuldeter Klemme zu helfen.

Schwäche drapiert sich als Verantwortungsgefühl. Weil die Linksparteien so gräßlich verantwortungsbewußt waren, von Weimar an, deshalb mußte die Republik Stückwerk bleiben. Aus Verantwortungsbewußtsein hat die Republik auf Ausnutzung früherer Machtpositionen verzichtet und eine nach der andern geräumt. Aus Verantwortungsbewußtsein wird sie noch einmal den Hals zum letzten Schnitt darbieten.

Die Reaktion holt sich mehr und mehr ihr altes Terrain wieder. Die Ausstoßung des Senatspräsidenten Großmann aus dem Preußischen Richterverein kann als Präludium des Posaunenkonzerts gelten, das bald den letzten Republikaner aus den Ämtern vertreiben wird.

Irgendwo ist die schnurrige Auffassung zu lesen: Ja, wenn das so weiter geht, dann haben wir im Herbst den Bürgerblock! Da lachen doch die Hühner. Merkt Ihr es denn noch immer nicht? Nur weil Westarp noch immer keift? Der Bürgerblock ist längst da. Kabinett Marx mit Sabotage des Volksentscheides, mit Republikabbau und neuen Brotzöllen, das ist der Bürgerblock.

Die Weltbühne, 6. Juli 1926


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