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So kann der Stadt geholfen werden!

Nach einer Londoner Meldung hat die Stadtverwaltung von Calcutta beschlossen, zur Erfrischung der Kommunalkasse künftighin die Straßen nach denjenigen Bürgern zu benennen, die bereit sind, für diese Ehrung eine bestimmte Taxe zu entrichten. Das ist eine wahrhaft produktive Idee, die von allen Stadtkämmerern aufgegriffen werden sollte.

Man möge dagegen nicht mit Argumenten kommen, wie: unsere Würde verbietet und dergleichen. Unsere Würde verbietet auch nicht, Häuserwände für Reklamezwecke zu vermieten. Schließlich ist die Auswahl der Straßennamen für uns doch ein Mysterium. Eines Tages sind sie da. Nur wenn Politik hineinspielt, gibt's Krach. Man ahnt zwar, daß die städtischen Namengeber an Hand von Wilhelm Scherers Literaturgeschichte arbeiten und geschichtliche Nachschlagebücher benutzen. Da kann man noch folgen. Doch wenn es dann an die Pflege des Heimatgefühls geht und die lokalen Größen anmarschieren, wird es zapfenduster. Wer war z.B. Herr Motz, den man dadurch ehrte, indem man dem nächtlicherweilen so anmutig belebten Boulevard seinen Namen lieh? Etwa ein alter Roué, eine unverbesserliche Spielratte? O nein, es war ein ehrbarer preußischer Finanzminister. Wer war Herr Meierotto? Weißt du es, freundlicher Leser? (Ich weiß es, aber verrate es nicht. Vielleicht gibt es doch noch einmal ein Preisausschreiben darüber.) Und wenn man erfährt, daß es hinter Spandau eine kleine Station gibt, die »Bürgerablage« heißt, was soll man sich nun eigentlich darunter vorstellen?

Ist es nicht kurzsichtig, etwas so Lebendiges, Gegenwärtiges, Fließendes wie eine Stadt auf schnell vergilbende historische, geographische und folkloristische Bezeichnungen festzulegen? Das System von Calcutta bietet auch ideelle Vorteile, nur sollte man an Stelle des Verkaufs für immer die jährliche Verpachtung einführen. Hätte solche Möglichkeit schon vor fünf Jahren bestanden, kein Zweifel, Erzvater Stinnes hätte nicht nur die Zeitungen erworben, sondern auch die Plätze, an denen sie vornehmlich verkauft werden. Welch eine Krise hätte das gegeben, da der Goldglanz des Namens ermattete? Die Anwohner hätten protestiert wie die feinen Herrschaften in jener westfälischen Stadt, denen ihr sozialistischer Magistrat eine Max-Hölz-Straße aufgebrummt hatte. Sicherlich bleibt die Methode der Jahrespacht vorzuziehen. Da sieht man, wer es sich leisten kann, und die Stadt wird zu einer interessanten Tabelle von Aufstieg und Niedergang, zu einer Wirtschaftschronik von Stein und Stuck.

Welche Gipfelung des Ruhmes nicht für den Millionär gewordenen Herrn Piepenbrinck, seinen schlichten Bürgernamen, der in der Finanzwelt mit höchster Achtung genannt wird, nun auch der Siegesallee aufzuerlegen; Frau von Pollack würde sich wahrscheinlich auf die Wilhelmstraße kaprizieren. Herrn Reinhold Wulle steht es frei, auf Grund der Überschüsse des Deutschen Tageblattes die Jerusalemer Straße zu okkupieren, während zum Ausgleich für diesen kecken Griff Borkum natürlich sofort um den Kommerzienrat-Cohn-Strandweg bereichert würde. Ganz selbstverständlich, daß die Titel mit aufgeführt werden. Was die Taxe anbetrifft, so sollen hier keine Vorschläge gemacht werden. Wohlbemerkt, man schaffe kein Privileg für die Schwerreichen, auch die minderbemittelten Volksschichten müssen von dieser Einrichtung Gebrauch machen können. Wer wollte auch die bescheidene Beamten-Witwe hindern, den Sparpfennig pietätvoll für das Andenken des Seligen in einer Ministerialamtmann-Kuhlmann-Straße anzulegen? Das stärkt den Familiensinn, wenn es auch nur eine ganz kleine Straße ist mit ein paar Wellblechbaracken, ganz weit hinaus, am anderen Ende von Pankow.

Aber auch Geist und Witz dürfen nicht zu kurz kommen. Unsere Phantasie soll angeregt und liebenswürdig beschäftigt werden. Wir wollen nicht immer an eiserne Markgrafen oder grämliche Professoren erinnert werden. Die Frauen sind ja bisher bei der Namengebung zu kurz gekommen. Die von den Magistraten bestellten Täufer haben einseitig das männliche Geschlecht bevorzugt. Wo die Damen schon auftreten, da heißen sie entweder Auguste Viktoria oder Elisabeth Charlotte, und mit einem furchtbar wichtigen Prädikat davor. Oder es sind schrecklich altmodische Namen wie Auguste, Emilie, Margarete, Mathilde, Sophie, Susanne. Ja, welches Mädchen heißt denn eigentlich noch so? Was fehlt, sind unsere leichtbestrumpften Zeitgenossinnen, sie nennen sich Lulu und Lilly und Milly, und Elli und Nelly und Olly und Polly und Uschi und Mutzi und Putzi und Li und Lo und Lu. Aber Karoline, Helene, Agathe ... by Jove, eine Wolke von Barchent steigt bei dem Gedanken auf, man denkt an eine ausgefranste Krinoline, an einen vermotteten Cul de Paris ... Wie anders wirkt da eine einladende Celly-de-Rheydt-Bahn, eine Anita-Berber-Passage, ein Claire-Waldoff-Rondell, eine Maria-Orska-Terrasse, eine Fern-Andra-Promenade? Wenn du über eine Gertraudten-Brücke gehst, bleibst du völlig ungerührt. Wie aber beschwingt sich dein Schritt auf der Ossi-Oswalda-Brücke, vor dir mit seinem fröhlichen Leben und Treiben der Lya-de-Putti-Markt! Und ein paar Minuten weiter nur und du bist in der vornehmen, frisch asphaltierten Katharina-von-Oheimb-Straße mit privaten Durchgängen zu verschiedenen Ministerien. So werden bisher abseits liegende Stadtviertel erschlossen, dem Namen folgt der Betrieb, die Geschäfte blühen, die Steuern fließen, es ist eine Freude zu leben, da capo, Tusch!

Das Tage-Buch, 12. September 1925


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