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Die Jungfrau von Orleans

Tempo! rief der Regisseur Neubauer und jagte seine Darsteller treppauf, treppab, und dabei fiel Schillers Text gründlich die Treppe herunter. Daß heftig gestrichen wurde, wäre zu verschmerzen, selbst an der Stätte mit Schillers Namen, wenn man von dem Stehengebliebenen nur etwas mehr verstanden hätte. Hier versank alles in Schlachtgetümmel und unakzentuiertem Geschrei. So konnten sich auch die Darsteller nicht entfalten. Haften bleibt der eisenfresserische Dunois des Herrn Carl Ebert, der nervös-zappelige Dauphin des Herrn von Twardowski, mit unbeherrschten Beinen, aber Schillerschem Klang in der Kehle, und Fritz Balk, den man mit jedem Theaterabend lieber gewinnt, als polternder Talbot und nachher als Schwarzer Ritter von höchster spiritueller Eindringlichkeit. Und Gerda Müller? Es ging alles etwas stillos durcheinander. Schlichte landmädchenhafte Einfalt durchsetzt mit nicht ganz glaubhaften Heroinentönen, dann wieder ungewöhnliche Kraft im hysterischen Ausbruch. Gelegentlich reizt ein wirklich origineller Zug. Will sie in der tapferen und demütigen Heiligen eine heimliche Lagerdirne aufzeigen, eine verkrampfte Sünderin der Gedanken? Aber das kommt nicht zur Geltung, bleibt angedeutet, weil zu viel Parterre-Akrobatik nötigende Treppen, zu viel das Wort verschlingender Schlachtenlärm, zu viel von dem, was sich Herr Neubauer unter Tempo vorstellt.

Montag Morgen, 7. September 1925


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