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Der Hund

Gerade an der Straßenecke, wo die Autos eine dreiste Kurve beschreiben und die Menschen wie gehetzte Seelen zwischen schnaubenden Dämonen irren, wurde der Hund überfahren. Ein furchtbarer, weithallender Schrei. Und dann fährt unterm Auto etwas Schwarzes mit Höllenschwung hervor, mitten aufs Pflaster, und windet sich in gräßlichen Spiralen. Wo das linke Auge war, stiert eine rote, scheußliche Höhle.

Und jetzt sammeln sich viele Menschen, begutachtend, krittelnd, die Schuldfrage erörternd. Der Hund hat die Majorität gegen sich. Der Chauffeur kommt hinzu, ballt die Faust, schimpft, verteidigt sich gegen einen unsichtbaren Ankläger. Dazwischen immer wieder das erschütternde Geheul, der verrückte danse macabre des gebrochenen Rückens.

Ein Schupo faßt Posto neben dem Hund und betrachtet ihn mit dem vollen Ernst des Gesetzes. Ein junges Mädchen fragt, warum er den Hund eigentlich nicht abschieße.

»Das ist gegen die Vorschrift«, kommt es ehern zurück. (Das stimmt. Denn die Achtung vor dem Leben ist die Grundlage des modernen Staates.)

Da sieht der Chauffeur wieder in der Intervention des Mädels eine Bezichtigung. Er schimpft wie toll, und der Schupo muß jetzt die Dame in Schutz nehmen.

Da beweist der Hund, daß er der Einsichtigste ist in dieser schreienden und gestikulierenden Gruppe. Er wird plötzlich ruhig und schleppt sich auf schon starren Hinterbeinen ganz dicht an die Hauswand heran und legt die Schnauze still zwischen die Vorderpfoten.

Montag Morgen, 14. Juni 1926


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