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Genosse Salkind, der Liebesdiktator

Wer kennt den Namen des Genossen Salkind? Niemand. Aber bald wird man ihn kennen. Denn er ist der Konsequenteste der großen, leider noch nicht registrierten Internationale der Brunner. Ein roter Bolschewik, gewiß, aber einer, der sich vielfältig mit allerhand abendländischen Geistern berührt.

Er hat in Moskau ein Buch erscheinen lassen. »Revolution und Jugend« nennt er es. Aber es ist weder Revolution drin, noch Jugend. Dieser Genosse ist sicherlich radikal. Aber es ist die Radikalität des Nachtwächters, der die eigene Schlafmützigkeit zum Weltprinzip erhebt.

Der Genosse Salkind behandelt in seinem Opus Sexualprobleme, oder was er darunter versteht.

Er stellt die wuchtige These voran, daß vom revolutionär-proletarischen Standpunkt aus eine »rein physisch-sexuelle Neigung« unzulässig sei. Da werden alle Mucker der Welt begeistert beipflichten und sagen: Sieh da, endlich mal ein vernünftiger Moskowit!

Aber unser Salkind bescheidet sich nicht bei untätiger Reflexion und ohnmächtigen Bannflüchen, er macht praktische Vorschläge, um aus dem neuen revolutionär-proletarischen Typus die kleinbürgerlichen Gefühlsreste auszubrennen. Er entwirft ein großzügiges Programm zur Abschaffung der Eifersucht, ja, er bekämpft die Eifersucht als menschewistisch. Salkind konstruiert einen Schulfall: Wenn eine Frau ihrem Mann davongeht, so übergebe dieser den Fall einer kommunistischen »Zelle«; diese habe nach eingehender Prüfung zu entscheiden, ob er oder der neue Mann besser. Bleibt der Eifersüchtige im Unrecht, so mag er versuchen, die Ungetreue zurückzugewinnen (aber was sagt der neue Mann dazu, lieber Salkind?), und gelingt ihm das nicht, so kann er noch immer die Frau als »einen Menschen verachten, der seinen Klassenstandpunkt verleugnet hat«.

Natürlich begibt sich dieser gediegene Sexual-Denker auch auf das Gebiet der Perversitäten. Dieser Streifzug ist voll ungeahnter Entdeckungen. Die allerärgste Verirrung scheint ihm eine zärtliche Neigung zu einem »Angehörigen einer feindlichen Klasse« zu sein. Das ist ihm nicht nur Lästerung am Geist des Marxismus, sondern die Sünde wider das Blut schlechthin. Eine solche Neigung, stellt er fest, kommt, wieder vom »revolutionär-proletarischen Standpunkt« aus, dem schwersten Fall von Sodomie gleich, er entspricht etwa »der geschlechtlichen Neigung eines Menschen zu einem Krokodil oder Orang-Utang«.

Soweit Genosse Salkind in seinem Buch, das im Verlag der Universität Moskau erschien.

 

Zieht man das Kommunistische ab, erlaubt man sich, andere politische Vorzeichen zu setzen, greift man für »revolutionär-proletarisch« in näher liegende Terminologien, so hat man den runden und gar nicht netten Spießbürgertyp, den es überall gibt. Den Anbeter einer völlig phantastischen Normalität, den Schlechtweggekommenen, der das Sittengesetz der Welt aus dem eigenen Manko ableitet.

Die großen Revolutionäre, die leuchtenden Führer unterdrückter Klassen und Völker haben stets ungeniert bei den Frauen und Töchtern ihrer Gegner geschlafen. Sie haben auf ihre Weise Gleichheit demonstriert, ohne dogmatische Bedenken.

Vielleicht tut man diesem guten Salkind Unrecht. Vielleicht ist er gar kein solches Hornvieh mit Eichenlaub und Schwertern, nein, mit Hammer und Sichel, sondern ein ganz brauchbarer Kerl und nur zu seinem Privatpläsier gelegentlich imbecill. Vielleicht reitet ihn auch der wütendste und gefährlichste aller Teufel, der Organisationsteufel, und er will eben etwas organisieren, was und wie und warum, das ist ihm völlig gleichgültig. Die Hauptsache: es wird drauf los organisiert. Und da ist er eben an die Liebe geraten, vielleicht, weil der Genosse Lunatscharski, ressortmäßig am nächsten daran, zu sehr Ästhet und Künstlernatur, nicht die nötige Forschheit garantiert. So wirft sich Salkind aus eigener Sendung zum Sinowjew der Sexualität auf. Aber sein Minnehof ist eine Art Tscheka, und seine »Zellen« sind nicht kleine niedliche Kabinettchen, wie im Hotel Pompadour, sondern echte, rechte Gefängniszellen, öde und trostlos.

Mögen ihn alle Liebesgötter verdammen, möge ihn das Schicksal des störrischen Pentheus treffen, den die Mänaden zerrissen, weil er sich der Macht des großen Mysteriums widersetzte. Die Russen sind heute das ärmste Volk unter der Sonne. Soll ihnen auch das noch genommen werden, was auch der wildeste Expropriateur bisher noch nicht als ausschließlich für den Staatsbedarf vorhanden zu konfiszieren wagte?

Im übrigen lese man in dem prophetischen Buch von Aage Madelung: »Circus Mensch«. Da hat einer vor fast zehn Jahren alles vorausgesagt, alles.

Das Tage-Buch, 28. Februar 1925


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