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Der Retter

Der Wahlkampf ist zu Ende. Roß und Reisige legen sich erschöpft zur Ruh. Des Krieges Stürme schweigen. Nach rauhen Schlachten besinnt man sich der fast verlernten Künste des Friedens. Man wird wieder manierlich. Die Maskenfreiheit ist zu Ende. Thersites flötet wie der verliebte Achill.

Lange wird dieser idyllische Zustand nicht dauern. Denn bald wird sich einer melden, für den zwar die ganze Kirchweih veranstaltet war, der aber dabei die geringste Rolle spielte, nämlich Seine Herrlichkeit der Wähler, und der wird sagen: »Das war ja alles recht nett arrangiert und meinem Niveau sinngemäß angepaßt, aber was nun?« Der eine wird sich beklagen, daß er nicht aufgewertet wurde, der andere, daß es nicht schon wieder ein bißchen Weltkrieg gibt, und alle zusammen, daß eigentlich alles aussieht wie vorher. Denn das Volk in seiner abgründigen Rückständigkeit will nicht begreifen, daß das »Before« und »After« in der Politik die gleiche Rolle spielt wie auf Hogarths galligen Blättern.

Da ist z.B. das Plakat: Der Retter. Das bekannteste und zugkräftigste Wahlplakat ohne Zweifel. Es zeigt den alten Herrn mit festen gerundeten Zügen, den Blick geradeaus gerichtet, als wollte er sagen: Folgt mir nur, ich werde es schon machen!

In der Tat sehr effektvoll. Besonders bei einem Volk, das ohnehin durchdrungen ist, daß zivile Fragen sich am besten militärisch fingern lassen.

Aber man soll vorsichtig sein mit solchen Verheißungen. Ein lebender Mensch ist nun einmal keine bunte und propagandistisch stilisierte Affiche. Wenn der neue Reichspräsident sich erst öffentlich zeigt, dann werden die Leute einen wortkargen und verwitterten alten Herrn sehen, nicht in Feldgrau, sondern im friedlichen Cut, gekrönt mit dem so wenig bellikosen Zylinder. Das wird eine erste, aber nachhaltige Enttäuschung sein.

Überhaupt das mit dem »Retter!« Lieber Reichsblock, weißt Du, was es bedeutet, einen einzigen Menschen nur zu retten? Und nun gar ein Volk von vielen, vielen Millionen. Jede Schwester vom Blauen Kreuz wird Dir eine niederschmetternde Antwort geben. Das erfordert viel Geduld, Liebe, Psychologie und eine sehr, sehr feine Hand.

Und die meisten wollen gar nicht gerettet werden. Sie fürchten die Rettung mehr als irdisches und himmlisches Gericht. Sie finden die selbstgeheizte Hölle äußerst komfortabel. Welche Mühe macht es schon, ein Mädel zu retten, das nun mal partout von Stufe zu Stufe will! Solltest Du es nicht wissen, teurer Reichsblock, frage bei Hans Müller an, der die »Flamme« geschrieben hat. Schon bei Hans Müller endet es trübe. Was soll nun erst werden, wenn man die ganze Deutsche Republik feierlich zum Magdalenenheim erklärt?

Aber, mon dieu, warum sollen wir uns nicht auch einmal ein bißchen retten lassen? Man hat uns seit zehn Jahren so vielartig behandelt, daß man es auch einmal mit einer ganz neuen Therapie versuchen kann. Man hat uns abwechselnd mit Krieg und Umsturz, Revolution und Konterrevolution, Demokratie und Diktatur, Abbau und Aufbau, Inflation und Stabilisierung, mit Ludendorff und Marmelade, mit Cuno, Böters, Ruhrkrieg, Hoffmannstropfen und Rattengift behandelt. Spengler hat unsere Senilität nachgewiesen. Steinach uns mit frischen Drüsen wieder aufgepulvert (am Temperament der politischen Journale merkt man, daß es Affendrüsen sind). So taumelten wir zwischen den Extremen. Wenn wir den Kopf noch unter der kalten Douche hatten, kam schon ein anderer Badewärter mit dem neuen, heißen Fußbad. Warum also nach so viel aufregendem Wechsel nicht ein wenig Diätetik der Seele, ein bißchen Rettung. Vielleicht ertüchtigt uns Salvation army definitiv.

Gelegentlich werden wir uns mit allem Respekt erkundigen, wie weit die Sache schon gediehen. Oder in den Spiegel schauen, ob wir schon lieblich und rosig glänzen wie die kleinen Badeengel. Dennoch ist zu befürchten bei der gebrestenvollen, tiefinnerlich dem Heilsamen abgeneigten menschlichen Natur, ehe die Bemühungen noch recht losgegangen sein werden, wird es schon rundum heißen: Rette sich, wer kann!

Das Tage-Buch, 2. Mai 1925


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